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Vom Ende her denken?! Archäologie, Denkmalpflege, Planen und Bauen <Veranstaltung, 2014, Leipzig>; Winghart, Stefan [Editor]; Haspel, Jörg [Editor]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; ICOMOS / Deutsches Nationalkomitee [Editor]; CW Niemeyer Buchverlage GmbH [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Vom Ende her denken?!: Archäologie, Denkmalpflege, Planen und Bauen : Kolloquium des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS und des Deutschen Archäologischen Instituts in Kooperation mit der Bundesarchitektenkammer, dem Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland und dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege : Leipzig, 7. November 2014 = — Hameln: CW Niemeyer Buchverlage, Heft 46.2016

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Thomas Will
Die Wurzeln der Stadt
Praktischer Umgang mit archäologischen Überlieferungen in der Moderne

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eine alltägliche, profane Benutzung oder gar ein Be-
wohnen ausgeschlossen. Betrachten wir nun die
geschichtlichen Sedimente der Stadt aus dem Blick-
winkel des modernen Städtebaus, wie er vor 100
Jahren entwickelt wurde, so erkennen wir eine Um-
kehrung der Perspektive: Bei den Stadtprojekten
der Avantgarde sind die historischen Relikte - so-
fern sie überhaupt eines Gedankens gewürdigt wer-
den - in den Hintergrund gerückt. Nicht nur die
in den Untergrund versunkenen Schichten, auch
altersschwache Stadtgebiete haben sich unter
einem klinischen Blick in Zonen des Verfalls oder, im
besseren Fall, in archäologische Reservate verwandelt.
Vor dieser düsteren Kulisse konnte die neue Stadt
umso strahlender auftreten.8 Das war angesichts der
Misere, in die die alten Städte durch Industrialisierung,
Liberalismus und exponentielles Wachstum geraten
waren, auch am Platze. Beim Aufbruch in die Moderne
sah man sich genötigt, die alte Stadt von Grund auf zu
reformieren. Darin stimmten alle, auch die gemäßigten
Kräfte, überein. Was aus dem geschichtlich geprägten
Grund in den städtebaulichen Unternehmungen und
Visionen des vergangenen Jahrhunderts geworden
ist, sei im Folgenden anhand einiger Stichworte und
Beispiele in Erinnerung gebracht.


2a Vorgeschichte als Inspiration: Paris, Hotel Beauvais,
Grundriss Erdgeschoss, Antoine Le Pautre, 1652-55.

Antworten auf das Untergegangene - Konzepte
des 20. Jahrhunderts
1 Evakuierung
Der Gartenstadt, dem wichtigsten Modell der moder-
nen Stadtreform, liegt die Idee der Evakuierung
zugrunde. Die alte, verkommene Stadt sollte ten-
denziell aus der Geschichte getilgt und der Natur
zurückerstattet werden. Erst nach dem völligen Ab-
sterben könne London - auf das sich Ebenezer Ho-
ward, der Vater des Gartenstadtgedankens, in seiner
grundlegenden Schrift von 1898 bezieht - später als
„eine neue Stadt aus der Asche der alten erstehen "9. In
der Praxis wurde aus diesem Modell der Auslöschung
eines der Symbiose: Die zahlreichen, frei von allen
historischen Wurzeln auf jungfräulichem Boden
errichteten Gartenstädte haben kein einziges der
alten Stadtzentren ersetzt, sondern sie koexistieren
mit ihnen in fortdauernder Abhängigkeit.
2 Abschied vom Untergrund
Radikalster Gegenspieler des Gartenstadtgedankens
wurde nach dem Ersten Weltkrieg Le Corbusier mit
seinen Großstadtprojekten. 1915 entsteht sein ers-
ter Entwurf einer Stadt auf Stützen.10 Nur über die
Treppenaufgänge und einen „leichten Wald aus
Pfahlstützen" sollten die Häuser den Boden berühren.
Aus ihren feuchten Kellern, über die Zufälligkeiten
der Geländeform und des Untergrunds hinweg sollen
die Stützen die Stadt emporheben „in die Lüfte, in


2b Zeichnung (M. du Seigneur) der mittelalterlichen Keller.
Aus: T. Valena: Beziehungen. Über den Ortsbezug in der
Architektur, Berlin 1994, 98.
 
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