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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 4.1886

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Nr. 3
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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Musterschule der monumentalen Malerei, [11]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15862#0034

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30 —

mausflügeln getragen, von wild flatterndem
Haar umwallt stürzt sich die Furie mit
unheimlich schreckhaftem Antlitz herab auf
ihre Opfer. Am Boden liegt schon ein
Theil ihrer Ernte, hingemäht von ihrer
hochgeschwungenen Sichel: Krieger, Ge-
lehrte, Mönche, Bischöfe, Könige liegen
entseelt am Boden; ihre Seelen kommen
in Gestalt kleiner Kinder ans dem Mund
hervor und werden von guten oder bösen
Engeln in Empfang genommen, entweder
vom guten mit Freuden in den Hinunel ge-
tragen oder von dem bösen mit teuflischer
Schadenfreude durch die Krater der hohen
Berge in den Glühofen der Hölle ge-
stürzt.

Die, welche der nächste Schwung der
Sense treffen wird, haben freilich davon
keine Ahnung. Sie denken an alles eher
als an den Tod, welcher schon über ihnen
schwebt. Unter schattigem Laubdach sitzen
sie und beschäftigen sich mit Liedestände-
leien, mit Spiel mtb Scherz. Man sieht
nun gleichsam mehr, als das Bild zeigt,
man sieht, wie im nächsten Augenblick die
Sense herabranscht und den Lebensfaden
dieser Frohen zerschneidet und wie fahle
anfgethürmte Leichname ihre Stelle in den
lieblichen Gefilden einnehmen.

Warum auch mähet der Tod Rosen und
Blüten? warum schneidet er nicht ab,
was welk und halb erstorben? warum eilt
er nicht den Armen und Elenden zu, die
nach ihm verlangen? Da stehen sie, jen-
seits des Leichenhausens, die Repräsentan-
ten des menschlichen Elends, lahme, blinde,
aussätzige, verstümmelte Krüppel, — seuf-
zend und lechzend sind sie dem Tod znge-
wendet, mit erschütternder Sehnsucht stre-
cken sie ihm ihre Gliederstümmel entgegen
und stoßen d en Jammerrnf aus, welchen
einer auf eine Rolle geschrieben emporhält:

Zu welchem Glück hast du uns zugelassen!

O Tod, Heilmittel gegen alle Qual,

Ach komm' uud gib uns jetzt das letzte Mahl!

Aber der Tod achtet ihrer nicht; frei
schaltet und waltet er seines Vernichtnngs-
amtes; er geht vorüber an denen, welche
ihn als Erlöser begrüßen würden und
wirft sich auf die, welche von seinem Nahen
keine Ahnung haben. Ist er denn also
allmächtig, unb die Menschheit diesem Ty-
rannen ganz preisgegeben? Das ist nicht
der Gedanke der gemalten Meditation über

den Tod. Eine Gegend findet sich, welche
der Herrschaft des Todes, jedenfalls der
Todesfurcht entrückt scheint; das ist aber
nicht der Hain, in welchem die Welt-
menschen in Spiel und Lust über den Tod
lind seine Nähe sich hinwegtänschen, das
ist die Landschaft, in welcher die Eremiten
leben und beten. Hieher kann der Tod
nicht kommen als Herr, nur als Pförtner,
welcher die Thüren besseren Lebens er-
schließt, nicht als Sieger, nur als Diener,
der zum himmlischen Mahl ruft; hieher
kommt er auch nie unerwartet, denn Tag
und Nacht haben die frommen Bewohner
dieser Gegend die letzten Dinge vor Augen.

Zweifellos gehört dieses Bild zum Groß-
artigsten, was die Kunst auf Erden ge-
schaffen. Seine Bedeutung liegt vor allem
in der geschlossenen Gedankenreihe, welche
hier zur bildlichen Darstellung kommt. Die
furchtbare Macht des Todes — davon
geht der Künstler aus; sie zeigt sich be-
sonders drohend namentlich den Reichen
und Großen dieser Erde und sie können
es nicht verhüten, daß der Tod oft in
ihre Spiele und Vergnügungen hereingrinst;
es hilft auch nichts, wenn sie des Gedan-
kens an das Sterben sich ganz entschlagen
wollen; das erscheint als frevler Leicht-
sinn und als Thorheit angesichts der
Leichen, die der Tod jeden Augenblick
niedermähet, — als Leichtsinn und Frevel
hauptsächlich deßwegen, weil ja mit dem
Tod keineswegs alles aus ist, sondern
dann die Seele erst ihre Wanderung in
die andere Welt antreten muß; hieraus
ergibt sich, — das ist die conditio im
Jdeengang — daß nur der gegen Todes-
furcht gefeit ist und in voller Ruhe gleich
den Einsiedlern leben kann, welcher für
seine Seele sorgt in Weltferne und Got-
tesdienst und ihr die Abholung durch einen
Engel nach dem Tode sichert.

Das Bild ist also ein gemalter Unter-
richt über die ars moriendi. Sein Name
„Triumph des Todes" ist nur halbrichtig.
Gerade der höchste Gedanke, in welchem
die Ideen des Bildes kulminiren, kommt
in ihm nicht zu seinem Recht. Nicht nur
wie der Tod im Reiche der Sterblichen
trinmphirt, schildert das Gemälde, sondern
auch wie der Glaube und ein christlicher
Wandel über den Tod trinmphirt.

Aber neben dem Jdeeninhalt ist von
 
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