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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 4.1886

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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Musterschule der monumentalen Malerei, [9]
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7

Zweigbahn nach Saline; von hier gelangt
man in einigen Stunden über Volterra nach
San Gimignano. Wer in der Lage ist,
diesen Abstecher machen zu können, betrachte
im Rathhans des aus malerischer Anhöhe
malerisch gelegenen Städtchens San Gimi-
gnano L i p p o M e m m i' s (eines Schülers
von Simone) Majestät, welche der im
Rathhanssaal zu Siena nachgebildet ist;
sie ist a tempera gemalt von ziemlich sorg-
fältiger Durchführung,, aber ohne den idea-
len Schwung Simonens. Von demselben
Meister stammt das schöne Votivbild: die
Fürbitte Mariens für die Gläubigen, in
der Capelia del s. Corporale in Orvieto
und die Madonna in 3. iVlaria 6ei Lervi
in Siena (Fresko im rechten Querschiff,
über der Thüre zum Sakristeieingang).
In der Hauptkirche von San Gimignano
(Colle^iata) sind auch die Fresken von
Barna (Berna) di Siena (ca. 1350)
zu beachten; sie stellen das Leben und
Leiden des Herrn dar in einer Art, welche
Nachahmung Duccio's und Simonens
verräth.

e) Eine Fortbildung der sienesischen Rich-
tung nach ganz anderer Seite hin knüpft
sich an die Namen Pietro u n d A in b r o -
gio Lorenzetti (um 1320). Sie brin-
gen die sienesische Kunst der slorentinischen
näher und nehmen, was Geist und Technik
anbelangt, vieles von der letzteren an.
Die fast an das Süßliche streifende Zart-
heit Simone's ist ihnen ebenso wider die
Natur, wie die kleingeistige Detailarbeit,
welche eine Hauptsorge der meisten Siene-
sen bildete. Eine gewaltige, naturwüchsige
Kraft wohnt ihnen, namentlich dem älteren
Pietro, inne; daher fühlen sie sich von
Giotto's klarer und markiger Kunstsprache
viel mehr angesprochen, als von der An-
mut der heimischen Meister. Sienesen
sind und bleiben sie, aber sie sind die ersten
Sienesen, welche die Kraft epischer Schilde-
rung anstreben. Gegen dieses Gut müssen
sie etwas darangeben vom Erbe ihrer
Schule, von der holden Weichheit und Be-
schaulichkeit. Die sienesischen Gestalten,
die theils in antiker Hoheit, theils in hol-
der Verklärung wie in einer anderen Welt
leben, werden von ihnen um einige Stufen
dem Boden der Erde und der Wirklichkeit
näher gebracht. Aber Giotto erreichen sie
nicht, mit all' ihrem Streben, der Natur

nahezukommen, 'mit all' ihrer reichen Er-
sindungs- und Gestaltungskraft; denn sie
können sich in sienesischer Befangenheit nicht
entschließen, mit den überlieferten Formen
zu brechen, und kommen daher über die
sienesische Hauptschwäche der mangelhaften
Komposition nicht hinweg.

Von Pietro stammt „die schönste Madonna
der Sieneser Schule" in dem Kirchlein
S. Ansano vor der Porta dei Pispini in
Siena, eine Madonna in den Uffizien in
Florenz und ein Bild der Geburt Mariens
in der Sakristei des Domes von Siena.
Vielleicht beiden Lorenzetti gemeinsam ge-
hören die Passionsbilder im nördlichen
Querschiff der Unterkirche von Assisi, —
mit wild dramatischer Kraft vollzogene Um-
bildungen der Scenen Duccio's; daneben
eine gewisse Neigung zum Genrehaften, zum
Herabsteigen ins gewöhnliche, ja gemeine
Leben. So sieht man, was nicht gerade
zu loben, beim Abendmahl in die Küche
hinein, wo die Köche sich tummeln und die
Katze stiehlt.

Dem Pietro wird noch zngeschrieben
das Leben der Einsiedler im Camposanto
zu Pisa, beiden Lorenzetti von einzelnen
die bedeutendsten Gemälde des Mittel-
alters, der Triumph des Todes und das
Weltgericht. Wir werden die Gemälde des
Camposanto nachher in gemeinsamer Be-
sprechung zusammennehmen.

Ambrogio's erste Fresken im Kreuz-
gange von San Francesco in Siena sind
untergegangen bis ans zwei Reste, welche
man von der Wand losgelöst und in der
zweiten Kapelle der Kirche angebracht hat.
Zum Glück sind die Fresken im Rathhaus-
saal zu Siena besser erhalten, wiewohl
auch sie gelitten haben. Hier begibt sich
Ambrogio ans das Gebiet der Allegorie, und
er schildert in seiner abgewogenen Sprache
das Regiment von Siena, die Folgen
des guten, die des schlechten Regimentes
in drei großen Kompositionen.

Den Mittelpunkt des „Regiments" bil-
det der auf hohem Thron sitzende, maje-
stätisch ernste Greis in herrlichem Gewand,
eine Personifikation der Regierung von
Siena. Er trägt eine runde Bildscheibe,
das Siegelbild Siena's in seiner Hand.
Sein gekröntes Haupt ist umschwebt von
den geflügelten Gestalten des Glaubens,
 
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