Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
wurde daher schon 1578 von einem Rentmeister ver-
waltet. Er wurde auch als Droste bezeichnet und
scheint im leerstehenden Herrenhaus gelebt zu
haben. Mit ihm lebten dort sein Knecht, ein Herr
Jürgen, der Schreiber, der Kellner, der Hoppener (Bier-
brauer), ein Küchenjunge, ein Pförtner, zwei Haus-
knechte, die Kammermagd, ein Student und ein Fin-
delkind. Im Kohuise auf der Vorburg lebten der
Schulte (also der die Landwirtschaft leitende Bau-
meister), ein Futterknecht, ein Kuhhirt, ein Schwei-
nehirt, ein behinderter Junge, die Wiersche (Köchin)
und zwei Mägde.95
Vor diesem ständig weitergeführten Prozess der Kon-
zentration überlebte nur ein Teil der alten Herren-
häuser nach dem Verlust ihrer herrschaftlichen Be-
wohner die folgenden Jahrhunderte.96 Mancher der
Bauten blieb leerstehend erhalten oder wurde in
Teilen von Angestellten bewohnt. Dieses Schicksal traf
viele der noch heute erhaltenen älteren Bauten.97
Schon im 18. Jahrhundert waren manche der Herren-
häuser wegen ihres langen Leerstandes so baufällig,
dass sie einstürzten oder vor ihrem Einsturz abgebro-
chen und seitdem allein die der Wirtschaft dienende
Vorburg unterhalten wurden. Dort wohnte der Rent-
meister oder Pächter nun in einem Teil des zumeist
älteren Bauhauses oder man errichtete ihm in man-
chen Fällen daneben ein einfaches neues Haus.98'
Unterstützt wurde dieser Prozess der Betriebskonzen-
tration auch durch die Tendenz insbesondere der
Adelsfamilien, größere Besitzkomplexe zu bilden und
diese seit dem 17. Jahrhundert in Familienstiftungen
(Fideikommisse) als unteilbaren Besitz rechtlich abzu-
sichern.99 Im Ergebnis besaßen einzelne Adelsfamilien
im Münsterland im 18. Jahrhundert mehr als zehn sol-
cher Güter, jeweils mit herrschaftlichen Wohnmög-
lichkeiten, zu deren Bewirtschaftung-wenn nicht der
Weg der Verpachtung gewählt worden war - sie nun
auch mehrere Rentmeister beschäftigten.'00 Darüber
hinaus ließen die Familien zunehmend Kurienhäuser
insbesondere für ihre weiblichen unverheirateten Mit-
glieder innerhalb der Stiftsanlagen errichten.101 Das
Ideal von der Vorstellung eines adeligen Familien-
verbandes mit zahlreichen zugehörigen Bauten doku-
mentiert das Testament Heinrichs II. von Droste zu
Haus Hülshoff (1597-1666), in dem er die Versorgung
seiner insgesamt zwölf Kinder regelte. Danach wurde
sein ältester Sohn Universalerbe der gesamten Fa-
miliengüter, wobei er aber jeder seiner sieben unver-
heirateten Schwestern ein völlig eingerichtetes
Stiftshaus sowie 600 Rthl. garantieren musste und
diese alternativ auch das Recht erhielten, unentgelt-
lich auf dem Stammsitz der Familie mit einer Magd zu
leben. Auch die unverheirateten Brüder des Universal-
erben hatten Anspruch auf Bereitstellung eines
Stiftssitzes und Auszahlung von 2000 Rthl..102 Neben
dem ländlichen Herrenhaus als Stammsitz der Familie
unterhielt man auch ein Haus in der Stadt. Im 18.
Jahrhundert war dies der Lebensmittelpunkt, wäh-
rend man das Herrenhaus nur während der Sommer-
monate besuchte und die dortige Gutswirtschaft ver-
pachtet hatte.103 Damit entsprachen dieser Lebenszyk-
lus und die Wirtschaftsformen dem, was die übrigen
Wohlhabenden in den Städten schon seit Langem
vorgelebt hatten.
Das Längsdielenhaus als Leitmotiv
der Hausforschung?
Entsprechend der übergeordneten hauskundlichen
Fragestellungen steht im Mittelpunkt der meisten im
Folgenden vorgelegten Monografien über einzelne
Betriebe mehr oder weniger ausgesprochen die Frage
nach der Bedeutung und Aufgabe der jeweils dort
vorhandenen „Hallenhäuser". Formenvielfalt und Ent-
wicklung des Hallenhauses gehörten seit vielen Jahr-
zehnten zur zentralen Thematik der Haus- und
Bauforschung in Nord- und Westdeutschland.104 Eine
der in einem großen Teil der folgenden Untersuchun-
gen angesprochenen Fragen dreht sich um das The-
ma, ob das Hallenhaus als Bauernhaus bezeichnet
werden muss bzw. welche Bedeutung diese Bauform
für andere Sozialgruppen gehabt hat: Gab es „adeli-
ge" oder „herrschaftliche" Hallenhäuser?
Es ist zur fachwissenschaftlichen Konvention gewor-
den, mit dem Begriff des Hallenhauses nicht nur eine
Baustruktur (Gerüstbau als Zwei-, Drei- oder Vierstän-
derbau) mit charakteristischer Raumstruktur (Längs-
diele) zu umschreiben, sondern dieses mit Wirt-
schafts- und Lebensformen zu verbinden, sodass der
Begriff'ohne klare Abgrenzungen auch eine funkti-
onsstrukturelle Bedeutungsebene aufweist.105 Insbe-
sondere wird in der Regel eine enge Beziehung zwi-
schen „Hallenhaus" und „Bauernhaus" gesehen, so-
dass von einem Wohn- und Wirtschaftsgebäude aus-
gegangen wird.
Gemeinhin werden Längsdielenhäuser, an deren Wirt-
schaftsdiele sich eine Herdküche und Wohnräume (in
unterschiedlichen Formen) anschließen, als Hallen-
haus bezeichnet und als Bauernhaus verstanden. Die
vorgelegten Beiträge weisen allerdings nach, dass
entsprechende Raumstrukturen mit ganz unterschied-
lichen Funktions- und Sozialstrukturen gefüllt werden
konnten. Ist vor diesem Hintergrund ein (adeliges)
Bauhaus mit anschließendem Kammerfach (als Wohn-
bereich des Bauschulten oder des Rentmeisters) ein
Bauernhaus, nur weil dieses vergleichbare Raumstruk-
turen aufweist? Vergleichbare Raumstrukturen weist
aber auch ein Pächterwohnhaus mit Kammerfach auf,
das hier allerdings nicht dem Bauern, sondern dem
Aufenthalt der Verpächter dient und daher bestens
ausgestattet sein kann.
So lange die damit komplexe Definition des „Bau-
typs" Hallenhaus weder klar benannt noch in ihrer
Tragweite ausreichend geklärt ist, scheint es in dem
hier bestehenden baulichen Kontext angebracht,
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Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
wurde daher schon 1578 von einem Rentmeister ver-
waltet. Er wurde auch als Droste bezeichnet und
scheint im leerstehenden Herrenhaus gelebt zu
haben. Mit ihm lebten dort sein Knecht, ein Herr
Jürgen, der Schreiber, der Kellner, der Hoppener (Bier-
brauer), ein Küchenjunge, ein Pförtner, zwei Haus-
knechte, die Kammermagd, ein Student und ein Fin-
delkind. Im Kohuise auf der Vorburg lebten der
Schulte (also der die Landwirtschaft leitende Bau-
meister), ein Futterknecht, ein Kuhhirt, ein Schwei-
nehirt, ein behinderter Junge, die Wiersche (Köchin)
und zwei Mägde.95
Vor diesem ständig weitergeführten Prozess der Kon-
zentration überlebte nur ein Teil der alten Herren-
häuser nach dem Verlust ihrer herrschaftlichen Be-
wohner die folgenden Jahrhunderte.96 Mancher der
Bauten blieb leerstehend erhalten oder wurde in
Teilen von Angestellten bewohnt. Dieses Schicksal traf
viele der noch heute erhaltenen älteren Bauten.97
Schon im 18. Jahrhundert waren manche der Herren-
häuser wegen ihres langen Leerstandes so baufällig,
dass sie einstürzten oder vor ihrem Einsturz abgebro-
chen und seitdem allein die der Wirtschaft dienende
Vorburg unterhalten wurden. Dort wohnte der Rent-
meister oder Pächter nun in einem Teil des zumeist
älteren Bauhauses oder man errichtete ihm in man-
chen Fällen daneben ein einfaches neues Haus.98'
Unterstützt wurde dieser Prozess der Betriebskonzen-
tration auch durch die Tendenz insbesondere der
Adelsfamilien, größere Besitzkomplexe zu bilden und
diese seit dem 17. Jahrhundert in Familienstiftungen
(Fideikommisse) als unteilbaren Besitz rechtlich abzu-
sichern.99 Im Ergebnis besaßen einzelne Adelsfamilien
im Münsterland im 18. Jahrhundert mehr als zehn sol-
cher Güter, jeweils mit herrschaftlichen Wohnmög-
lichkeiten, zu deren Bewirtschaftung-wenn nicht der
Weg der Verpachtung gewählt worden war - sie nun
auch mehrere Rentmeister beschäftigten.'00 Darüber
hinaus ließen die Familien zunehmend Kurienhäuser
insbesondere für ihre weiblichen unverheirateten Mit-
glieder innerhalb der Stiftsanlagen errichten.101 Das
Ideal von der Vorstellung eines adeligen Familien-
verbandes mit zahlreichen zugehörigen Bauten doku-
mentiert das Testament Heinrichs II. von Droste zu
Haus Hülshoff (1597-1666), in dem er die Versorgung
seiner insgesamt zwölf Kinder regelte. Danach wurde
sein ältester Sohn Universalerbe der gesamten Fa-
miliengüter, wobei er aber jeder seiner sieben unver-
heirateten Schwestern ein völlig eingerichtetes
Stiftshaus sowie 600 Rthl. garantieren musste und
diese alternativ auch das Recht erhielten, unentgelt-
lich auf dem Stammsitz der Familie mit einer Magd zu
leben. Auch die unverheirateten Brüder des Universal-
erben hatten Anspruch auf Bereitstellung eines
Stiftssitzes und Auszahlung von 2000 Rthl..102 Neben
dem ländlichen Herrenhaus als Stammsitz der Familie
unterhielt man auch ein Haus in der Stadt. Im 18.
Jahrhundert war dies der Lebensmittelpunkt, wäh-
rend man das Herrenhaus nur während der Sommer-
monate besuchte und die dortige Gutswirtschaft ver-
pachtet hatte.103 Damit entsprachen dieser Lebenszyk-
lus und die Wirtschaftsformen dem, was die übrigen
Wohlhabenden in den Städten schon seit Langem
vorgelebt hatten.
Das Längsdielenhaus als Leitmotiv
der Hausforschung?
Entsprechend der übergeordneten hauskundlichen
Fragestellungen steht im Mittelpunkt der meisten im
Folgenden vorgelegten Monografien über einzelne
Betriebe mehr oder weniger ausgesprochen die Frage
nach der Bedeutung und Aufgabe der jeweils dort
vorhandenen „Hallenhäuser". Formenvielfalt und Ent-
wicklung des Hallenhauses gehörten seit vielen Jahr-
zehnten zur zentralen Thematik der Haus- und
Bauforschung in Nord- und Westdeutschland.104 Eine
der in einem großen Teil der folgenden Untersuchun-
gen angesprochenen Fragen dreht sich um das The-
ma, ob das Hallenhaus als Bauernhaus bezeichnet
werden muss bzw. welche Bedeutung diese Bauform
für andere Sozialgruppen gehabt hat: Gab es „adeli-
ge" oder „herrschaftliche" Hallenhäuser?
Es ist zur fachwissenschaftlichen Konvention gewor-
den, mit dem Begriff des Hallenhauses nicht nur eine
Baustruktur (Gerüstbau als Zwei-, Drei- oder Vierstän-
derbau) mit charakteristischer Raumstruktur (Längs-
diele) zu umschreiben, sondern dieses mit Wirt-
schafts- und Lebensformen zu verbinden, sodass der
Begriff'ohne klare Abgrenzungen auch eine funkti-
onsstrukturelle Bedeutungsebene aufweist.105 Insbe-
sondere wird in der Regel eine enge Beziehung zwi-
schen „Hallenhaus" und „Bauernhaus" gesehen, so-
dass von einem Wohn- und Wirtschaftsgebäude aus-
gegangen wird.
Gemeinhin werden Längsdielenhäuser, an deren Wirt-
schaftsdiele sich eine Herdküche und Wohnräume (in
unterschiedlichen Formen) anschließen, als Hallen-
haus bezeichnet und als Bauernhaus verstanden. Die
vorgelegten Beiträge weisen allerdings nach, dass
entsprechende Raumstrukturen mit ganz unterschied-
lichen Funktions- und Sozialstrukturen gefüllt werden
konnten. Ist vor diesem Hintergrund ein (adeliges)
Bauhaus mit anschließendem Kammerfach (als Wohn-
bereich des Bauschulten oder des Rentmeisters) ein
Bauernhaus, nur weil dieses vergleichbare Raumstruk-
turen aufweist? Vergleichbare Raumstrukturen weist
aber auch ein Pächterwohnhaus mit Kammerfach auf,
das hier allerdings nicht dem Bauern, sondern dem
Aufenthalt der Verpächter dient und daher bestens
ausgestattet sein kann.
So lange die damit komplexe Definition des „Bau-
typs" Hallenhaus weder klar benannt noch in ihrer
Tragweite ausreichend geklärt ist, scheint es in dem
hier bestehenden baulichen Kontext angebracht,
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