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Konzentrationslagern ermordet, aber keiner von
beiden gelangte in die kollektive Erinnerung." Es
scheint, die Bahngleise der Erinnerung verlaufen
in einem Teufelskreis. Ermordung durch die Natio-
nalsozialisten führt zur Ausmerzung aus dem all-
gemeinen Gedächtnis. Zynisch formuliert - auch
für die Erinnerungsarbeit sind Experten für Öffent-
lichkeitsarbeit und wirksame Werbung zu gebrauchen.
Der bewusste Ort, der ministeriale Fest- bzw. Sitzungs-
saal, war kein „jüdischer" Ort, sondern bot die
Kulisse für antijüdische Maßnahmen, die zur Ent-
fernung der jüdischen Menschen aus Deutschland,
zur „Entleerung" Deutschlands, führen sollten und
dieses Ziel auch tatsächlich erreicht haben. Doch
wie kann der fragliche Raum mit dem Resultat in
Verbindung gebracht werden? Wie kann dieser Ort,
der so höchst unbequem ist, wenn man um die hier
stattgefundenen Ereignisse weiß, zum Erinnerungsort
gemacht werden?
Der Fall des Eurosaals, der Fall der Meinekestraße
und viele ähnliche Fälle führen uns zu einem weiteren
Begriff, nämlich der damnatio memoriae. Nicht
jedes Vergessen ist in seiner Absicht schon damnatio
memoriae; das Paradoxe des nationalsozialistischen
Vorgehens war, dass hinsichtlich der jüdischen Be-
völkerung sehr wohl der Versuch unternommen
wurde, die Erinnerung an die Juden wachzuhalten,
um eben auf immer und ewig beweisen zu können,
dass ihre „Ausrottung" berechtigt war. In diesem
Zusammenhang fallen mir nicht nur die NS-lnstitute
zur Erforschung der Judenfrage oder die Altneuschul
in Prag ein, sondern auch die Bibliografie von Eich-
städt zur Judenfrage.12 Dort aber, wo die Erinnerung
nicht den Zielen der Nationalsozialisten diente, war
die Ausradierung aus dem Gedächtnis über die
Vertreibung und Ermordung der Menschen hinaus
modus operandi: Der Bahnsteig verliert sein Ortsschild.
Dieses Phänomen möchte ich mit Beispielen aus dem
Fußballsport veranschaulichen. Der Historiker des
Vereins Eintracht Frankfurt entdeckte nicht nur die
Quellen, die von der Tilgung der Juden aus dem 1939
erschienenen Rückblick auf die Geschichte des Vereins
berichten, sondern bemerkte auch das Verschwinden
von drei Juden aus der Auflistung der Gefallenen
des Ersten Weltkriegs in den Vereins-Nachrichten.13
Im gleichen Jahr, nämlich 1939, hatte der DFB einen
Bildband über die deutschen Nationalspieler publiziert.
Gottfried Fuchs und Julius Hirsch, zwei jüdische
Nationalspieler, blieben auf Anordnung von Joseph
Goebbels hier unerwähnt. Aus diesem Band, der in
unserem Zusammenhang mehr als das Fußballstadion
der eigentliche unbequeme Ort ist, wurde der jüdische
Beitrag also völlig getilgt.14 Bis zur Wiederentdeckung
mussten lange Jahre vergehen. Noch 1988 erschien
ein unveränderter Nachdruck dieses Bandes von 1939
in der Bundesrepublik. Mit anderen Worten, auch
mehr als 40 Jahre nach dem Tod Goebbels blieb er
der Gewinner dieses Spiels, denn der Ort, das Buch,
behielt den Charakter, den er verordnet hatte!15
Juden wurden verdrängt und ermordet, ihr kultureller
Beitrag ignoriert und ihre Toten nicht mehr registriert.
Es gibt allerdings im Sport einen Ort, der im Prinzip
keine abolitio memoriae zulässt, nämlich die Tabelle.
Und doch wurden nach dem Anschluss Österreichs
1938 an das „Reich" nicht nur die jüdischen Sport-
vereine aus dem allgemeinen Spielbetrieb hinausge-
worfen und verboten. Sie verschwanden sogar aus
den Tabellen der Vergangenheit. Diese Tabellen wur-
den neu aufgestellt ohne die jüdische Mannschaft
Hakoah und ohne die Punkte, die man gegen Hakoah
gewonnen oder verloren hatte. Der unbequeme Ort
in diesem Zusammenhang ist weniger der Sportplatz
als vielmehr die Berichterstattung oder die schriftliche
Veröffentlichung. Da stellt sich uns erneut die Frage
- wo lokalisiert und wie gestaltet man hier den
unbequemen Ort - im Buch oder im Stadion?
Die historischen Museen, die in den neuen Fußball-
stadien entstehen, gehen davon aus, dass sich der
Bahnsteig der Vergangenheit mit dem maximalen
Erinnerungseffekt in den Stadien befindet, neben
den Devotionalien und Memorabilien. Die Idee, diese
bequemen, auf Spaß fixierten Orte zu unbequemen
Orten zu machen, verdient ein Kompliment für den
organisierten Sport. Doch fragt man sich, inwieweit
dieser Versuch auch die Wahrnehmung des Durch-
schnittsbürgers berührt. Zwei Jahre lang spielte ein
israelischer Fußballer beim FC Nürnberg - eben auf
dem Platz, der einst zum „Reichsparteitagsgelände"
gehört hatte. Er spielte für eine Mannschaft, die
bereits 1932 ihren jüdischen Trainer entlassen hatte.
Als unbequemen Ort haben die israelischen Fans (!)
dieses Ambiente nicht empfunden. Ein Ort ohne
Erinnerung kann bequem bleiben.
Zum Schluss möchte ich noch auf eine Besonder-
heit „unbequemer Orte" aus der Zeit des Natio-
nalsozialismus hinweisen, nämlich relevante Orte
in Israel. Das klingt paradox, handelte und handelt
es sich doch nicht eigentlich um Architektur und
Gebäude in Deutschland, sondern um rein geistige
Landschaften und um verlorene Kulturwerte, die
man dennoch außerhalb Deutschlands auffinden
und ausstellen kann. Yad Vashem, die Shoah-Ge-
denkstätte in Jerusalem, erzählt in dem zum Institut
gehörenden Museum die Geschichte der Shoah der
europäischen Juden. Dabei wird auch das Motiv des
Eisenbahnwagons eingesetzt - real, in der Aufstellung
eines „originalen" Deportationswagons im freien
Gelände der Gedenkstätte, dessen Silhouette hoch
über der südlichen Zufahrtsstraße nach Jerusalem
zu erblicken ist; und dann auch virtuell, von innen,
Konzentrationslagern ermordet, aber keiner von
beiden gelangte in die kollektive Erinnerung." Es
scheint, die Bahngleise der Erinnerung verlaufen
in einem Teufelskreis. Ermordung durch die Natio-
nalsozialisten führt zur Ausmerzung aus dem all-
gemeinen Gedächtnis. Zynisch formuliert - auch
für die Erinnerungsarbeit sind Experten für Öffent-
lichkeitsarbeit und wirksame Werbung zu gebrauchen.
Der bewusste Ort, der ministeriale Fest- bzw. Sitzungs-
saal, war kein „jüdischer" Ort, sondern bot die
Kulisse für antijüdische Maßnahmen, die zur Ent-
fernung der jüdischen Menschen aus Deutschland,
zur „Entleerung" Deutschlands, führen sollten und
dieses Ziel auch tatsächlich erreicht haben. Doch
wie kann der fragliche Raum mit dem Resultat in
Verbindung gebracht werden? Wie kann dieser Ort,
der so höchst unbequem ist, wenn man um die hier
stattgefundenen Ereignisse weiß, zum Erinnerungsort
gemacht werden?
Der Fall des Eurosaals, der Fall der Meinekestraße
und viele ähnliche Fälle führen uns zu einem weiteren
Begriff, nämlich der damnatio memoriae. Nicht
jedes Vergessen ist in seiner Absicht schon damnatio
memoriae; das Paradoxe des nationalsozialistischen
Vorgehens war, dass hinsichtlich der jüdischen Be-
völkerung sehr wohl der Versuch unternommen
wurde, die Erinnerung an die Juden wachzuhalten,
um eben auf immer und ewig beweisen zu können,
dass ihre „Ausrottung" berechtigt war. In diesem
Zusammenhang fallen mir nicht nur die NS-lnstitute
zur Erforschung der Judenfrage oder die Altneuschul
in Prag ein, sondern auch die Bibliografie von Eich-
städt zur Judenfrage.12 Dort aber, wo die Erinnerung
nicht den Zielen der Nationalsozialisten diente, war
die Ausradierung aus dem Gedächtnis über die
Vertreibung und Ermordung der Menschen hinaus
modus operandi: Der Bahnsteig verliert sein Ortsschild.
Dieses Phänomen möchte ich mit Beispielen aus dem
Fußballsport veranschaulichen. Der Historiker des
Vereins Eintracht Frankfurt entdeckte nicht nur die
Quellen, die von der Tilgung der Juden aus dem 1939
erschienenen Rückblick auf die Geschichte des Vereins
berichten, sondern bemerkte auch das Verschwinden
von drei Juden aus der Auflistung der Gefallenen
des Ersten Weltkriegs in den Vereins-Nachrichten.13
Im gleichen Jahr, nämlich 1939, hatte der DFB einen
Bildband über die deutschen Nationalspieler publiziert.
Gottfried Fuchs und Julius Hirsch, zwei jüdische
Nationalspieler, blieben auf Anordnung von Joseph
Goebbels hier unerwähnt. Aus diesem Band, der in
unserem Zusammenhang mehr als das Fußballstadion
der eigentliche unbequeme Ort ist, wurde der jüdische
Beitrag also völlig getilgt.14 Bis zur Wiederentdeckung
mussten lange Jahre vergehen. Noch 1988 erschien
ein unveränderter Nachdruck dieses Bandes von 1939
in der Bundesrepublik. Mit anderen Worten, auch
mehr als 40 Jahre nach dem Tod Goebbels blieb er
der Gewinner dieses Spiels, denn der Ort, das Buch,
behielt den Charakter, den er verordnet hatte!15
Juden wurden verdrängt und ermordet, ihr kultureller
Beitrag ignoriert und ihre Toten nicht mehr registriert.
Es gibt allerdings im Sport einen Ort, der im Prinzip
keine abolitio memoriae zulässt, nämlich die Tabelle.
Und doch wurden nach dem Anschluss Österreichs
1938 an das „Reich" nicht nur die jüdischen Sport-
vereine aus dem allgemeinen Spielbetrieb hinausge-
worfen und verboten. Sie verschwanden sogar aus
den Tabellen der Vergangenheit. Diese Tabellen wur-
den neu aufgestellt ohne die jüdische Mannschaft
Hakoah und ohne die Punkte, die man gegen Hakoah
gewonnen oder verloren hatte. Der unbequeme Ort
in diesem Zusammenhang ist weniger der Sportplatz
als vielmehr die Berichterstattung oder die schriftliche
Veröffentlichung. Da stellt sich uns erneut die Frage
- wo lokalisiert und wie gestaltet man hier den
unbequemen Ort - im Buch oder im Stadion?
Die historischen Museen, die in den neuen Fußball-
stadien entstehen, gehen davon aus, dass sich der
Bahnsteig der Vergangenheit mit dem maximalen
Erinnerungseffekt in den Stadien befindet, neben
den Devotionalien und Memorabilien. Die Idee, diese
bequemen, auf Spaß fixierten Orte zu unbequemen
Orten zu machen, verdient ein Kompliment für den
organisierten Sport. Doch fragt man sich, inwieweit
dieser Versuch auch die Wahrnehmung des Durch-
schnittsbürgers berührt. Zwei Jahre lang spielte ein
israelischer Fußballer beim FC Nürnberg - eben auf
dem Platz, der einst zum „Reichsparteitagsgelände"
gehört hatte. Er spielte für eine Mannschaft, die
bereits 1932 ihren jüdischen Trainer entlassen hatte.
Als unbequemen Ort haben die israelischen Fans (!)
dieses Ambiente nicht empfunden. Ein Ort ohne
Erinnerung kann bequem bleiben.
Zum Schluss möchte ich noch auf eine Besonder-
heit „unbequemer Orte" aus der Zeit des Natio-
nalsozialismus hinweisen, nämlich relevante Orte
in Israel. Das klingt paradox, handelte und handelt
es sich doch nicht eigentlich um Architektur und
Gebäude in Deutschland, sondern um rein geistige
Landschaften und um verlorene Kulturwerte, die
man dennoch außerhalb Deutschlands auffinden
und ausstellen kann. Yad Vashem, die Shoah-Ge-
denkstätte in Jerusalem, erzählt in dem zum Institut
gehörenden Museum die Geschichte der Shoah der
europäischen Juden. Dabei wird auch das Motiv des
Eisenbahnwagons eingesetzt - real, in der Aufstellung
eines „originalen" Deportationswagons im freien
Gelände der Gedenkstätte, dessen Silhouette hoch
über der südlichen Zufahrtsstraße nach Jerusalem
zu erblicken ist; und dann auch virtuell, von innen,