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ähnlicher Vierpaß füllt die obere große
Scheibe; weil dieselbe aber auch so noch im
Vergleich zu den anderen leer erscheinen
würde, so sind in die einzelnen Blätter des
Vierpasses wiederum kleinere Kreisstücke
eingeschrieben. Aehnliche Glieder beleben
nun auch noch die vier kleinen Glieder der
Unterabtheilung. Solche Spitzen, die ans
dem Zusammenstößen zweier Kreisabschnitte
gebildet werden, nennt man „Nasen".
In der frühesten Gothik sind sie selten
und dann ziemlich stumpf, werden aber
mit der Entwickelung des Stiles immer
häufiger und spitzer; ihr Vorbild aber
haben sie schon in den kleinen sich aneinander
reihenden Zierbögen des romanischen Sti-
les (vergl. Fig. 128). An dem eben be-
schriebenen Fenster sollte nur der Grund-
gedanke der gothischen Maßwerkbildnng
erläutert werden; die thatsächlich vorkom-
menden Formen sind so mannigfaltig, daß
es unmöglich wäre, auch nur die Haupt-
formen hier vorzuführen. Neben der Zwei-
und Viertheilung ist auch Drei- (bezw.
Sechs-) Theilung u. a. ähnl. zu allen
Zeiten beliebt.
Die frühesten gothischen Fenster lassen
zwischen den einzelnen Abtheilungen ziem-
lich starke und breite Theile stehen, welche
alle in einer Fläche liegen, so daß die einzel-
nen Oeffnuugeu wie aus einer großen Stein-
platte herausgeschnitteu erscheinen. Am
meisten ist dieses bei den oberen Theilen des
Fensters der Fall, welche thatsächlich aus
Platten bestehen, in die ein oder mehrere
Kreise, Dreipäfse, Vierpässe und dergleichen
hineingeschnitten sind. Ein bezeichnendes
Muster dieser Art geben wir in Fig. 131,
welche zwar keine eigentliche Maßwerk-
bekrönung innerhalb eines Fensters ist,
aber eine Fensterrose darstellt, die zu
den unter ihr befindlichen Doppelfenstern
fast in derselben Beziehung steht, wie in
Fig. 130 der obere große Kreis zu den
beiden Fensterhälften. Der beigegebene
Durchschnitt zeigt wie diese Platten (a)
in eine Ruth eingelassen und dadurch
gegen seitliche Verschiebung gesichert sind.
Bald jedoch verschwinden die Platten gänz-
lich und das ganze Maßwerk erscheint nur
aus gleichmäßig breiten Strängen zusam-
mengesetzt wie in Fig. 130, jedoch sind die ein-
zelnen Stränge, wie dieselbe Figur zeigt, un-
ter sich wieder verschieden, insofern diejenigen,
welche die Hauptabtheiluug darstelleu, stär-
ker sind als diejenigen, welche die untern
Abtheilungen und den Vierpaß der großen
Scheibe bilden, und diese wieder stärker
als die Nasen der kleinen Spitzbögen, die
Vierpässe in den daraufliegenden Kreisen
und die Füllungen der Halbkreise des
großen oberen Vierpasses; so wird die Be-
ziehung der einzelnen Abtheilungen zu ein-
ander und zum Ganzen kräftig hervorge-
hoben und die Wirkung eines solchen Fen-
sters, mag es auch noch so viele Abtheilun-
gen haben, bleibt immer eine ungemein
klare und wohlthuende. (Fortsetz, folgt.)
Hra Giovanni da Aesole,
der Engel der kirchlichen Malerei.
Voir Prof. vr. Keppler.
(Fortsetzung.)
Selbst einem Vasari, welchem der Be-
griff einer religiösen Kunst völlig zu ver-
schwimmen anfing, drängte sich das Gefühl
auf, daß „die Heiligen Fiesolcks weit mehr
das Ansehen von Heiligen haben, als die
eines anderen Malers", und wir wundern
uns nicht, wenn er als Ueberlieferung uns
mittheilt, daß der englische Bruder nie den
Pinsel in die Hand genommen, ohne vor-
her gebetet zu haben, nnb nie den Ge-
kreuzigten habe malen können, ohne daß
ihm die Thränen über die Wangen flössen.
Was vor allem seine Malereien im Kloster
San Marco anlangt, so stellt er hier
sichtlich seine Kunst ganz in den Dienst
der klösterlichen Erziehung. Die technisch
so überaus anspruchslosen Zellenbilder kön-
nen gar nicht etwa dem Streben des Klo-
sterobern oder des Meisters ihren Ursprung
verdanken, das Kloster mit Kunstwerken
auszustatten. Die ästhetische Bedeutung
tritt hier völlig zurück vor der ascetischen
und religiösen. Durch diese Bilder sollten
die Bewohner der Zellen bei jedem Auf-
schlag der Augen in jene Welten versetzt
werden, in welchen ihr Wandel sein sollte,
in welche die ganze Klostererziehung sie
erheben will. Die Malerei erscheint hier
in den Rath der Klosterobern gezogen und
wird ihre Gehilfin in der Leitung und gei-
stigen Förderung der Mönche, ob nun Fie-
sole von sich aus ihr diese Stellung gab,
oder ob der selige Giovanni da Domenici,
welcher für Herstellung der strengen Ob-
ähnlicher Vierpaß füllt die obere große
Scheibe; weil dieselbe aber auch so noch im
Vergleich zu den anderen leer erscheinen
würde, so sind in die einzelnen Blätter des
Vierpasses wiederum kleinere Kreisstücke
eingeschrieben. Aehnliche Glieder beleben
nun auch noch die vier kleinen Glieder der
Unterabtheilung. Solche Spitzen, die ans
dem Zusammenstößen zweier Kreisabschnitte
gebildet werden, nennt man „Nasen".
In der frühesten Gothik sind sie selten
und dann ziemlich stumpf, werden aber
mit der Entwickelung des Stiles immer
häufiger und spitzer; ihr Vorbild aber
haben sie schon in den kleinen sich aneinander
reihenden Zierbögen des romanischen Sti-
les (vergl. Fig. 128). An dem eben be-
schriebenen Fenster sollte nur der Grund-
gedanke der gothischen Maßwerkbildnng
erläutert werden; die thatsächlich vorkom-
menden Formen sind so mannigfaltig, daß
es unmöglich wäre, auch nur die Haupt-
formen hier vorzuführen. Neben der Zwei-
und Viertheilung ist auch Drei- (bezw.
Sechs-) Theilung u. a. ähnl. zu allen
Zeiten beliebt.
Die frühesten gothischen Fenster lassen
zwischen den einzelnen Abtheilungen ziem-
lich starke und breite Theile stehen, welche
alle in einer Fläche liegen, so daß die einzel-
nen Oeffnuugeu wie aus einer großen Stein-
platte herausgeschnitteu erscheinen. Am
meisten ist dieses bei den oberen Theilen des
Fensters der Fall, welche thatsächlich aus
Platten bestehen, in die ein oder mehrere
Kreise, Dreipäfse, Vierpässe und dergleichen
hineingeschnitten sind. Ein bezeichnendes
Muster dieser Art geben wir in Fig. 131,
welche zwar keine eigentliche Maßwerk-
bekrönung innerhalb eines Fensters ist,
aber eine Fensterrose darstellt, die zu
den unter ihr befindlichen Doppelfenstern
fast in derselben Beziehung steht, wie in
Fig. 130 der obere große Kreis zu den
beiden Fensterhälften. Der beigegebene
Durchschnitt zeigt wie diese Platten (a)
in eine Ruth eingelassen und dadurch
gegen seitliche Verschiebung gesichert sind.
Bald jedoch verschwinden die Platten gänz-
lich und das ganze Maßwerk erscheint nur
aus gleichmäßig breiten Strängen zusam-
mengesetzt wie in Fig. 130, jedoch sind die ein-
zelnen Stränge, wie dieselbe Figur zeigt, un-
ter sich wieder verschieden, insofern diejenigen,
welche die Hauptabtheiluug darstelleu, stär-
ker sind als diejenigen, welche die untern
Abtheilungen und den Vierpaß der großen
Scheibe bilden, und diese wieder stärker
als die Nasen der kleinen Spitzbögen, die
Vierpässe in den daraufliegenden Kreisen
und die Füllungen der Halbkreise des
großen oberen Vierpasses; so wird die Be-
ziehung der einzelnen Abtheilungen zu ein-
ander und zum Ganzen kräftig hervorge-
hoben und die Wirkung eines solchen Fen-
sters, mag es auch noch so viele Abtheilun-
gen haben, bleibt immer eine ungemein
klare und wohlthuende. (Fortsetz, folgt.)
Hra Giovanni da Aesole,
der Engel der kirchlichen Malerei.
Voir Prof. vr. Keppler.
(Fortsetzung.)
Selbst einem Vasari, welchem der Be-
griff einer religiösen Kunst völlig zu ver-
schwimmen anfing, drängte sich das Gefühl
auf, daß „die Heiligen Fiesolcks weit mehr
das Ansehen von Heiligen haben, als die
eines anderen Malers", und wir wundern
uns nicht, wenn er als Ueberlieferung uns
mittheilt, daß der englische Bruder nie den
Pinsel in die Hand genommen, ohne vor-
her gebetet zu haben, nnb nie den Ge-
kreuzigten habe malen können, ohne daß
ihm die Thränen über die Wangen flössen.
Was vor allem seine Malereien im Kloster
San Marco anlangt, so stellt er hier
sichtlich seine Kunst ganz in den Dienst
der klösterlichen Erziehung. Die technisch
so überaus anspruchslosen Zellenbilder kön-
nen gar nicht etwa dem Streben des Klo-
sterobern oder des Meisters ihren Ursprung
verdanken, das Kloster mit Kunstwerken
auszustatten. Die ästhetische Bedeutung
tritt hier völlig zurück vor der ascetischen
und religiösen. Durch diese Bilder sollten
die Bewohner der Zellen bei jedem Auf-
schlag der Augen in jene Welten versetzt
werden, in welchen ihr Wandel sein sollte,
in welche die ganze Klostererziehung sie
erheben will. Die Malerei erscheint hier
in den Rath der Klosterobern gezogen und
wird ihre Gehilfin in der Leitung und gei-
stigen Förderung der Mönche, ob nun Fie-
sole von sich aus ihr diese Stellung gab,
oder ob der selige Giovanni da Domenici,
welcher für Herstellung der strengen Ob-