Der Heiligenthaler Altar
Peter Königfeld/Joachim Frey
Vorbemerkung
Umgang mit dem Original: Eine äußerst facettenreiche denk-
malpflegerische Aufgabe, für die sicher keine klaren rezeptur-
haften Lösungswege existieren, nicht existieren dürfen! - Das
Problem der Vorgehensweise stellt sich an jedem Objekt neu,
muß objektspezifisch gelöst werden, nachdem alle Fragen, die
vom Denkmal kommen, beantwortet sind: Was ist der Original-
zustand? Welche Veränderungen hat er erfahren? Bedeuten
diese Veränderungen Gewinn oder Minderung an geschicht-
lichem und künstlerischem Aussagewert? Welches Ziel muß/
darf der denkmalpflegerische Eingriff verfolgen?
Bei einem Baudenkmal als einem komplexen Gesamtkunst-
werk, das vielerlei Nutzungen, An- und Umbauten sowie Neu-
ausstattungen erfahren hat, würde die immer ja nur annähe-
rungsweise mögliche Rückführung auf den Originalzustand -
das ist der Zustand unmittelbar nach der Schöpfung - in den
meisten Fällen die Zerstörung aller Zutaten, der Geschichte
des Bauwerkes in Kauf nehmen. Das Beispiel des Lüneburger
Patrizierhauses Am Ochsenmarkt 1 zeigt, daß nur durch das
Aktzeptieren der Veränderungen, durch vorsichtiges Heraus-
präparieren und Konservieren im Ganzen und ein zurückhal-
tendes Restaurieren im Detail, der Zeugnischarakter und der
Geschichtswert des gewachsenen Denkmals bewahrt wer-
den können.
Etwas anders stellt sich das Problem sicher bei einem Kunst-
denkmal wie dem, vor dem wir uns hier in der Nikolaikirche ver-
sammelt haben, dar. Es ist ein Denkmal, das als Gesamtheit
nur noch in der Imagination existiert, dessen einzelne Bestand-
teile über den Raum verteilt erscheinen.
Entstehung
Nicht zu verwechseln mit dem heutigen Hochaltar, von dem im
Fortlauf noch kurz zu sprechen sein wird, handelt es sich hier-
bei um den alten Hochaltar der St. Nikolaikirche, der durch
seine Bezeichnung „Heiligenthaler Altar“ darauf verweist, daß
er nicht für diese Kirche bestimmt war. Vielmehr wurde er von
den Prämonstratensern des Klosters Heiligenthal für ihre Lü-
neburger Ordenskirche St. Andreas bestellt. Die Legenden der
Hauptpatrone des Klosters, Andreas und Laurentius, waren in
je acht Bildern auf den Flügeln dargestellt. Das Kloster selbst
erscheint deutlich hervorgehoben auf den mit Ansichten der
Stadt Lüneburg versehenen Szenen „Abraham begegnet Mel-
chisedek“ und „Bestrafung des Statthalters Aegeas“. Die Ent-
stehungszeit des Altares läßt sich anhand dieser Stadtansich-
ten deutlich auf die Zeit zwischen 1440 und 1450 eingrenzen:
Auf der kleineren Tafel ist die Gertrudenkapelle vor dem Roten
Tor noch unvollendet, auf der größeren fertiggestellt. Ihre Er-
bauung ist urkundlich zwischen 1444-1447 belegt. Dazu
stimmt die Erwähnung in einem Leibrentenbrief des Klosters
Heiligenthal von 1444, wonach Mittel in Höhe von 500 Mark
verwendet werden sollten, „to vorguldende unse tafelen uppe
deme hoghen altare“.
Während die Entstehung der gesamten Holzskulptur aus stil-
kritischen Gründen bereits 1425 in einer Lüneburger Werk-
statt, vielleicht des Hermann Snitker, anzunehmen ist, stellen
die insgesamt 18Tafelgemälde ein Hauptwerk des Hamburger
Malers Hans Bornemann dar. Dies hat Helmut Reinecke 1938
herausgearbeitet. 1444 erstmals im Testament des Conrad
von Vechta, des damals wichtigsten Hamburger Malers er-
wähnt, hat Bornemann 1448 dessen Werkstatt übernommen.
1 Heiligenthaler Altar, Opfer
des Melchisedek, Stadtansicht
(Ausschnitt).
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Peter Königfeld/Joachim Frey
Vorbemerkung
Umgang mit dem Original: Eine äußerst facettenreiche denk-
malpflegerische Aufgabe, für die sicher keine klaren rezeptur-
haften Lösungswege existieren, nicht existieren dürfen! - Das
Problem der Vorgehensweise stellt sich an jedem Objekt neu,
muß objektspezifisch gelöst werden, nachdem alle Fragen, die
vom Denkmal kommen, beantwortet sind: Was ist der Original-
zustand? Welche Veränderungen hat er erfahren? Bedeuten
diese Veränderungen Gewinn oder Minderung an geschicht-
lichem und künstlerischem Aussagewert? Welches Ziel muß/
darf der denkmalpflegerische Eingriff verfolgen?
Bei einem Baudenkmal als einem komplexen Gesamtkunst-
werk, das vielerlei Nutzungen, An- und Umbauten sowie Neu-
ausstattungen erfahren hat, würde die immer ja nur annähe-
rungsweise mögliche Rückführung auf den Originalzustand -
das ist der Zustand unmittelbar nach der Schöpfung - in den
meisten Fällen die Zerstörung aller Zutaten, der Geschichte
des Bauwerkes in Kauf nehmen. Das Beispiel des Lüneburger
Patrizierhauses Am Ochsenmarkt 1 zeigt, daß nur durch das
Aktzeptieren der Veränderungen, durch vorsichtiges Heraus-
präparieren und Konservieren im Ganzen und ein zurückhal-
tendes Restaurieren im Detail, der Zeugnischarakter und der
Geschichtswert des gewachsenen Denkmals bewahrt wer-
den können.
Etwas anders stellt sich das Problem sicher bei einem Kunst-
denkmal wie dem, vor dem wir uns hier in der Nikolaikirche ver-
sammelt haben, dar. Es ist ein Denkmal, das als Gesamtheit
nur noch in der Imagination existiert, dessen einzelne Bestand-
teile über den Raum verteilt erscheinen.
Entstehung
Nicht zu verwechseln mit dem heutigen Hochaltar, von dem im
Fortlauf noch kurz zu sprechen sein wird, handelt es sich hier-
bei um den alten Hochaltar der St. Nikolaikirche, der durch
seine Bezeichnung „Heiligenthaler Altar“ darauf verweist, daß
er nicht für diese Kirche bestimmt war. Vielmehr wurde er von
den Prämonstratensern des Klosters Heiligenthal für ihre Lü-
neburger Ordenskirche St. Andreas bestellt. Die Legenden der
Hauptpatrone des Klosters, Andreas und Laurentius, waren in
je acht Bildern auf den Flügeln dargestellt. Das Kloster selbst
erscheint deutlich hervorgehoben auf den mit Ansichten der
Stadt Lüneburg versehenen Szenen „Abraham begegnet Mel-
chisedek“ und „Bestrafung des Statthalters Aegeas“. Die Ent-
stehungszeit des Altares läßt sich anhand dieser Stadtansich-
ten deutlich auf die Zeit zwischen 1440 und 1450 eingrenzen:
Auf der kleineren Tafel ist die Gertrudenkapelle vor dem Roten
Tor noch unvollendet, auf der größeren fertiggestellt. Ihre Er-
bauung ist urkundlich zwischen 1444-1447 belegt. Dazu
stimmt die Erwähnung in einem Leibrentenbrief des Klosters
Heiligenthal von 1444, wonach Mittel in Höhe von 500 Mark
verwendet werden sollten, „to vorguldende unse tafelen uppe
deme hoghen altare“.
Während die Entstehung der gesamten Holzskulptur aus stil-
kritischen Gründen bereits 1425 in einer Lüneburger Werk-
statt, vielleicht des Hermann Snitker, anzunehmen ist, stellen
die insgesamt 18Tafelgemälde ein Hauptwerk des Hamburger
Malers Hans Bornemann dar. Dies hat Helmut Reinecke 1938
herausgearbeitet. 1444 erstmals im Testament des Conrad
von Vechta, des damals wichtigsten Hamburger Malers er-
wähnt, hat Bornemann 1448 dessen Werkstatt übernommen.
1 Heiligenthaler Altar, Opfer
des Melchisedek, Stadtansicht
(Ausschnitt).
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