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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 3.1885

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Nr. 10
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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Musterschule der monumentalen Malerei, [6]
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98

Verkehr mit der Natur aufgegeben wurde,
wo die mit den Formen des Meisters im
Großen und Ganzen sich begnügende Ein-
falt der Schüler zu schwinden begann. Es
ist aber zu betonen, daß in den Werken
Alticchiero's und Avanzo's diese Gefahr erst
von ferne signalisirt erscheint; sie haben
noch in keiner Weise unter ihr gelitten.
Manchmal blitzt in ihnen die Lust an der
Natur als solcher auf und sie fügt kleine
Episoden ein, welche vom Thema nicht ge-
fordert sind, auch nicht eigentlich zur Ver-
deutlichung desselben dienen können; so
wenn bei der Flucht nach Egypten in
St. Giorgio ein Bauer ans der Quelle
trinkt und ein Hirte mit seiner Heerde sicht-
bar ist. Auch sonst erscheint allerdings die
beigezogene Natur nicht mehr so ganz unter
dem Banne des Gegenstandes und Thema's
wie bei Giotto. Aber von einem Ueber-
mächtigwerden derselben, oder von einer
Störung der religiösen Wirkung und
Weihe kann doch in keiner Weise die Rede
sein. Natnrnachahmnng ist ihnen nicht Ziel
und Zweck, sondern noch durchaus Mittel.
So freudig und srei ihr Pinsel in der
Nachbildung der Natur sich bewegt, so weiß,
doch ihr religiöser Sinn ihn noch durchaus
richtig zu leiten. Soweit zu gehen im
Naturalismus, wie diese Meister, das muß
der kirchlichen Kunst unbedingt zugestanden
werden und muß jedem erlaubt werden,
welchem seine technische Fertigkeit es er-
laubt. •—

Die Malereien im Baptisterium des Doms
in Padua und in der Capella S. Luca
Belludi im Santo daselbst, wahrscheinlich
von einem gewissen Giusto Padovano ca.
1380, also nach den eben besprochenen
Meisterwerken gemalt, sollen wenigstens
erwähnt werden. Sie sind aber sehr min-
derwerthige Leistungen der Schule, welche
beweisen, daß das großartige Vorbild der
Meister von St. Giorgio und Felice nicht
zur Nachahmung reizte.

Hier brechen wir den historischen Faden
ab, um zu einer kurzen Besprechung der
geistesverwandten und gleichzeitigen Sie-
neser Schule überzngehen, dann Werke anf-
zuführen, welche beiden Schulen gemeinsam
sind, und endlich als Schlußgestalt, in
welcher die Tendenzen und Errungenschaften
unserer Epoche in gewissem Sinn cnlmi-
niren, den Fra Angelico vorzuführen. —

7. Die Schule von Siena
(ca. 1270—1400).

Schon um einige Hauptwerke monnmen-
ier Malerei, in welchen sienesische und
slvreutinische Richtung konknrriren, erklären
und vorführen zu können, müssen wir der
Schule von Siena unsere Aufmerksamkeit
znwenden. Sie hat aber auch an sich
ein Recht, erwähnt und berücksichtigt zu
werden in einer Darstellung, welche die
klassischen Vorbilder für die monumentale
Malerei zur Nachahmung vorstellen will.
Denn so verschieden sie von der florentini-
schen Schule ist, so ist sie doch dem religiösen
Sinn, dem warmen Gefühl itnb Verständ-
nis; für kirchliche Wandmalerei nach eine
wahre Schwester derselben.

Wenn diese Schule, welche etwas nach
der florentinischen ihren Anfang nimmt,
eigentlich allein im ganzen damaligen Italien
ihre Selbständigkeit wahrte und sich vor der
florentinischen Schwester nicht beugte, so
wird das einerseits erklärt durch die Rivali-
tät, welche zwischen Siena und Florenz
bestand und sich hemmend einem intimeren
Verkehr entgegenstellte; andrerseits ist es
aber auch ein Anzeichen wahrer geistiger
Kraft, eines tüchtigen Lebensmarks der sie-
nesischen Schule. Und diese Selbständigkeit
wahrt sie auch noch in späterer Zeit, wo
sie die florentinische Kunst kennen lernt und
sich von ihr beeinflußen läßt; auch da bleibt
sie sienesisch; ja wie sie eine Beeinflussung
erfährt, so übt sie selbst auf die in man-
cher Hinsicht superiore florentinische Kunst
wieder bestimmenden und nachhaltigen Ein-
fluß aus, einen Einfluß, dessen Spuren
bis in die Werke Perngino's und Raphaels
zu verfolgen sind.

a. Ihre Richtung. Eine Vergleichung
beider Schulen ergibt folgende Resultate.

Beide fanden sich einer gealterten, ver-
steiften Kunstrichtung gegenüber. Beide
waren entschlossen, fürder nicht die hartge-
tretenen Wege der bisherigen Ueberliefernng
zu gehen. Beide fühlten in sich den Drang
und die Kraft zu Höherem, zum Fortschritt
atls der Versteinerung uub Verknöcherung
sklavischer Reproduktion heraus zu neuem
Erfinden und freiem Schaffen.

Nun handelte es sich mit den Weg zu
diesem Ziel. Ist der Weg der Ueberlieser-
 
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