Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
33
wurde hier versucht, das Leben der Bauern in den
Mittelpunkt der Kulturgeschichte zu stellen. Insbe-
sondere die in volkskundliche Fragestellungen einge-
bundene Hausforschung sollte zu einem starken Pro-
tagonisten dieser noch bis vor einer Generation sehr
lebendigen Forschungsrichtung werden. Allerdings
blieben diese beiden Fragestellungen gegensätzlich.
Je nachdem, aus welcher Perspektive heraus gearbei-
tet wurde, galten die Ergebnisse der anderen als nicht
zutreffend. Seit 1912 wurde ausgehend von der The-
se, dass das „Hallenhaus" für alle Schichten auf dem
Lande in Nordwestdeutschland prägend gewesen sei,
auch von einem „gesteigerten Bauernhaus" gespro-
chen. Lindner verstand hierunter Häuser wie das
schon anfangs besprochene „Haus Rüschhaus", also
Hallenhäuser, die sich durch eine besonders aufwän-
dige Ausgestaltung auszeichneten und sich in der
Hand der adeligen oder bürgerlichen Oberschicht
befanden.130 Allerdings verneinte Mummenhoff 1961
in einem bis heute grundlegenden Überblick über die
westfälischen Adelssitze die These, dass diese in der
Form von Bauernhöfen errichtet worden seien, sah
aber in den Bauhäusern der kleinen Burgen und
Schlösser eine Übernahme des Bauernhauses.131
Roswitha Poppe stellte „das Vierständerhallenhaus"
des 16. Jahrhunderts auf Gut Sondermühlen bei Melle
(Kr. Osnabrück) nach 1970 in den Mittelpunkt mehre-
rer Publikationen und prägte hierbei mit ihren weitge-
henden Vermutungen zur Funktion und Bedeutung
des Gebäudes die weitere Forschung nachhaltig,
zumal sie versuchte, die Thematik mit aktuellen ge-
sellschaftlichen Fragestellungen zu verbinden.132Trotz'
ihrer aus heutiger Sicht sozialromantischen Thesen
blieb sie bis heute ohne kritischen Widerspruch:133 „In
dem alten Herrenhaus auf Sondermühlen blieb ein
Bau erhalten, der für uns, am Zusammenleben der
verschiedenen Gesellschaftsschichten so interessierte
Menschen, sehr aufschlussreich ist. In der Wasserburg
Sondermühlen haben der Patron, seine Familie, das
Gesinde und das Vieh unter einem großen, bergen-
den Dach zusammengelebt. Erst im aufkommenden
Absolutismus [...] wurde die alte patriarchalische
Ordnung aufgelöst."134 Poppe versuchte, auch bislang
geltende, insbesondere auf den Münsteraner Haus-
forscher Josef Schepers zurückgehende Thesen zu
revidieren. Dies geschah allerdings, in dem sie selber
neue Thesen aufstellte: „Die Vorstellung, dass das
Bauernhaus seine Anregung von den kleinen Acker-
bürgerstädten der Oberweser direkt übernahm, wird
dann etwas fragwürdig. Die frühe Entwicklung des
Fachwerkkammerfaches hinter dem Flett im Osnabrü-
cker Raum macht die gebende Rolle der bäuerlichen
Adelshöfe nach Kenntnis von Alt-Sondermühlen
besonders naheliegend."135
Stefan Baumeier stellte 1988 weitere solcher Hal-
lenhäuser in einer breiter angelegten Untersuchung in
den Mittelpunkt und bezeichnete die von ihm festge-
stellte Bauform als „Hallenhäuser der Beamtenaristo-
kratie."136 Mit diesem Begriff prägte er die weitere
Forschung bis heute nachhaltig, wobei sich mit dieser
griffigen Formulierung der Bautyp des Hallenhauses
so eng mit einer Sozialgruppe verband, dass es fortan
nicht mehr fraglich schien, dass diese Beamten nicht
nur Besitzer, sondern auch Bewohner der Häuser
waren. So wurde seine Beschreibung entsprechender
Bauten in der folgenden Rezeption bald zu einem
eigenen Bautyp, dessen Existenz im historischen
Baubestand nicht mehr verifiziert oder bewiesen wer-
Haus Scheventorf bei Bad Iburg (Lkr. Osnabrück) wurde als kleiner umgräfteter Herrensitz in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts baulich erneuert. Seit 1664 gehörte das Gut zur Ökonomie des bischöflichen Schlosses Iburg, sodass das Gut fort-
an nur noch von Pächtern oder Verwaltern bewohnt und kaum noch modernisiert worden ist (Foto Fred Kaspar 2011).
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
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wurde hier versucht, das Leben der Bauern in den
Mittelpunkt der Kulturgeschichte zu stellen. Insbe-
sondere die in volkskundliche Fragestellungen einge-
bundene Hausforschung sollte zu einem starken Pro-
tagonisten dieser noch bis vor einer Generation sehr
lebendigen Forschungsrichtung werden. Allerdings
blieben diese beiden Fragestellungen gegensätzlich.
Je nachdem, aus welcher Perspektive heraus gearbei-
tet wurde, galten die Ergebnisse der anderen als nicht
zutreffend. Seit 1912 wurde ausgehend von der The-
se, dass das „Hallenhaus" für alle Schichten auf dem
Lande in Nordwestdeutschland prägend gewesen sei,
auch von einem „gesteigerten Bauernhaus" gespro-
chen. Lindner verstand hierunter Häuser wie das
schon anfangs besprochene „Haus Rüschhaus", also
Hallenhäuser, die sich durch eine besonders aufwän-
dige Ausgestaltung auszeichneten und sich in der
Hand der adeligen oder bürgerlichen Oberschicht
befanden.130 Allerdings verneinte Mummenhoff 1961
in einem bis heute grundlegenden Überblick über die
westfälischen Adelssitze die These, dass diese in der
Form von Bauernhöfen errichtet worden seien, sah
aber in den Bauhäusern der kleinen Burgen und
Schlösser eine Übernahme des Bauernhauses.131
Roswitha Poppe stellte „das Vierständerhallenhaus"
des 16. Jahrhunderts auf Gut Sondermühlen bei Melle
(Kr. Osnabrück) nach 1970 in den Mittelpunkt mehre-
rer Publikationen und prägte hierbei mit ihren weitge-
henden Vermutungen zur Funktion und Bedeutung
des Gebäudes die weitere Forschung nachhaltig,
zumal sie versuchte, die Thematik mit aktuellen ge-
sellschaftlichen Fragestellungen zu verbinden.132Trotz'
ihrer aus heutiger Sicht sozialromantischen Thesen
blieb sie bis heute ohne kritischen Widerspruch:133 „In
dem alten Herrenhaus auf Sondermühlen blieb ein
Bau erhalten, der für uns, am Zusammenleben der
verschiedenen Gesellschaftsschichten so interessierte
Menschen, sehr aufschlussreich ist. In der Wasserburg
Sondermühlen haben der Patron, seine Familie, das
Gesinde und das Vieh unter einem großen, bergen-
den Dach zusammengelebt. Erst im aufkommenden
Absolutismus [...] wurde die alte patriarchalische
Ordnung aufgelöst."134 Poppe versuchte, auch bislang
geltende, insbesondere auf den Münsteraner Haus-
forscher Josef Schepers zurückgehende Thesen zu
revidieren. Dies geschah allerdings, in dem sie selber
neue Thesen aufstellte: „Die Vorstellung, dass das
Bauernhaus seine Anregung von den kleinen Acker-
bürgerstädten der Oberweser direkt übernahm, wird
dann etwas fragwürdig. Die frühe Entwicklung des
Fachwerkkammerfaches hinter dem Flett im Osnabrü-
cker Raum macht die gebende Rolle der bäuerlichen
Adelshöfe nach Kenntnis von Alt-Sondermühlen
besonders naheliegend."135
Stefan Baumeier stellte 1988 weitere solcher Hal-
lenhäuser in einer breiter angelegten Untersuchung in
den Mittelpunkt und bezeichnete die von ihm festge-
stellte Bauform als „Hallenhäuser der Beamtenaristo-
kratie."136 Mit diesem Begriff prägte er die weitere
Forschung bis heute nachhaltig, wobei sich mit dieser
griffigen Formulierung der Bautyp des Hallenhauses
so eng mit einer Sozialgruppe verband, dass es fortan
nicht mehr fraglich schien, dass diese Beamten nicht
nur Besitzer, sondern auch Bewohner der Häuser
waren. So wurde seine Beschreibung entsprechender
Bauten in der folgenden Rezeption bald zu einem
eigenen Bautyp, dessen Existenz im historischen
Baubestand nicht mehr verifiziert oder bewiesen wer-
Haus Scheventorf bei Bad Iburg (Lkr. Osnabrück) wurde als kleiner umgräfteter Herrensitz in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts baulich erneuert. Seit 1664 gehörte das Gut zur Ökonomie des bischöflichen Schlosses Iburg, sodass das Gut fort-
an nur noch von Pächtern oder Verwaltern bewohnt und kaum noch modernisiert worden ist (Foto Fred Kaspar 2011).