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des Gottes, der sie bewohnt, verkünden. Auf das Erdge-
schoß beschränkt, mit schlichtem Architrav, ohne Giebel,
sind sie Ausdruck eines selbstbewußten Unternehmertums.
Bei aller Freiheit, die sich Architekten der Jahre um 1800 er-
lauben, ist der dorische Stil am Vieweg-Haus durchgehalten.
Dem zum glatten Architrav vereinfachten Gebälk der Porti-
ken entspricht das auf die Ausladung zurückgenommene
Kranzgesims mit seinen tropfenlosen Platten. Zwei Spiel-
arten der dorischen Sohlbank wie das dorische Gurtgesims
als ebenfalls neue, wie selbstverständlich wirkende Formen
schließen sich an. Noch ganz im Gefolge des Vitruv als anti-
ker Autorität dient die ionische Ordnung als Steigerung im
Obergeschoß des Mittelrisalits der Burgstraßenfront: Sie ist
kunstvoll versteckt in der reicheren Ornamentik des Brü-
stungsbandes - Rosetten und Blattbüscheln - und des
Gurtgesimses - Palmetten und Blüten - und in Andeutung
zitiert im Zahnschnitt des Kranzgesimses und des Frontons;
Fotos aus der Zeit vor den Kriegsschäden belegen dies De-
tail. Wie schon in den klug abwägenden Äußerungen von
Gentz zeigt sich hier auch am Gebäude, daß Neoklassizis-
mus nicht Umsturz, sondern Neubesinnung bedeutet, Aus-
einandersetzung mit einer dennoch als verbindlich gesehe-
nen lebendigen Tradition. So wird es möglich, in der Sprache
der Architektur über den Ernst und die Kraft dorischen Stils
die Heiterkeit und Eleganz des ionischen zu stellen, Arbeits-
stätte und Wohnung in der Bauzier für den Wissenden au-
genfällig werden zu lassen.
Nur am Rande gestreift sei, daß die Säulen des Vieweg-Hau-
ses auch einen Einblick in die Kenntnisse klassischer Ar-
chäologie um 1800 vermitteln. Sie besitzen nämlich nicht die
übliche grätige Kannelierung dorischer, sondern die mit Steg
versehene Kannelierung ionischer Säulen. Sie entsprechen
damit zumindest - bei völlig anderer Proportionierung - dem
Muster des Brandenburger Tors. Oder besser, sie überlie-
fern einen Irrtum. Stuart und Revett erkannten
1751/54 nicht, daß im Inneren der Propyläen der Burg von
Athen nicht wie am Außenbau dorische, sondern ionische
Säulen ursprünglich das Gebälk trugen. Also rekonstruierten
sie über den ionischen Schäften dorische Kapitelle und
schufen damit eine alsbald - in gutem Glauben - aufgegrif-
fene neue Form.
Das Vieweg-Haus und die Architektur
Braunschweigs
Der erste repräsentative Großbau Brauschweigs nach der
Modernisierung des Neustadt-Rathauses, 1777 bis 1785,
war die Errichtung des Landschaftshauses am Eiermarkt
durch Christian Gottlob Langwagen 1794 bis 1799. Dieses
frühe deutsche Parlament schmückt sich mit einer ionischen
Portikus vor einem dreiteiligen Baukörper unter breitem
Walmdach. Das Mittelrisalit übersteigt die zweigeschossi-
gen, sechsachsigen Rücklagen mit Attika und Giebel vor
einem höhergezogenen Traufendach. Schwach entwickelte
Sockel und die übergroße aufgeputzte Rustika stehen einer
monumentalen Wirkung entgegen, die einzig durch die
schwere Mitte erreicht wird.
1794 entworfen, 1797 bis 1799 ausgeführt ist das Braun-
schweiger Haus Breite Straße 19. Eine Front von neun Ach-
sen Länge und drei Geschossen unter einem Walmdach ist
in den Rücklagen mit einer vom Landschaftshaus bekannten
großteiligen Rustika überzogen. Das Mittelrisalit ist flach ge-
halten, die Fenster des Hauptgeschosses übergiebelt. Den
Fries des über die Traufe hochgezogenen Mittelteils gliedern
große dorische Konsolen mit zwischengehängten Festons.
Die Zugänge zum Haus liegen in den Rücklagen. Nichts
macht den Umbruch, den das Vieweg-Haus bedeutet, deut-
119 Braunschweig, Breite Straße 19. Kopie des Entwurfes für
Haus Weidlich nach Christian Gottlob Langwagen 1794.
Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel.
licher als diese anspruchsvolle, aber eben auch traditions-
verhaftete Front.
Ein früherer Entwurf des gleichen Architekten von 1792 ist
gegenüber diesen provinziellen Leistungen weitläufiger. Die 116
horizontale Schichtung in Sockelgeschoß, Haupt- und Halb-
geschoß wird im Mittelrisalit von einer römisch-dorischen
Säulenhalle auf hoher Treppenanlage durchbrochen. Der
Mittelblock wird von einer Flachkuppel überwölbt, der ge-
samte Baukörper von einer niedrigen Attika zusammenge-
faßt. Hier wird der Einfluß des englischen Palladianismus
deutlich, dessen Zentren in den 80er Jahren Berlin und Des-
sau waren. Langwagen begegnete ihm im Frühjahr 1789 auf
einer mehrwöchigen Studienreise. Ebenfalls für Braun-
schweig bestimmt ist der Entwurf Jussows für ein Wohnhaus 118
der von Veltheim aus dem Jahr 1800. Es steht in der Disposi-
tion der Planung von Langwagen verblüffend nahe. Aber wie
anders der Geist, der es durchdringt. Die griechisch-dori-
sche Ordnung, die Flachkuppel über geschlossener Trom-
mel verleihen dem Gebäude im Sinne des Zeitgeschmacks
eine Schwere, die den Quader blockhaft und horizontal ge-
schichtet wirken läßt, und dies, obwohl die Attika durch eine
leichtere Balustrade ersetzt ist.
Wie sich die neue Haltung des Vieweg-Hauses in der bürger-
lichen Architektur Braunschweigs wiederspiegelt, hat Claus
Rauterberg am Beispiel des Kammerbaumeisters Heinrich
Ludwig Rotermundt belegt. In unserem Zusammenhang
scheint wichtiger die Wirkung, die das Vieweg-Haus auf
einen Architekten von Rang, den 1803 nach hier berufenen
Krähe, ausübte. Seine ersten Entwürfe zeugen von der Irrita-
tion, die die Begegnung für ihn bedeutete. Seine Villa Salve
Hospes für die Kaufmannsfamilie Krause, 1804 entworfen,
1805 bis 1808 errichtet, ist der erste Beleg. Die Verspannun-
gen des stark vorspringenden Mittelrisalits der Stadtseite 120
über die Nische hinweg durch das Gurtgesims unter dem
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des Gottes, der sie bewohnt, verkünden. Auf das Erdge-
schoß beschränkt, mit schlichtem Architrav, ohne Giebel,
sind sie Ausdruck eines selbstbewußten Unternehmertums.
Bei aller Freiheit, die sich Architekten der Jahre um 1800 er-
lauben, ist der dorische Stil am Vieweg-Haus durchgehalten.
Dem zum glatten Architrav vereinfachten Gebälk der Porti-
ken entspricht das auf die Ausladung zurückgenommene
Kranzgesims mit seinen tropfenlosen Platten. Zwei Spiel-
arten der dorischen Sohlbank wie das dorische Gurtgesims
als ebenfalls neue, wie selbstverständlich wirkende Formen
schließen sich an. Noch ganz im Gefolge des Vitruv als anti-
ker Autorität dient die ionische Ordnung als Steigerung im
Obergeschoß des Mittelrisalits der Burgstraßenfront: Sie ist
kunstvoll versteckt in der reicheren Ornamentik des Brü-
stungsbandes - Rosetten und Blattbüscheln - und des
Gurtgesimses - Palmetten und Blüten - und in Andeutung
zitiert im Zahnschnitt des Kranzgesimses und des Frontons;
Fotos aus der Zeit vor den Kriegsschäden belegen dies De-
tail. Wie schon in den klug abwägenden Äußerungen von
Gentz zeigt sich hier auch am Gebäude, daß Neoklassizis-
mus nicht Umsturz, sondern Neubesinnung bedeutet, Aus-
einandersetzung mit einer dennoch als verbindlich gesehe-
nen lebendigen Tradition. So wird es möglich, in der Sprache
der Architektur über den Ernst und die Kraft dorischen Stils
die Heiterkeit und Eleganz des ionischen zu stellen, Arbeits-
stätte und Wohnung in der Bauzier für den Wissenden au-
genfällig werden zu lassen.
Nur am Rande gestreift sei, daß die Säulen des Vieweg-Hau-
ses auch einen Einblick in die Kenntnisse klassischer Ar-
chäologie um 1800 vermitteln. Sie besitzen nämlich nicht die
übliche grätige Kannelierung dorischer, sondern die mit Steg
versehene Kannelierung ionischer Säulen. Sie entsprechen
damit zumindest - bei völlig anderer Proportionierung - dem
Muster des Brandenburger Tors. Oder besser, sie überlie-
fern einen Irrtum. Stuart und Revett erkannten
1751/54 nicht, daß im Inneren der Propyläen der Burg von
Athen nicht wie am Außenbau dorische, sondern ionische
Säulen ursprünglich das Gebälk trugen. Also rekonstruierten
sie über den ionischen Schäften dorische Kapitelle und
schufen damit eine alsbald - in gutem Glauben - aufgegrif-
fene neue Form.
Das Vieweg-Haus und die Architektur
Braunschweigs
Der erste repräsentative Großbau Brauschweigs nach der
Modernisierung des Neustadt-Rathauses, 1777 bis 1785,
war die Errichtung des Landschaftshauses am Eiermarkt
durch Christian Gottlob Langwagen 1794 bis 1799. Dieses
frühe deutsche Parlament schmückt sich mit einer ionischen
Portikus vor einem dreiteiligen Baukörper unter breitem
Walmdach. Das Mittelrisalit übersteigt die zweigeschossi-
gen, sechsachsigen Rücklagen mit Attika und Giebel vor
einem höhergezogenen Traufendach. Schwach entwickelte
Sockel und die übergroße aufgeputzte Rustika stehen einer
monumentalen Wirkung entgegen, die einzig durch die
schwere Mitte erreicht wird.
1794 entworfen, 1797 bis 1799 ausgeführt ist das Braun-
schweiger Haus Breite Straße 19. Eine Front von neun Ach-
sen Länge und drei Geschossen unter einem Walmdach ist
in den Rücklagen mit einer vom Landschaftshaus bekannten
großteiligen Rustika überzogen. Das Mittelrisalit ist flach ge-
halten, die Fenster des Hauptgeschosses übergiebelt. Den
Fries des über die Traufe hochgezogenen Mittelteils gliedern
große dorische Konsolen mit zwischengehängten Festons.
Die Zugänge zum Haus liegen in den Rücklagen. Nichts
macht den Umbruch, den das Vieweg-Haus bedeutet, deut-
119 Braunschweig, Breite Straße 19. Kopie des Entwurfes für
Haus Weidlich nach Christian Gottlob Langwagen 1794.
Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel.
licher als diese anspruchsvolle, aber eben auch traditions-
verhaftete Front.
Ein früherer Entwurf des gleichen Architekten von 1792 ist
gegenüber diesen provinziellen Leistungen weitläufiger. Die 116
horizontale Schichtung in Sockelgeschoß, Haupt- und Halb-
geschoß wird im Mittelrisalit von einer römisch-dorischen
Säulenhalle auf hoher Treppenanlage durchbrochen. Der
Mittelblock wird von einer Flachkuppel überwölbt, der ge-
samte Baukörper von einer niedrigen Attika zusammenge-
faßt. Hier wird der Einfluß des englischen Palladianismus
deutlich, dessen Zentren in den 80er Jahren Berlin und Des-
sau waren. Langwagen begegnete ihm im Frühjahr 1789 auf
einer mehrwöchigen Studienreise. Ebenfalls für Braun-
schweig bestimmt ist der Entwurf Jussows für ein Wohnhaus 118
der von Veltheim aus dem Jahr 1800. Es steht in der Disposi-
tion der Planung von Langwagen verblüffend nahe. Aber wie
anders der Geist, der es durchdringt. Die griechisch-dori-
sche Ordnung, die Flachkuppel über geschlossener Trom-
mel verleihen dem Gebäude im Sinne des Zeitgeschmacks
eine Schwere, die den Quader blockhaft und horizontal ge-
schichtet wirken läßt, und dies, obwohl die Attika durch eine
leichtere Balustrade ersetzt ist.
Wie sich die neue Haltung des Vieweg-Hauses in der bürger-
lichen Architektur Braunschweigs wiederspiegelt, hat Claus
Rauterberg am Beispiel des Kammerbaumeisters Heinrich
Ludwig Rotermundt belegt. In unserem Zusammenhang
scheint wichtiger die Wirkung, die das Vieweg-Haus auf
einen Architekten von Rang, den 1803 nach hier berufenen
Krähe, ausübte. Seine ersten Entwürfe zeugen von der Irrita-
tion, die die Begegnung für ihn bedeutete. Seine Villa Salve
Hospes für die Kaufmannsfamilie Krause, 1804 entworfen,
1805 bis 1808 errichtet, ist der erste Beleg. Die Verspannun-
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