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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 1.1883

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Nr. 7
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Gedanken über Kirchenrestauration, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15859#0062

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Ensemble der Kirche günstigen Planes,
sondern zur Ueberwachung der Aussührung.
Denn was das Letztere betrifft, so hat man
schon oft die bittere Erfahrung machen
müssen, daß besonders einzelne Dekorations-
Maler fertige Schablonen, die sie sich aller-
wärts verschafft, ans Lager haben, um sie
nach ihrer Größe anzubringen, wo sie eben
Platz haben. Wir dürfen uns also wohl
erlauben, an einem der Wirklichkeit ent-
nommenen Beispiel das von uns empfoh-
lene Verfahren praktisch zu zeigen. Die
Marienkirche in Ellwangen, von der wir
reden, ist im Innern 52 m lang, davon
treffen auf den Chor 20 m, ans das Schiff
32 m, die Breite des Schiffs beträgt
13,75 rn, die des Chors 8,72 m. Aeußer-
lich zeigt der Bau so recht das Bild einer
für ihre Länge niedrigen, aller architektoni-
schen Gliederungen baren, mit den knapp-
sten Mitteln gebauten Bedürfnißkirche; der
Chor mit 3 Seiten des Achtecks geschlossen,
hat wohl spitzbogige Fenster, aber ohne
Maßwerk, die Fenster im Schiff sind rnnd-
bogig geschlossen in Folge späterer Ver-
änderung. Die Achse des Chors liegt nach
rechts ca. 55 cm außer der Achse des
Schiffs. Eine Schräge auf der Nordseite,
2—3 m lang, liefert den Anhaltspunkt,
daß dieser Mauertheil, aus der romanischen
Zeit stammend, stehen geblieben und für
die im Jahr 1427 gebaute jetzige Kirche
verwendet worden ist; daher rührt wohl
auch der Zwang, den breiter anzulegenden
Chor mehr nach rechts über die Achse des
Schiffs hinaus zu rücken. Die äußere Um-
fassungsmauer zeigt eine auffallende Maner-
verstärknng an der Stelle des Haupt-Ge-
simses, etwa 75 cm hoch, mit einer Aus-
ladung von ca. 25 cm, ohne alles Profil,
oben nur durch ein schwach prosilirtes
Hanptgesims geschlossen. Das nach. Art
von Schiftsparren geschweifte Ende des
Giebelgesimses beweist, daß diese Verstär-
kung nicht ursprünglich, sondern wegen der
spätern Einwölbung hinzugefügt worden
ist. Demnach war die Kirche in Chor und
Schiff nnt flacher Holzdecke versehen. So
steht also das ganze Bild der ursprüng-
lichen, aus den romanischen Bauresten
sich erhebenden (bis 1618 zweiten Pfarr-)
Kirche vor uns, innen und außen jeder
Architektur - Gliederung und Dekoration
bar, eine einfache Bedürfnißkirche. Trat

man noch vor 6 Jahren in das Innere,
so bot sich ein ganz anderes, fremd-
artiges Bild dar. Zehn Pfeiler auf
mächtigen Sockeln theilen das Schiff in
Mittel- und Nebenschiffe mit je 5 Gewölbe-
jochen, jenes 10,85 m, diese 6,85 m hoch;
alle drei mit starkem Kreuzgewölbe geschlos-
sen, das im Mittelschiff zwischen den Ge-
wölbejochen von einem breiten Gurtbogen
durchschnitten ist. Die auf ungewöhnlich
hohen Sockeln ruhenden Pfeiler haben vier-
eckigen gleichseitigen Grundriß mit einem
an deutsche Bauweise erinnernden ziemlich
breiten Viertelsstab an den eingezogenen
Ecken, Kapitale mit Voluten, den jonischen
nachgebildet. Der Chor ist gleichfalls ein-
gewölbt. Um das möglich zu machen, sind
nach innen gezogene Strebepfeiler angebaut.
Sie sind in ihrer Anlage nnprofilirt, vom
Sockel ans steigen aber an der Stirnseite
je zwei Lessinen mit Renaissance-Kapitalen
bis zum Gesims, auf welchem noch ein
Kämpfergesims, bogenförmig geschweift, die
Gnrtbogen aufnimmt. Alle die bisher be-
schriebenen Veränderungen tragen das Ge-
präge der Spät-Renaissance, und nur spär-
lich des Rococo, ansgeführt mit Backsteinen
(Pfeiler), Mauersteinen (Gewölbe) und
Gyps (Kapitale, Lessinen, Stuckatur und
Verputz). Auch die vielen Wandgemälde
sind, obgleich offenbar später, ihrem Werth
nach dazu zn zählen. Im Chor tragen die
breiten Gewölbegurten unmittelbar über
dem Kämpfer Vorbilder des Lebens Mariä,
die Räume über den Fenstern Symbole
Mariä, im Mittel- und den Nebenschiff-
Gewölben sind die vornehmsten Geheimnisse
des Lebens der hl. Jungfrau bis zn ihrer
Himmelfahrt dargestellt, dazu auf derManer-
fläche über dem Triumphbogen und den
Arkaden des Mittelschiffs die Bilder der
hl. Apostel. Abgesehen von Gypsrahmen,
welche den größeren Theil der Gemälde
begrenzen, standen sie ganz isolirt, ohne
alle Verbindung mit der Architektur durch
malerische Dekoration der Bauglieder. Aber
außerdem trifft das Auge noch auf weniger
schöne, offenbar spätere Stuckaturen: wun-
derliche, barocke Verzierungen zwischen den
jonischen Voluten; Gypsfiguren und Or-
namente , welche die Gewölbefelder des
Chors füllen, über drei Thüren auch noch
Schnörkel-Rahmen aus Gyps um die dort
angebrachten Malereien. Ganz in diesem
 
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