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Unter der GrasNarbe
Die Entstehung des Kräutergartens
Der Kräutergarten, von den Häftlingen weitaus
treffender „Plantage" genannt, entstand ab 1938. Die
etwa 80 Hektar umfassenden Anbauflächen wurden
täglich von 400 bis 2.000 Häftlingen des benachbarten
Konzentrationslagers unter menschenunwürdigen
Bedingungen bewirtschaftet. Die gesamte Anlage
umfasste Lehr- und Forschungskulturen, weitreichende
Anbauflächen für Heil- und Gewürzkräuter, Gewächs-
häuser, Frühbeetkästen und Warmbeete, Trocken-
schuppen, eine Gewürzmühle sowie Labor- und Ver-
waltungsräume.
Die unmittelbare Nähe zum Lager und die hierdurch
vorhandene Möglichkeit zur besonders effektiven
Ausnutzung der Arbeitskraft der Häftlinge sowie die
einfach zu organisierende Bewachung der Gefan-
genen durch KZ-Aufsichtspersonal waren Teil der Un-
ternehmenskonzeption. Die Kultivierung des Moor-
bodens erfolgte ohne Maschineneinsatz. Allein in
den Jahren der Anlage des Kräutergartens bis 1940
kamen hierbei 430 Menschen, vor allem Juden, Sinti
und Roma ums Leben.
SS-Reichsführer Heinrich Himmler räumte dem Pro-
jekt höchste Priorität ein. Naturgemäße Lebens- und
Heilmethoden sollten die „Neue Deutsche Heilkunde"
vorantreiben und die Heilpflanzenkunde zu einem
der Fundamente der nationalsozialistischen Medizin
werden lassen. Ein Jahr nach Projektbeginn wurde 1939
ein eigens dafür vorgesehenes Institut als SS-eigenes
Organ gegründet, die „Deutsche Versuchsanstalt für
Ernährung und Verpflegung GmbH, Werk Dachau".
Seine Hauptaufgaben waren die planmäßige Erfor-
schung und der Anbau der in Deutschland wach-
senden Heilkräuter im Interesse der deutschen
Volkswirtschaft, die Versorgung des deutschen und
ausländischen Marktes mit deutschen Drogen, die
Herstellung neuer Drogen und Mischungen auf
Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen sowie
die Unterhaltung von Laboratorien1. Weitere dem
Werk Dachau unterstellte Anlagen befanden sich in
Ravensbrück und im Bretsteintal in der Steiermark.
Hinter dem Projekt standen jedoch weitreichende
Erwägungen. Für den Kriegsfall war das Ziel, von
Gewürz- und Heilmittelimporten unabhängig zu wer-
den. Die Ernährungsbasis des Reiches sollte gesichert
sowie wundstillende und heilende Pflanzen der
Wehrmacht zur Verfügung gestellt werden. Daher
setzte man auf den Heil- und Gewürzkräuteranbau
im großen und systematischen Stil. Besonders der
massenhafte Gladiolenanbau zur Gewinnung von
Vitamin C, mit dem vor allem Wehrmacht und
SS-Truppen beliefert wurden, und das „Deutsche
Pfeffergewürz", eine Gewürzmischung aus Basilikum,
Majoran und Paprika, das als Pfeffersurrogat dienen
sollte, wurden intensiv vorangetrieben. Für den
Verkauf an die Bevölkerung richtete man einen Laden
im Kräutergarten ein, in dem es Obst, Gemüse,
Schnittblumen, Kräuterteemischungen, Brühwürfel
und den „Deutschen Pfeffer" zu kaufen gab. Über
das Ladengeschäft bestand für einige Insassen die
Möglichkeit zum Kontakt zur Außenwelt. Es konn-
ten Botschaften übermittelt und die Zustände im
Konzentrationslager nach außen getragen werden,
die somit weit über das Umfeld Dachaus hinaus
bekannt gewesen sein dürften.
2 „Fertigmachen!" an den Heilkräuterkulturen Dachau, die Häftlinge treten in die Plantageneinheit an. Titel und „illegale"
Aufnahme von Karel Kasäk, 1944. Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau.
Unter der GrasNarbe
Die Entstehung des Kräutergartens
Der Kräutergarten, von den Häftlingen weitaus
treffender „Plantage" genannt, entstand ab 1938. Die
etwa 80 Hektar umfassenden Anbauflächen wurden
täglich von 400 bis 2.000 Häftlingen des benachbarten
Konzentrationslagers unter menschenunwürdigen
Bedingungen bewirtschaftet. Die gesamte Anlage
umfasste Lehr- und Forschungskulturen, weitreichende
Anbauflächen für Heil- und Gewürzkräuter, Gewächs-
häuser, Frühbeetkästen und Warmbeete, Trocken-
schuppen, eine Gewürzmühle sowie Labor- und Ver-
waltungsräume.
Die unmittelbare Nähe zum Lager und die hierdurch
vorhandene Möglichkeit zur besonders effektiven
Ausnutzung der Arbeitskraft der Häftlinge sowie die
einfach zu organisierende Bewachung der Gefan-
genen durch KZ-Aufsichtspersonal waren Teil der Un-
ternehmenskonzeption. Die Kultivierung des Moor-
bodens erfolgte ohne Maschineneinsatz. Allein in
den Jahren der Anlage des Kräutergartens bis 1940
kamen hierbei 430 Menschen, vor allem Juden, Sinti
und Roma ums Leben.
SS-Reichsführer Heinrich Himmler räumte dem Pro-
jekt höchste Priorität ein. Naturgemäße Lebens- und
Heilmethoden sollten die „Neue Deutsche Heilkunde"
vorantreiben und die Heilpflanzenkunde zu einem
der Fundamente der nationalsozialistischen Medizin
werden lassen. Ein Jahr nach Projektbeginn wurde 1939
ein eigens dafür vorgesehenes Institut als SS-eigenes
Organ gegründet, die „Deutsche Versuchsanstalt für
Ernährung und Verpflegung GmbH, Werk Dachau".
Seine Hauptaufgaben waren die planmäßige Erfor-
schung und der Anbau der in Deutschland wach-
senden Heilkräuter im Interesse der deutschen
Volkswirtschaft, die Versorgung des deutschen und
ausländischen Marktes mit deutschen Drogen, die
Herstellung neuer Drogen und Mischungen auf
Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen sowie
die Unterhaltung von Laboratorien1. Weitere dem
Werk Dachau unterstellte Anlagen befanden sich in
Ravensbrück und im Bretsteintal in der Steiermark.
Hinter dem Projekt standen jedoch weitreichende
Erwägungen. Für den Kriegsfall war das Ziel, von
Gewürz- und Heilmittelimporten unabhängig zu wer-
den. Die Ernährungsbasis des Reiches sollte gesichert
sowie wundstillende und heilende Pflanzen der
Wehrmacht zur Verfügung gestellt werden. Daher
setzte man auf den Heil- und Gewürzkräuteranbau
im großen und systematischen Stil. Besonders der
massenhafte Gladiolenanbau zur Gewinnung von
Vitamin C, mit dem vor allem Wehrmacht und
SS-Truppen beliefert wurden, und das „Deutsche
Pfeffergewürz", eine Gewürzmischung aus Basilikum,
Majoran und Paprika, das als Pfeffersurrogat dienen
sollte, wurden intensiv vorangetrieben. Für den
Verkauf an die Bevölkerung richtete man einen Laden
im Kräutergarten ein, in dem es Obst, Gemüse,
Schnittblumen, Kräuterteemischungen, Brühwürfel
und den „Deutschen Pfeffer" zu kaufen gab. Über
das Ladengeschäft bestand für einige Insassen die
Möglichkeit zum Kontakt zur Außenwelt. Es konn-
ten Botschaften übermittelt und die Zustände im
Konzentrationslager nach außen getragen werden,
die somit weit über das Umfeld Dachaus hinaus
bekannt gewesen sein dürften.
2 „Fertigmachen!" an den Heilkräuterkulturen Dachau, die Häftlinge treten in die Plantageneinheit an. Titel und „illegale"
Aufnahme von Karel Kasäk, 1944. Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau.