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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 1.1883

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Nr. 9
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Festing, F.: Studien über Plastik, [4]
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74

Myron, Polyklet und Phidias waren es
vornehmlich, welche die möglichst ideale
Darstellung der menschlichen Gestalt,
dieser Krone der Schönheit aller geschaf-
senen sichtbaren Dinge, sich zur Lebens-
aufgabe gesetzt hatten. Besonders war es
Letzterem gegeben, in seinen Gestalten das
Hohe und Großartige mit der Anmuth
und Zartheit der Formen zu vermählen
und seine Kompositionen in jene feinste
harmonische Bewegung zu versetzen, welche
Formvollendung, Natnrwahrheit, Charakte-
ristik, Geistesschönheit in idealer Schön-
heit aufgehen läßt. Selbst die verstüm-
melten Ueberreste der Skulpturen vom
Parthenon mit dem Athenetempel auf der
Akropolis sind von einer Herrlichkeit, der
sich nichts an die Seite stellen läßt. „Er-
habener und gewaltiger, aber auch zugleich
anmuthiger und schöner sind nie wieder
plastische Werke ausgeführt worden. Es
lebt eine unvergängliche Jugendschönheit
in allen Formen, die Natur ist so groß
und mächtig aufgesaßt, daß man ein Ge-
schlecht höherer Wesen, ein Geschlecht von
Göttern zu erblicken glaubt" (Lübke, Gesch.
der Plast.). In welcher Art und mit
welchem Auswande höchster Kunstleistnngen
die Griechen ihre Tempel ausznschmücken
suchten, zeigt uns der noch zum größten
Theil erhaltene Fries, welcher in einer
Ausdehnung von 522 Fuß innerhalb der
den ganzen Tempel umgebenden Säulen-
halle die Cellamauern umzog und dessen
Marmorplatten sich gegenwärtig im britti-
schen Museum befinden. Dieser stellt den
Festzug dar, der am Schlüsse der Pan-
athenäenfeier zur Akropolis hinauszog, um
der Göttin den Peplos, das von den athe-
nischen Jungfrauen gewebte und gestickte
Kleid zu überbringen. Der Zug vereinte
an jenem höchsten Feste der Athener „alles,
was die erste Stadt Griechenlands von *)

*) Myron von Eleutherä soll uni 430 vor Chr.
geboren worden sein, war vorzugsweise Erzbild-
ner. Von seinem berühmten Diskuswerfer sind
Nachbildungen auf uns gekommen, so die im
Hause Massimi und im vatikanischen Museum
zu Rom. — Polyklet aus Sikyon stammend, um
415 v. Chr., Erzbildner. — Phidias, geb. um
488 v. Ehr., ans Athen, Zeitgenosse des Cimon
und Perikles, war besonders in Ausstattung der
athenischen Prachtbauten seiner Zeit thätig. Er
gilt als der größte Meister in Herstellung „chrys-
elephantiner" (aus Gold und Elfenbein bestehender)
Kunstwerke.

Jugeud, Schönheit, Adel und Ehrwürdig-
keit in sich schloß", um der jungfräulichen
Beschützerin der Stadt zu huldigen.

Wir sehen, der heidnische Künstler fin-
det keinen besseren Stoff zur Ausschmückung
seines Festtempels, als indem er die Be-
stimmung desselben durch bloße Darstellung
der Prozession der Panathenäen an seinen
Flächen zur Anschauung bringt. Seine
Religion selbst bietet ihm eben keine histo-
rischen Thatsachen noch festbegründete Wahr-
heiten, durch deren künstlerische Darstel-
lung er die Gottheit ehren und seine Mit-
bürger wahrhaft religiös erbauen könnte.
Ein Phidias führt seine Aufgabe zwar
noch in einem nur ihm möglichen, ver-
hältnißmäßig hochidealen Geiste durch.
Die Friese zeigen in ihren unzähligen Ge-
stalten eine großartige Kraft der Phantasie,
die reichste Mannigfaltigkeit schön bewegten
Lebens, den feinsten Wechsel ruhiger An-
muth, feierlicher Würde, frischer Lebendig-
keit und sprühender, geistvoller Bewegung.
Und wenn wir diese Darstellungen mit
ihrer Fülle von Inhalt mit den monoton
langweiligen Prozessionen der orientalischen
Kunst vergleichen, so begreifen wir auch
leicht, wie Lübke mit Recht bemerkt, „daß
nur dem großen Meister einer völlig frei
gewordenen Kunst solche Bildwerke ge-
lingen konnten". Die heidnische Kunst
hat hier eben aus dem ihr zugänglichen
Gebiete das Höchste geleistet, die möglichste
Jdealisirung der sinnlichen, körperlichen
Natur des Menschen, die doch auch das
Werk des allmächtigen und weisen Schöpfers
ist. Die künstlerische Verherrlichung der
geistigen Natur des Menschen nach seinen
höheren religiösen Beziehungen sollte erst
Ausgabe der christlichen Kunst werden.

Ein anderes Werk des Phidias, das
Bildniß der Göttin Athene, ebenfalls im
Parthenontempel gestanden, muß von un-
übertrefflicher Majestät und Schönheit ge-
wesen sein. Die Schilderungen des Pau-
sanias und Darstellungen auf Münzen
geben uns- einige schwache Andeutungen.
Die Statue hatte eine Höhe von 26 Ellen,
und allein das Gold repräsentirte die
Summe von 44 Talenten, etwa 2 359 500 M.
Die nackten Theile der Statue waren von
Elfenbein, die Augen aus funkelnden Edel-
steinen eingesetzt, die Gewandung und ihre
Waffen aus getriebenem Golde.
 
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