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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Umgang mit dem Original — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 7.1988

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Börsch-Supan, Helmut: Schauwert und originale Substanz
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https://doi.org/10.11588/diglit.51140#0037
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cheren trifft. Wenn Besucher abgedrängt werden sollen, dann
nicht die ärmeren, sondern diejenigen, die keinen Kunstsinn
entwickeln können. Ein Banause zu sein, sollte nicht diskrimi-
nierend sein, solange dieser Banause nichts zerstört. Sinnlos
erscheint es mir jedoch, die Besucherstatistik in Museen mit
einem Nulltarif zu stimulieren, der nur zu oberflächlichem
Durchlauf anregt.
Besucherströme könnten beeinflußt werden, indem robustere
Kunstdenkmale durch Werbung attraktiv gemacht werden. Es
wäre wichtig, ein Interesse an neueren Werken zu wecken.
Das geht nicht ohne Zusammenarbeit mit den Medien. Die Ge-
fährdung der Kunstwerke durch die Besucher muß bewußt
gemacht werden, aber möglichst ohne ein unfreundliches
System von Absperrungen. Eine Atmosphäre von Offenheit
sollte vielmehr genutzt werden, um das Verantwortungsgefühl
zu wecken. Hier ist besonders das Gespräch mit den Kultur-
politikern zu suchen, um diese von der Notwendigkeit weit-
sichtiger Konzeptionen zu überzeugen. Meinungsverschie-
denheiten zwischen Konservatoren und Kulturpolitikern erge-
ben sich immer wieder, weil jene als Historiker in größeren Zeit-
räumen zu denken gewohnt sind, während der Kulturpolitiker
primär die Augenblickserfolge erstrebt und nur ungern die
schädlichen Spätfolgen in Betracht zieht, die anfangs nütz-
liche Neuerungen haben können.
Sehr hilfreich als ein deutliches Signal für Verantwortungsbe-
wußtsein wäre es, wenn die Regierungen davon Abstand neh-
men würden, historische Bauten in dem Maße zu Repräsenta-
tionszwecken zu nutzen, wie es an manchen Orten geschieht,
und dabei in aller Öffentlichkeit zu demonstrieren, wie wert-
volle Substanz verschlissen wird. Auseinandersetzungen der
Klugheit mit der Macht sind freilich schwer zu führen, wo die
Macht nicht etwas Klugheit und die Klugheit nicht etwas
Macht besitzt. Manchmal bedarf es der Zivilcourage, die hier-
zulande nicht allzu verbreitet ist.
An Brennpunkten des Kunsttourismus ist es nötig, eine mög-
lichst umfassende, sachliche Information in Form vonTondia-
schauen, Fotoaussteliungen, aber auch mit Schriften und Füh-
rungen für jede Art von Besuchern zu bieten, weil die intellektu-
elle Anstrengung des Konservators und seiner Helfer zum Re-
spekt erzieht und überdies zum Sehen anleitet. An den Besu-
cher müssen Ansprüche gestellt werden. Statt die Kunstwerke
auf ein niedriges Publikumsniveau herabzuziehen, wie es oft
bei Schloßführungen geschieht, muß das Publikum auf das
höhere Niveau der Kunstwerke gehoben werden. Damit meine
ich nicht, daß über die Köpfe der Besucher hinweggeredet
werden soll.
Die Verbindung von konservatorischer und pädagogischer
Tätigkeit hat den Vorzug, daß der Konservator die Autorität, die
er als Interpret gewinnt, für seine Schutzmaßnahmen einset-
zen kann. Ein Konservator, der nur auf die Sicherung der Kunst
achtet, gerät in den Verdacht, er wolle die Kunst für einen klei-
nen Kreis von Experten zurückhalten. Er wird leicht von denen
beiseite gedrängt, die alles zum Geschwätz und Verschleiß
preisgeben wollen. Der Tendenz, Kunstgut immer mehr in den
großen Zentren zusammenzuballen, um Aufgeschlossenheit
für Kultur stets aufs neue zu demonstrieren, sollte aus ver-
schiedenen Gründen entgegengewirkt werden. Wenn auch
vielleicht die konservatorische Behandlung in den großen
Städten besser ist, für die Entwicklung eines allgemeinen Sin-
nes für die Pflege von Kulturgütern sind die über das ganze
Land verstreuten Kunststätten und Museen wichtig. Die De-
zentralisierung verursacht zwar höhere Kosten, auch Perso-
nalkosten, aber der Bildungseffekt ist größer als in den über-
laufenen Riesenmuseen. Für die Schwemme von jungen
Kunsthistorikern würden sich hier Perspektiven auftun, zwar
keine glänzenden, aber sehr sinnvolle.

Zwar ist zu bedenken, daß bedeutende Kunstwerke an ent-
legeneren Orten besonderen Gefahren ausgesetzt sind, spe-
ziell in Kirchen. Wenn dort einmal die Originale durch Kopien
ersetzt werden sollten, weil es z. B. nicht mehr zu vertreten ist,
daß ein echter Tiepolo einen Seitenaltar schmückt, dann
müßte ein solches Altarblatt am Ort bleiben und in einem klei-
nen Museum seinen Platz finden. Die Ausplünderung des Lan-
des zugunsten der Hauptstädte, wie man sie besonders im
19. Jahrhundert betrieben hat, war eine Barbarei, wenn da-
durch auch vieles gerettet wurde.
Es wäre zu wünschen, daß Kopisten ausgebildet werden, die
das allgemeine Niveau der Kopie wieder anheben, damit Mei-
sterwerke tatsächlich so ersetzt werden können, daß ihr
Schauwert in der Kopie erhalten bleibt. Der verbreiteten Ge-
ringschätzung von Kopien, die ja ein Phänomen unseres Jahr-
hunderts ist, sollte entgegengewirkt werden. Eine besondere
Aufgabe in der Erziehung des Publikums zu pfleglichem Um-
gang mit Kunstwerken scheint mir den Museumsschlössern
zuzukommen. Hier ist einerseits der Anteil an wenig interes-
sierten Besuchern, die nur dem allgemeinen Touristenstrom
folgen, besonders groß und die Gefährdung der Kunstwerke
besonders stark. Die von manchen Museen propagierte De-
gradierung der Schlösser durch die Wegnahme der bedeuten-
deren Kunstwerke führt nur dazu, daß das konservatorische
Niveau der Schlösser sinkt und diese um so schneller herun-
tergewirtschaftet werden.
Wir müssen einsehen, daß die Gefährdung der Kunstwerke
durch rücksichtslosen Umgang mit ihnen kein isoliertes Pro-
blem ist, das mit einem Bündel von Einzelmaßnahmen bewäl-
tigt werden kann, sondern daß dieses Problem nur eines von
vielen Symptomen einer tief sitzenden Zeitkrankheit ist. Mate-
rielle Hilfen wie das Verglasen von Ölgemälden und die Einhal-
tung der Luxwerte für Papier sind gewiß richtig, aber von
Grund auf lassen sich die Verhältnisse nur durch Bildung und
Erziehung bessern. Das muß früh anfangen, am besten in den
Schulen. Im Kunstunterricht müßte neben den wenigen
Grundlagen der Kunstgeschichte nicht nur die Kreativität und
damit die Selbstentfaltung gelehrt werden, die sich oft zerstö-
rerisch auswirkt, sondern auch zusammen mit der Schulung
des Auges der pflegliche Umgang mit den Kunstwerken, der
nicht zuletzt eine soziale Komponente besitzt. Sehen lernen,
Einsicht gewinnen ist schließlich auch Rücksicht zu nehmen
lernen.
Gestatten Sie mir als Museumsmann auf dieser Tagung von
Denkmalpflegern eine abschließende Bemerkung. Das Mu-
seumswesen - das betrifft vor allem die großen Häuser - befin-
det sich in einer Krise, denn wir haben es noch nicht gelernt,
mit der großen Macht, die uns zugewachsen ist und ständig
zuwächst, verantwortungsvoll umzugehen. Kunstwerke sind
Wertpapiere, sie sind ein Machtpotential geworden, das bei
politischen Aktionen eingesetzt wird. Wir verhandeln immer
mehr mit Banken, wenn wir etwas für das Museum sichern
wollen, und der Kunsthändler mit der Bank im Hintergrund hat
eher das Ohr des Ministers als der Museumsdirektor. Kultur-
politik ist eine Funktion der Wirtschafts- oder gar der Außen-
politik. Dem liegt ein gründliches Mißverstehen dessen zu-
grunde, was Kultur eigentlich ist. Zu ihr gehört sicher auch
Wachstum, aber unter dem Aspekt der Pflege. Pflege ist nur
mit Umsicht möglich, die alles umschließt, auch die Natur und
vor allem den Menschen. Pflege ist die eigentlich humane Tä-
tigkeit. Sie ist mehr denn je gefordert, denn die Welt ist ein Pfle-
gefall geworden. Diese Grundlage sollte dem Museumsbeam-
ten und dem Denkmalpfleger gemeinsam sein. Ich hoffe, daß
sie bei Ihnen stabiler ist als bei uns, damit wir uns auf Sie stüt-
zen können.

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