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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 4.1886

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Nr. 4
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Zimmerle, Karl: Die St. Michaelskapelle in Mergentheim, [2]: [Geschichte der Kapelle]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15862#0045

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41

unter den verschiedenen Kirchenpflegen". Man
erhält allerdings einen geringen Begriff von die-
sem, wenn man ans einer Rechnung über die
Kapelle 1687 ersieht, daß die Einnahmen 42 fl.
betrugen.11)

Wenn die Leichenbegängnisse am Morgen statt-
fanden, wurde es Sitte, die Seele ngottes-
dienste im Anschluß daran sofort in der Michaels-
kapelle zn halten. Daraus entstand das Be-
dürfnis; nach weiteren Altären, und ob-
schon der ganze Bau nicht zn solchen angethan
war, behalf man sich damit, an die Außenwand
2 kleine Altäre zu stellen. Der eine erhielt ein
Altargemälde: St. Raphael mit Tobias; der
andere: die sel. Jungfrau Maria, beide ohne
Kunstwerth. Die Altäre entbehrten indeß der
Konsekration und enthielten nur Altarsteine. Da
gesungene Requiem abgehalten wurden, kam eine
kleine Handorgel in die Kapelle; da bis-
weilen viel Volk beisammen sein mochte, wurden
hölzerne Emporen in die Gänge um den
Mittelban eingestellt, welche die Architektur der
Kirche, die schon durch die Altäre beeinträchtigt
war, vollends ihrer Wirkung beraubten.

■ Aus dem vorigenJahrhundert fehlen
Nachrichten über die Kapelle. Es scheint
nichts weiter an ihr geschehen zu sein, als
daß ab und zu eine Jahrtagsstiftung an der-
selben gemacht wurde; hundert Jahre nach
ihrer Erbauung waren es 29 gestiftete Got-
tesdienste. Nochmals 100 Jahre und Mer-
gentheim hatte in Folge der großen Umwäl-
zungen der Säkularisation eine neue
Gestalt erhalten. Es war, als hätte man
instinktmäßig gefühlt, daß der alte Charakter
der geistlichen Stadt mit ihren Gotteshäusern
im engen Zusammenhang stehe, und gleich
anderen „Nebenkirchen" wurde auch die Mi-
chaelskapelle zu gesperrt. Im Jahre
1825 verordnete sogar die geistliche Behörde
die Verlegung der in die Kapelle gestifteten
Gottesdienste in die Pfarrkirche: es waren
deren 55, wovon 9 Aemter und 46 Messen.
Nur 4 Messen sollten während des Jahres
draußen aus dem Gottesacker gelesen werden.

Damit war die Periode des Zerfal-
les für die Kirche besiegelt. Die großen,
schweren Jalousieläden an den mächtigen
Fenstern, welche zum Schutz gegen Sturm
und Regen nvthig geworden waren, thaten
sich kaum mehr einigemal im Jahre auf, um
Luft und Licht den Zugang zn gestatten.
Ein unheimlicher Modergeruch erfüllte das
Innere. Grünes Moos und grauer Schim-
mel bedeckte mehr und mehr die Wände; da
und dort brachen Stücke der Jpsdecke im
Seitenschiff ein: es war, als hätte man die
Kapelle dazu erbaut, das Gefühl des Grauens
vor Grab xtnb Verwesung in jedem Besucher
zu erwecken. Die Jugend fieng an, sich vor
ihr zu fürchten, und nur wenige Kunstver-

n) Im Staatsarchiv.

ständige betrachteten noch mitleidig das inter-
essante Monument.

Da machte es endlich das testamentarische
Vermächtniß eines, zwar nicht in der Stadt
geborenen, aber in ihr seit 13 Jahren wohn-
haften, hochherzigen Junggesellen Joseph
Schmitt, Weinhändler aus Simprechtshausen,
möglich, die Kapelle vor dem Untergang zn
bewahren und stilgerecht zu restauriren. Die
Restauration erfolgte nach den Angaben
des Professor Tobias Weiß in Nürnberg, der
1884 Proben seines seinen Verständnisses für
die Banformen der Vergangenheit an der Spi-
talkapelle abgelegt hatte. Der leitende Ge-
danke war, die Architektur der Kapelle in
ihrer Grundform als ein Bauwesen der Ueber-
gangszeit aus der romanischen in die gothische
Bauform zur Wirkung zn bringen. Es wur-
den daher die blöckischen Emporen und
die wurmstichigen und theilweise morsch ge-
wordenen Altäre entfernt, wobei die 2
kleinen Seitenaltäre m der Kapelle des Fi-
lials Edelfingen eine passende Verwendung
fanden. Vom Hochaltar wurde das Haupt-
bild in der Stadtpfarrkirche ausgestellt. Die
Fenster der Umfassungsmauern wurden ver-
kleinert und ihnen statt ihrer zopfigen Form
die Gestalt von gekuppelten romanischen Fen-
stern gegeben, die tvegen der ernsten und
ruhigen Lichtwirkung der Fenster aus der
Kuppel klein gehalten und so gelegt wurden,
daß für eine breite Friesmalerei über ihnen
weg Raum blieb. Um die glatten, massigen
4 Pfeiler wurde ein schmales Gesims ge-
zogen und die Ecke n der Pfeiler mit grauem
italienischen Marmor eingefaßt, während der
Sockel sowohl an den Pfeilern als an den
Außenwänden mit geschlissenem belgischen
Granit bekleidet wurde. Der Hochaltar,
dessen Mensa keine Veränderung erlitt, wurde
durch eingelegte Marmorplatten in einheitliche
Stimmung mit der übrigen Mauernmkleidung
gebracht und erhielt eine Lenchterbank von
weißem Tyroler-Marmor und einen Tempel-
aussatz, dessen Kuppel von 6 Säulen ans
mexikanischein Onyx und einem Architrav
von braunem Alabaster getragen wird, lieber
der vergoldeten Kuppel steht die vergoldete
Statue des hl. Erzengels Michael; unter
derselben ein romanisches Kruzifix von Pro-
fessor Schlögl in Nürnberg in Messing ge-
arbeitet. Die Altarleuchter sind nach einem
romanischen Muster im Nationalmnseum in
München. Da der jetzige Altar den Blick
zwischen den beiden Pfeilern, an die er an-
stößt, frei läßt, so wurde das hinter ihm
liegende Fenster als Altargemälde behandelt
und mit einer Glasmalerei von Eisgruber
in Nürnberg geschmückt, welches den Heiland
darstellt, wie er im Gewand der Auferstehung
 
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