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"Unter der GrasNarbe" <Veranstaltung, 2014, Hannover>; Schomann, Rainer [Editor]; Schormann, Michael Heinrich [Editor]; Wolschke-Bulmahn, Joachim [Editor]; Winghart, Stefan [Editor]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; VGH-Stiftung [Editor]; Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur [Editor]; Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Unter der GrasNarbe: Freiraumgestaltungen in Niedersachsen während der NS-Diktatur als denkmalpflegerisches Thema : Dokumentation der Tagung vom 26.-29. März 2014 in Hannover — Petersberg: Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG, Heft 45.2015

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Bein, Reinhard: Rahmenbedingungen der Umgestaltung Braunschweigs zu einer nationalsozialistischen Musterland
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https://doi.org/10.11588/diglit.51271#0126
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Unter der GrasNarbe

ihren Kopfblättern für die braunschweigische Weser-
und die Harzregion. In der aufgeheizten Atmosphäre
der Weltwirtschaftskrise suchten die Parteien durch
Massenaufmärsche und große politische Kundgebun-
gen Anhänger zu gewinnen. Der braunschweigische
Innenminister verbot mit Hilfe des Gummiparagrafen
„Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung" öffentli-
che Kundgebungen der Linksparteien, während er sie
für die regierenden Parteien und Massenorganisatio-
nen erlaubte.
Die wichtigsten Massenaufmärsche der Rechtspar-
teien in der Zeit zwischen 1930 und 1932 im Deut-
schen Reich fanden im Freistaat Braunschweig statt.
Für den 11. Oktober 1931 erlaubte Innenminister
Klagges ein Treffen von NSDAP, DNVP, der paramili-
tärischen Kampforganisation Sturmabteilung (SA) der
NSDAP und dem rechtsgerichteten Frontkämpferbund
Stahlhelm in Bad Harzburg. Dort beschlossen sie ihr
Bündnis zur Zerschlagung der Weimarer Republik. Am
folgenden Wochenende befahl Hitler seinem Gefolgs-
mann Klagges einen Aufmarsch der norddeutschen
SA in Braunschweig zu organisieren, um seinen Bünd-
nispartnern zu demonstrieren, dass er die Alleinherr-
schaft anstrebte. Klagges organisierte also für den 17.
Oktober einen Fackelzug von 100.000 SA-Männern
durch die Stadt zum Franzschen Feld, wo Hitler Par-
teifahnen und Standarten weihte und verkündete, es
seien die letzten vor der Machtübernahme seiner Par-
tei. Für den folgenden Tag organisierte Klagges einen
Massenumzug der SA durch Braunschweig, mit dem
Höhepunkt eines sechsstündigen Vorbeimarsches an
den NS-Führern, aufgestellt vor dem Residenzschloss.
Die Öffentlichkeit in Deutschland nahm die SA, wie
erwünscht, als disziplinierte, Tatkraft und Stärke aus-
strahlende Massenbewegung wahr.
Akzente in der Wirtschaftspolitik vermochte das klei-
ne Land nicht zu setzen. Es unterstützte die Gesund-
schrumpfungspolitik des Reiches und sabotierte, wo
es möglich war, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in
der Region, um die Krise zu verschärfen, ohne damit
allerdings immer Erfolg zu haben. Den Weiterbau des
Hafens am entstehenden Mittellandkanal nördlich von
Braunschweig zum Beispiel versuchte Klagges durch
einen Staatskommissar zu blockieren, indem er zuge-
sagte Kredite nicht genehmigte. Oberbürgermeister
Böhme (SPD) missachtete die Nichtgenehmigung, ließ
auf eigenes Risiko weiterbauen, und der Naziminister
wagte es nicht, dies zu verbieten. Als Klagges 1932
von dem amerikanischen Journalisten Knickerbocker
gefragt wurde, warum die Landesregierung die wirt-
schaftliche Misere zu verschärfen suche, statt sie zu
überwinden, antwortete Klagges, die Pläne für den
Wirtschaftsaufschwung hätte die NSDAP in der Ta-
sche, aber sie kämen erst nach der Machtübernahme
zum Einsatz.

Die NSDAP in Berlin betrachtete die Regierung in
Braunschweig als Testfall für die Machtübernahme.
Dabei ging es ihr u.a. darum, herauszufinden, wie
weit man die bürgerlichen Partner in einer Koalition
erpressen könne. Das war zum Beispiel bei der Einbür-
gerung Hitlers zu beobachten. Dieser war staatenlos
und bedurfte, als er sich 1932 um das Amt des Reichs-
präsidenten bewarb, der deutschen Staatsangehö-
rigkeit. Gegen Klagges' Vorschlag, ihn als Professor
mit einem Lehrstuhl an der Technischen Hochschule
auszustatten, opponierte die BEL heftig. Die Koalition
drohte zu platzen. Da dies aber beiden Partnern an
übergeordneter Stelle ausgeredet wurde, schlug der
Abgeordnete Wessel (DVP) vor, Hitler einen Posten
als Regierungsrat bei der Landesvertretung in Berlin
zu verschaffen. Dieser Kompromiss fand beiderseits
Zustimmung. Als Staatsbeamter erhielt Hitler automa-
tisch die Staatsbürgerschaft Braunschweigs und damit
die des Reiches.
Die NSDAP verschaffte sich mit Braunschweig Vor-
teile, die anderswo nicht zu haben waren. Da die SA
als Bürgerkriegsreserve aufgebaut wurde, benötigte
sie Trainingsstätten. Das war im Reich rechtlich nicht
möglich, wohl aber in Braunschweig. In einer insol-
venten Gewehrfabrik in Kreiensen (damals Kreis Gan-
dersheim) entstanden 1931 eine SA-Vorschule und
eine SS-Führerschule, in der NS-Verbände des ganzen
Reiches für den Bürgerkrieg geschult wurden.
Nach der Machtübernahme der Nazis vollzog sich die
Gleichschaltung und Nazifizierung in Braunschweig
schnell und relativ problemlos. Man konnte schon
Ende April 1933 den ersten nur noch aus National-
sozialisten bestehenden Landtag nach Berlin melden,
schaffte es bis Ende Juli 1933, fast den gesamten
Widerstand der Linksparteien auszulöschen und mit
brutalen Methoden viele Juden zur Emigration zu
zwingen.
Dem von den Nationalsozialisten geplanten Führer-
staat stand der traditionelle deutsche Föderalismus
im Wege. Durch eine Reichsreform sollten die Länder
abgeschafft und durch zentral gelenkte Gaue ersetzt
werden. Als ersten Schritt schaltete Hitler die Länder
gleich und entmachtete sie durch die Einsetzung ei-
nes übergeordneten Reichsstatthalters. Für das hiesige
Gebiet war dies Hauptmann Friedrich Wilhelm Loeper
als Reichsstatthalter von Anhalt und Braunschweig.
Die Reichsreform allerdings ließ auf sich warten und
wurde schließlich auf die Zeit nach dem „Endsieg"
verschoben.
Ein Land wie Braunschweig wäre dem vorhandenen
Machtzentrum Hannover und später dem entste-
henden Machtzentrum Salzgitter als Gauhauptstadt
unterlegen gewesen. Solange dies jedoch nicht fest-
 
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