114 Weimar, Karl-Liebknecht-
Straße 5-9. Vestibül des
Bertlich-Hauses.
115 Weimar, Schloß. Oberes
Treppenhaus im Ostflügel.
Die dorische Säule
Im Neoklassizismus gewinnt der Rückgriff auf die neu ent-
deckte und daher nicht durch jahrhundertelangen Gebrauch
abgenützte archaische dorische Säule zeitweise fast modi-
sche Züge. Hiergegen wendet sich neben anderen auch
Gentz, der fordert, daß der Architekt den Charakter eines
Gebäudes aus dessen Innerem und seiner Bestimmung ent-
wickeln müsse. Das führt keineswegs zwingend zur Verwen-
dung von Säulenordnungen im Sinne der auf der antiken Ar-
chitekturlehre des Marcus Vitruvius Pollio fußenden Tradi-
tion, schließt sie aber auch nicht aus. Es ist dann nicht gleich-
gültig, welcher Säulenart man sich bedient. Der Charakter
des ganzen Gebäudes muß deren Wahl motivieren. Wie
schon der römische Architekturtheoretiker, nimmt Gentz für
die dorische - bei ihm archaische - Ordnung Ernst, Hoheit
und Kraft in Anspruch. Wehrhafte öffentliche Gebäude stel-
83 len sie zur Schau - hier sei nur an Langhans’ Brandenburger
Tor erinnert. Denkmäler fordern zur Ehrfurcht auf - hier ist
der Entwurf Friedrich Gillys für ein Denkmal Friedrichs des
Großen einzuordnen. Münzgebäude verwenden sie insbe- 91
sondere als Zeichen der Energie. Doch nicht nur hier allein
sind sie Bedeutungsträger. Ledoux’ Tor zur Saline in Chaux
ist 1775 eine Portikus von sechs Säulen vorgestellt, Thomas
Telford setzt 1825/28 die Lagerhäuser in dem St Katharine
Dock von London auf stämmige archaisch-dorische Stüt-
zen. Carl Ludwig Althans stellt 1828 in die Halle der Gieß-
hütte von Sayn Reihen monumentaler gußeiserner Schäfte.
Selbst Maschinen gewinnen durch dorische Säulen eine
über ihren Zweck hinausweisende Würde - etwa 1807/08
am Pumpenwerk des Johannes-Brunnenhauses von Schloß
Nymphenburg des Josef von Baader. So dürfen wir die Säu-
len des Vieweg-Hauses nicht mit dem Aperpu des Pariser Li-
teraten Jacques-Antoine Dulaure abtun, der 1785 über jene
Tempelhäuser seiner Zeit spottet, die die Bescheidenheit
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Straße 5-9. Vestibül des
Bertlich-Hauses.
115 Weimar, Schloß. Oberes
Treppenhaus im Ostflügel.
Die dorische Säule
Im Neoklassizismus gewinnt der Rückgriff auf die neu ent-
deckte und daher nicht durch jahrhundertelangen Gebrauch
abgenützte archaische dorische Säule zeitweise fast modi-
sche Züge. Hiergegen wendet sich neben anderen auch
Gentz, der fordert, daß der Architekt den Charakter eines
Gebäudes aus dessen Innerem und seiner Bestimmung ent-
wickeln müsse. Das führt keineswegs zwingend zur Verwen-
dung von Säulenordnungen im Sinne der auf der antiken Ar-
chitekturlehre des Marcus Vitruvius Pollio fußenden Tradi-
tion, schließt sie aber auch nicht aus. Es ist dann nicht gleich-
gültig, welcher Säulenart man sich bedient. Der Charakter
des ganzen Gebäudes muß deren Wahl motivieren. Wie
schon der römische Architekturtheoretiker, nimmt Gentz für
die dorische - bei ihm archaische - Ordnung Ernst, Hoheit
und Kraft in Anspruch. Wehrhafte öffentliche Gebäude stel-
83 len sie zur Schau - hier sei nur an Langhans’ Brandenburger
Tor erinnert. Denkmäler fordern zur Ehrfurcht auf - hier ist
der Entwurf Friedrich Gillys für ein Denkmal Friedrichs des
Großen einzuordnen. Münzgebäude verwenden sie insbe- 91
sondere als Zeichen der Energie. Doch nicht nur hier allein
sind sie Bedeutungsträger. Ledoux’ Tor zur Saline in Chaux
ist 1775 eine Portikus von sechs Säulen vorgestellt, Thomas
Telford setzt 1825/28 die Lagerhäuser in dem St Katharine
Dock von London auf stämmige archaisch-dorische Stüt-
zen. Carl Ludwig Althans stellt 1828 in die Halle der Gieß-
hütte von Sayn Reihen monumentaler gußeiserner Schäfte.
Selbst Maschinen gewinnen durch dorische Säulen eine
über ihren Zweck hinausweisende Würde - etwa 1807/08
am Pumpenwerk des Johannes-Brunnenhauses von Schloß
Nymphenburg des Josef von Baader. So dürfen wir die Säu-
len des Vieweg-Hauses nicht mit dem Aperpu des Pariser Li-
teraten Jacques-Antoine Dulaure abtun, der 1785 über jene
Tempelhäuser seiner Zeit spottet, die die Bescheidenheit
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