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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 1.1883

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Nr. 5
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Gedanken über Kirchenrestauration, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15859#0043

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35

Aber weder der spätere gothische Chor,
noch das einfache, flachgedeckte Schiff sind
unverändert geblieben. Wahrscheinlich ein
im Kloster Roth überflüssig gewordener
riesiger Hochaltar in reichem Rococo-Styl
ist, nicht an die Ostseite, sondern mitten in
den Chor hieher translocirt worden. Er
war höher als der Chor, mußte also noch,
wie sein Schluß verräth, verstümmelt werden,
aber auch die Chorgewölbe - Rippen fielen
ihm dafür zum Opfer, um ihm Raum bis
zur Gewölbekappe zu verschaffen. Alle
Rippen der vor dem Altar liegenden Ge-
wölbe wurden im Renaissance-Styl über-
gipst; nur die hinter dem Altar befindliche
Gewölbepartie ist unverändert geblieben,
der ganze Hintere Chorraum aber ist zur
Sakristei umgewandelt, über deren gedielten:
Boden hinter dem Altar sich eine offene
Rumpelkammer befindet. Zu ihr führt eine
sehr steile, kaum passirbare Stiege; auf ihr
wurde noch vor etwa 10 Jahren das Aller-
heiligste in das coulissenartige hl. Grab
getragen. Im Schiss befinden sich zwei,
sicher ebenfalls aus dem Kloster Roth stam-
mende Nebenaltäre, im Styl etwas edler
als der Hochaltar; um sie dem neuen,
nicht ganz geeigneten Raum anzuvassen,
mußten an der an die Wand stoßenden
Seite Gesimse theilweise abgeschlagen wer-
den. Die Kanzel hat denselben, nicht ganz
unedlen Spät-Renaissance-Styl. Die flache
Decke ist verschwunden; etwa 2,5 Meter
unterhalb des Hauptgesimses setzen ans
beiden Langseiten nach Art von Sparren
Balken ein, die nahezu unter einem halben
rechten Winkel bis zu der Höhe der Durch-
zugsbalken ansteigen. Sie, wie die Mittel-
fläche sind verschalt und mit üppigster
Pflanzenornament-Stuckatur bedeckt. Die
Ornamente bilden zugleich die Umrahmung
von 13 aus Leinwand gemalten Oelgemäl-
den, welche im Verein mit zwei Altar-
gemälden der Nebenaltäre die 15 Geheim-
nisse des Rosenkranzes darstellen. Das
15. Geheimnis; ist augenblicklich entfernt;
denn die jetzt auf eine zweite, sehr störende
Emporbühne gestellte Orgel reicht bis zur
Decke. Im Chor sind die drei hinter dem
Altar befindlichen Fenster zugemauert, doch
scheinen die Maßwerke unverletzt zu sein;
die im Schiff sind, um mehr Licht zu ge-
winnen, nach unten verlängert, aber nicht
geradlinig, sondern im Halbkreis geschlossen.

Die vor der Chorverunstaltung in der ge-
wölbten Thurmhalle eingeräumte Sakristei
hat dem Glockenhause Platz gemacht.

Es mußte uns gestattet sein, den Zu-
stand der Kirche etwas eingänglicher zu
schildern, um jedem Leser die Möglichkeit
zu verschaffen, selbst mitzuurtheilen. Die
unfern: Kunstverein vorgelegte Aufgabe ist
folgende:

Pfarrer und Pfarrgemeinde
H a i st e r k i r ch wünschen, daß die
be st ehe n de Pfarrkirche und ihr
Einbau unter voller Rü ck s i ch t-
nähme auf die dafür verfügba-
ren, nur aus freiwilligen Ga-
ben der Psarrkinder fließenden
Mittel vor Allem in ein denhei-
ligen Geheimnissen des katho-
lischen G o t t e s d i e n st e s würdiges,
die Gläubigen zu er n st er Andacht
stimmendes Gotteshaus u m g e-
wandelt werde; sie wünschen i m
Hinblick auf die bei aller Opfer-
willigkeit immerhin begrenzten
Mittel die größtmögliche Erhal-
tung des Bestehenden, sind aber
dankbar für jede innerhalb die-
ser Grenzen erreichbare künstle-
rische und st y l i st i s ch e V o l l k om-
m e n h e i t.

Prüft man die gestellte Aufgabe, so wird
man nicht umhin können, zuzugeben, daß
jede dieser Forderungen an sich und in den
äußern Verhältnissen begründet und durch
die Bestimmung einer Kirche nicht miß-
billigt sind. Dieses vorausgesetzt fragen
wir:

1. Ist zur Erreichung des vorge-
steckten Zieles Styl-Einheit noth-
wendig? Wenn ja, so müßte unter Er-
haltung des Chors das ganze Schiss fallen
und spätgothisch aber einfach neu erbaut
werden; zum wenigsten wäre eine nnver-
hältnißmäßig theure Umwandlung des In-
nern des Schiffs nach gothischen Bauregeln
unter Einwölbnng des Schiffsraums und
Einfügung innerer Manervorlagen noth-
wendig; die Fenster müßten in ihrer Form
verändert und mit Fensterpfosten und Maß-
werk versehen, sämmtliche Theile des Ein-
baus durch neue Werke im gothischen Styl
ersetzt werden. Das geht über das mit den
disponibel:: Mitteln Erreichbare hinaus.

Abgesehen von dem in Frage stehenden
 
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