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Hagen, Rüdiger; Neß, Wolfgang; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Mühlen in Niedersachsen: Region und Stadt Hannover — Petersberg: Michael Imhof Verlag, Heft 44.2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.51272#0077
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Mühlengeschichtlicher Überblick

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später dessen endgültige Ausführung, wonach Klein-
und Mittelmühlen gegen die Zahlung einer Ablöse-
summe ihren Betrieb für 30 Jahre stilllegen konnten.
Dies war der Beginn des so genannten „Großen Müh-
lensterbens".

Unwetter
Unwetter sind von den wenigen natürlichen Feinden
für die von der Naturkraft betriebenen Mühlen die
größten gewesen. Besonders für die frei in der Land-
schaft stehenden Windmühlen bedeuteten Unwetter
in Form von Stürmen und Gewittern nicht allzu selten
eine Totalzerstörung und haben manchen Müller an
den Rand seiner Existenzfähigkeit gebracht.
Im Zeitalter unserer modernen Nachrichtenübermitt-
lung und der pressemäßigen Berichterstattung über
jegliche Katastrophen sei hier vorweg eine Anmer-
kung angeführt: Stürme und Hochwasser gab es zu
allen Zeiten und sie waren früher ebenso heftig, zu-
mindest wenn man Berichte aus Fachzeitschriften wie
der „Deutsche Müller" oder „Die Mühle" liest.
Eine der ältesten für die Mühlen bedeutsamen Natur-
umwandlungen in unserer Region ist aus der Mitte
des 16. Jahrhunderts überliefert. Damals suchte sich
die Leine nördlich von Neustadt a. Rbge. ein neues
Bett und verschwenkte nördlich der Ortschaft Man-
delsloh um etwa 500 Meter nach Osten. Die vor dem
Dorf Dinstorf liegende Wassermühle fiel trocken und
musste aufgegeben werden. Ersatz schuf eine 1559
beim Nachbarort Niedernstöcken im Auftrag des
Kammerherrn Dietrich Günther errichtete Bockwind-
mühle. Noch heute kann man nahe der Orte Dinstorf
und Brase ungefähr das alte Leinebett in der Land-
schaft ausmachen.
Zu den Stürmen, die in unserer Region für das hiesige
Mühlenwesen von Bedeutung waren, gehört als der
älteste im Detail überlieferte Orkan vom 26.11.1630.
Dieser zerstörte die Windmühle bei Engelbostel, riss
den Turmhelm der alten Hannoverschen Kreuzkirche
herunter und beseitigte wohl auch die letzten Reste
der ersten städtischen Windmühle auf der Bastion am
Himmelreich, welche dort 1580 errichtet, aber schon
wenige Zeit später zu Gunsten der größeren städti-
schen Wassermühlen (Brück- und Klickmühlen) wie-
der stillgelegt worden war.
Es brauchte lange Zeiten und auch eine gute Pressear-
beit in Fachzeitschriften bis wieder Stürme ausgiebig
beschrieben wurden, die auch in unserer Region das
Mühlenwesen beeinflusst haben.
In den Fachblättern findet man ausführlich erwähnt
den Orkan vom 12. Februar 1894, im Anschluss da-
ran lebhafte Diskussionen über die richtigen Flügel-
systeme und neuartige Sturmsicherungsmaßnahmen
insbesondere an Bockwindmühlen. Der Radegaster
Mühlenbauer Heinrich Hecht wurde nach dem Sturm

ein Diskussionsopfer, weil zahlreiche mit seinen als
„Hechtsche Federjalousie" bezeichneten Flügeln ver-
sehene Windmühlen beschädigt oder umgeworfen
worden waren. Dieser Orkan richtete in unserer Regi-
on erstaunlicher Weise kaum nachgewiesenen Scha-
den an, während er in nahegelegenen Regionen wie
etwa der Altmark, aber auch in der Mark Branden-
burg, etwa 20 Prozent der Windmühlen stark beschä-
digte oder gänzlich zerstörte. In den Großherzoglich
Mecklenburg-Strehlitzschen Forsten sind nach einer
Schätzung etwa 150.000 Festmeter Holz umgewor-
fen worden.
Für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts sind im Um-
land von Hannover einzelne Unwetter bekannt, die
sehr regional beschränkt Windmühlen beschädigt ha-
ben. 1920 beschädigte ein Blitzschlag die benachbar-
ten Bockwindmühlen westlich von Engensen und auf
dem Glockenberg in Wettmar so schwer, dass beide
kurze Zeit später abgebrochen werden mussten und
1924 durch eine neugebaute Holländermühle ersetzt
worden sind.
Am 10. Februar 1925 lief während eines Gewitter-
sturms die Windmühle in Bilm in Brand, konnte je-
doch gelöscht werden. Am 17. November 1928 traf
die Mühle jedoch das gleiche Schicksal und sie brann-
te nun vollständig aus. Es war ein schaurig schöner
Anblick, an den sich bis vor etwa 20 Jahren noch
lebende Zeitzeugen erinnern konnten, als die bren-
nenden Flügel sich mehrere Minuten in Windeseile
gedreht haben und dann mit einem gewaltigen Fun-
kenregen mitsamt Welle vor die Mühle stürzten. Die
gusseiserne Flügelwelle, wie sie in diesem Baumate-
rial in dieser Region übrigens selten gewesen ist, war
noch am nächsten Morgen glühend heiß.
Aus dem Beginn der 1940er Jahre sind mehrere
Sturmschäden an Windmühlen der Deisterregion be-
kannt. Die Windmühle in Wichtringhausen war 1939
mit Ventikantenflügeln versehen worden, verlor kurz
danach ein Flügelpaar davon im Sturm, drehte mit
dem anderen noch weiter, büßte dieses jedoch 1941
ebenso im Sturm ein und wurde danach wieder mit
herkömmlichen Jalousieflügeln versehen. Ein Jahr spä-
ter zerstörte ein Sturm die Ventikantenflügel an den
Windmühlen in Ronnenberg und im nahegelegenen
Waltringhausen (Ldkr. Schaumburg) nach Bruch des
Wellkopfs.
Ein Unwetter, an das sich hierzulande noch manche
lebende ältere Müller erinnern können, ist der Orkan
vom 15. Januar 1954. Dieser Jahresbeginn 1954 war
allgemein geprägt von schweren Unwettern in ganz
Europa. Diese Tage gingen so zum Beispiel in Öster-
reich durch überdurchschnittlich viele Lawinenopfer in
die Geschichte ein. Als Höhepunkt wurde dort am 12.
Januar ein vollbesetzter Reisezug auf der Arlbergbahn
von 20 Lawinen zusammen mit dem Bahnhof von Da-
laas verschüttet.
 
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