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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 4.1886

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Nr. 10
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Schnell, J.: Die Vortragkreuze im Landkapitel Tettnang, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15862#0106

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102

sonders interessant ist die Art und Weise,
wie der Platz in den Vierpässen nach den
Größenverhältnissen ausgenützt ift, jedes-
mal in anderer Weise und mit immer neuem
Reize. Auf der Vorderseite hören die Laub-
gewinde mit den einzelnen Vierpässen ans
(vgl. Blatt I. Nr. 1) und an die Stelle der
Ornamente treten dort schöne Medaillons.
Diese zeigen auf ihrer Oberfläche die vier
Evangelistensymbole eingravirt; diese Plätt-
chen und die Plättchen der Vierung sind
von dem nämlichen Material. Der Engel
(Symbol des Matthäus) zeigt einen reichen
Faltenwurf ganz nach Dürers Manier
(vgl. Blatt II. Nr. 1 unten). Der cruci-
fixus ist ein Messingguß aus spätgothischer
Zeit mit Dornenkrone und schön gefalte-
tem Schamtuche. Das ganze Kreuz ist
symmetrisch gebaut und noch gut erhalten.
Die Zeichnung weist hin auf das Ende
des 15. Jahrhunderts.

Am meisten Ähnlichkeit in der Zeich-
nung mit dem Schnetzenhanser Kreuze hat
dasjenige von Friedrichshafen. An
Größe übertrifft es das erstere; denn es
mißt 51 cm in der Höhe, 41 in der Breite
der Querarme und 4,5 in der seiner Stäbe.
Hier haben wir nicht den Vierpaß, sondern
die Kleeblattform, bezw. die vierblättrige
Rose, da ein vierter Halbkreis in den
Quer- und Längebalken hereinmündet (vgl.
Nr. 2—5 auf Blatt I.). Die Vierung
zeigt ebenfalls die rechtwinklige Ausladung.
Das Vierungsblech, wie beim ganzen Kreuz
versilbertes Kupferblech, zeigt das Agnus
Dei, aber feiner und naturalistischer als
beim vorigen Kreuz. Auf der Vorderseite
der Vierung ist das Schweißtuch eingravirt.
Das Antlitz ist unten unverhältnißmäßig
breit. Die Zeichnung der Stäbe ist sehr
schön gravirtes Pflanzenornament. Hier
haben wir eine noch reichere Mannigfaltig-
keit als beim Kreuz von Schnetzenhausen.
Am einfachsten ist der untere Längenstab
auf der Rückseite gehalten (vgl. Blatt I.
Nr. 2), reicher und schöner sind schon
Nr. 4 und 5, am feinsten aber ist Nr. 3,
und hier läßt sich auch am meisten der
Einfluß der Renaissance erkennen. Der
Graveur zeigt, wie er sein Material be-
herrscht und gleichsam mit den Formen
spielt. Jeder Theil ist wieder in eigen-
artiger Weise behandelt und nichts ledig-
lich wiederholt. Die Kleeblatt-Enden zeigen

in der Mitte einen ausgesparten Kreis, der
von einem Strahlenkranz umgeben ist (vgl.
I. Nr. 5 und II. Nr. 2 n. 4).

Der crucitixus ist ein Erzguß, mit Gold
broncirt, trägt Dornenkrone und ein vorne
sich kreuzendes und rechts hinausragendes
Schamtuch. Im Verhältniß zum Kreuz
ist er etwas klein, gehörte aber von An-
fang an dazu. Das Blech ist an mehre-
ren Stellen beschädigt und theilweise schief
aufgenagelt. Das ganze Kreuz wird dem
Anfänge des 16. Jahrhunderts oder Ende
des 15. Jahrh. angehören.

Bedeutend kleiner ist das Prozessions-
kreuz in Jetten Hausen. Es ist nur
40 cm hoch und 30 cm breit und hat
einen 4 cm breiten Stab, welcher in Vier-
pässe ausläuft. Die Zeichnung (vergl.
Blatt 11. den Querstab und oberen Länge-
stab) ist ihrem Charakter nach von den
bisher beschriebenen ziemlich verschieden.
Es ist wiederum Pslanzenornament, das
sich spiralförmig um einen flach gehaltenen,
zum Theil knorrigen Stamm windet. Die
Blätter sind noch streng gezeichnet und zum
Theil weniger schwunghaft gravirt. Unser
Kreuz II. zeigt Kleeblattform zum Unter-
schied von der Vierpaßsorm I. Das Jet-
tenhauser Kreuz jedoch hat den Vierpaß.
Die Kreuzesenden sind mit getriebenem
Silberblech aus der Zopfzeit überkleidet,
auf der Vorderseite die vier Evangelisten
mit ihren Symbolen, ans der Rückseite die
Namen Jesus, Maria, Joseph, Anna
darstellend. Die Vierung ist wiederum
rechteckig ausladend und hatte auf der
Rückseite nur ein solches Zopfblech auf
dem Holzkerne. In letzter Zeit jedoch
wurde eiu dem Vierungsbleche auf der Vor-
derseite entsprechendes Messingblech ange-
bracht, in welches Hr. Hofgraveur Schil-
ler in Stuttgart eine dem Stile des Gan-
zen konforme Pflanzenornamentik schwung-
voll eingravirt hat. Ob der Vierung ist
auf einem von links nach rechts gerollten
Spruchband in gothischen Minuskeln die
Kreuzesüberschrift angebracht. In den
Vierpässen unter dem getriebenen Bleche
finden wir ansgesparte Kreise, umgeben
von einem Strahlenkranz (vgl. II. 2. u. 4).

Das Interessanteste an diesem Kreuze
ist der crucitixus (vgl. Blatt II.). Es ist
ein Bronceguß aus der Zeit um 1100
und ist hohl, wahrscheinlich für Reliquien.
 
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