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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 4.1886

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Nr. 1
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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Musterschule der monumentalen Malerei, [9]
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Die Kindergruppe beim Einzug in Jerusa-
lem ist eine sehr liebliche Episode. Den Ab-
schiedsreden Jesu ist ein eigenes Bild gewid-
met, welches durch den Ausdruck stiller Weh-
muth, beschaulicher Aufmerksamkeit auf den
Gesichtern der Apostel stimmungsvoll wirkt;
unmittelbar daneben sieht man Judas mit
den Hohenpriestern verhandeln; ihre ver-
schmitzten, heimtückischen und gemeinen
Züge bilden einen wirkungsvollen Kontrast
zu den frommen Gesichtern der Jünger.
Die Oelbergdarstellung ist in mehrere Sce-
nen zerlegt; wir sehen den Heiland beten,
zu den Jüngern reden, vom Engel ge-
tröstet werden. Ganz bezeichnend ist, daß
Duccio in die Schilderung der Passion
bei aller Betonung von Schmerz und
Schmach einen vollen Tropfen zarter Rüh-
rung fließen läßt und zwar ist öfters ein
römischer Soldat (oder mehrere) Repräsen-
tant des Mitleids und schaut sichtlich er-
griffen und weich gestimmt den Marter-
scenen zu, an welchen die Juden so ge-
fühllos das Auge weiden. Darin gibt sich
ein schönes Streben kund, den Effekt des
Bildes nicht einzig in Blut und Wunden
zu verlegen und das zartere Gefühl nicht
von der Roheit und Grausamkeit erdrückt
werden zu lassen. Eine herrliche Scene
ist das Ecce-homo-Bild: Jesus erscheint
noch an die Säule angebunden und Pila-
tus richtet von oben auf ihn deutend
jenen Appell an's menschliche Gefühl der
Juden; dieser schmerzlichen Scene gegen-
über tobt der Chor der Bluttiger und
ruft sein crucifige! Wenn in dem Cruci-
fixus auf Golgatha der Schmerz allerdings
stark premirt erscheint, so ist dagegen die
Kreuzabnahme (auch unter den Düssel-
dorfer Bildern),, die Grablegung und das
Erscheinen der drei Marien am Grabe von
großer Zartheit der Empfindung.

Das Wollen und Können, die Kraft
und die Schwäche der sienesischen Kunst-
richtung offenbart sich in dieser Tafel.
Die Vorderseite ist das erste herrliche Spe-
zimen sienesischen Schönheitssinnes; die
Rückseite ist bei allen trefflichen Einzeln-
heilen mehr ein Denkmal sienesischer
Schwäche.

Wir haben dem Bilde diese ausführliche
Besprechung angedeihen lassen, weil es die
Grundlage der ganzen Schule bildet, na-
mentlich aber auch deßwegen, weil es in

ganz einziger Weise die Ueberlieferung von
Jahrhunderten bezüglich der Darstellung
des Lebens Jesu und Mariens fipirt und
die Typen derselben abermals für ein Jahr-
hundert zur Regel und Norm einer Schule
erhebt, nachdem sie den Anforderungen eines
geläuterten Kunstgeschmacks und eines feine-
ren Schönheitssinnes so gut wie möglich
adoptirt worden.

Der ganze tiefe Ernst, die würdevolle
Hoheit, die energische Glaubenskraft der
alten Kunst grüßt uns aus diesem Bilde.
Es kann nicht genug empfohlen werden,
daß Künstler, welche für die kirchliche Ma-
lerei sich ausbilden wollen, durch das Stu-
dium solcher Bildwerke sich in den Geist
kirchlicher Malerei einführen lassen, in
welchen die Akademieeu sie nicht einführen
können und der doch wahrlich für ihren
Zweck unentbehrlich ist. Nächst Aneignung
der technischen Fertigkeit ist die Einlebung
in diesen Geist das weitaus wichtigste Er-
forderniß für den kirchlichen Maler; hat
er ihn, so wird er ohne Gefahr für den
ideellen Gehalt und den Andachtscharakter
seiner Bilder bei den verschiedensten Mei-
stern und Schulen lernen und gewinnen
können; hat er ihn nicht, so wird er mit
den besten technischen Fertigkeiten kein An-
dachtsbild, vollends keine hl. Bilder in
der strengen Haltung, wie die monumen-
tale Malerei sie verlangt, zu schassen ver-
mögen.

6) Ugolino und Segna (Anfang des
14. Jahrh.) genügt es zu neuneu, da von
ihnen nur Tafelgemälde erhalten sind; auch
sie gehören zu den Altvätern der sienesi-
schen Schule und gehen um keinen Schritt
weiter über das Hergebrachte hinaus als
Duccio.

Dagegen ist ein ziemlicher Fortschritt
zu bemerken bei Simone Martini (ca.
1284—1344). Er war der Freund Pet-
rarca's und unternahm es, dessen Laura,
die „wenn nicht idealste so idealisirteste
Schönheit" (Rio) in Farben nachzubilden,
die zur ätherischen Lichtgestalt verklärte
Idee des Dichters im zarten Hauch der
Farben zu verkörpern. Das gelang ihm
so vollkommen, daß Petrarca voll Ent-
zücken sein Bild eines von jenen Werken
nennt, welche nur im Himmel gelingen
können und daß er an der gemalten Ge-
 
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