71
Fra Giovanni da Fiesole,
der Engel der kirchlichen Malerei.
Vvn Prof. Dir. Keppler.
(Fortsetzung.)
Der Unterhandlung des Judas
mit deu Synedristen ist in der Reihe
der Silberschrankbilder eine Darstellung
gewidmet, welche sicher Fiesole angehört.
Die Komposition ist trefflich arrangirt.
Aus einem mächtigen, düstern Bail kom-
men vier Gestalten heraus, drei Synedri-
sten mit Judas, deu auch hier noch der
Heiligenschein ziert. Vor dem Hanfe wird
ihnt die Summe in die Hand gezählt; der
eine, wohl der Hohepriester, sixirt dabei
den Judas von unten mit einem stechenden
Blick, der sich seiner vergewissern will und
ihn scharf an die übernommene Verpflich-
tung gemahnt. Das Haupt des Judas ist
frech erhoben, mit der Energie des inner-
lich vollendeten Verbrechers. Zwei Ge-
stalten zur Rechten scheinen den ganzen
Handel noch einmal zu durchdenken und
zu besprechen; zwei Gestalten zur Linken,
ohne allen Zweifel Nikodemus und Joseph
von Arimathäa, geben Zeichen höchsten
Bedauerns, und einer hat die Hände ge-
faltet, wie um Hilfe von oben zu erflehen.
So weiß Fiesole auch in diese Scene einen
Strahl der Andacht zu leiten.
Die Todesangst am Oelberg hat
Fiesole zweimal dargestellt, auf einem Ta-
felbild, das von den mehrgenannten Sil-
berschränken stammt, und auf einem Zel-
lengemälde von San Marco. Beide Dar-
stellungen leiden einigermaßen unter der
fast unüberwindlichen Schwierigkeit, welche
im Thema selbst liegt. Das Bild muß in
zwei Theile gehen, welche durch einige Ent-
fernung von einander geschieden sein müs-
sen. Der in Todesangst ringende Heiland
und die schlafenden Jünger dürfen nicht
znsammengruppirt werden, denn das Evan-
gelium berichtet ausdrücklich, daß eines Stein-
wurfs Weite ungefähr der Herr von den
Jüngern gegangen sei. Nun fragt es sich
für den Künstler, ob er dem Herrn oder
den Jüngern den vortheilhafteren, d. h.
vorderen Platz in seinem Bilde einräumen
will. Zunächst möchte es wie eine Pflicht
erscheinen, dem Herrn den Vordergrund
und die volle Größe zukommen zu lassen;
allein der Künstler kann die Jünger nicht
wohl entbehren, sie sind ihm ein Haupt-
mittel, um diese Stunde als Stunde des
Schmerzes und des Entsetzens darzustellen;
auf dieses Mittel muß er so gut wie ver-
zichten, wenn er sie in der Entfernung
und perspektivischen Verkleinerung postirt.
Die meisten, welche sich mit dem Thema
befaßt haben, und auch Fiesole, rücken
daher den Herrn selbst in den Hinter-
grund; aber freilich zeigt in Folge dessen
die Gestalt des Heilands auch bei dem
großen Seelen- und Schmerzensmaler Fie-
sole nicht die ganze Größe und Furchtbar-
keit seiner Todesangst; der Ausdruck ist
im Großen und Ganzen nur der eines in-
brünstigen Beters. Dagegen ist sehr kraft-
voll der schwere drückende Alp angedeutet,
welcher die Lider der Jüuger geschlosseu
und ihre Gestalten iit Schlaf gebannt hat;
man sieht es, sie sind in grauenvollen Sor-
gen, in Zagen und Weinen entschlafen
und nicht minder grauenvolle Bilder und
Träume schrecken sie im Schlafe. Eine
ganz eigenthümliche Nebenepisode zeigt aber
das Zellenbild. Rechts, wo durch eine
große Mauerwand der Hanptschauplatz ab-
geschlossen ist, sieht man unter der Bogen-
halle eines Hauses Maria und Martha am
Boden sitzen. Maria liest in einem Buch;
ihr Antlitz wie das der betenden Martha
zeigt einen Reflex der Todeöangststimmnng,
welche drüben im Garten den Herrn und
die Jünger beschwert. Diese Episode ist
überaus rührend. Es ist nicht möglich,
hat sich der fromme Meister gesagt, daß
die Mutter des Herrn an diesem Abend
nicht sollte geahnt und gefühlt haben, was
in der Seele des Herrn vorgieng, und daß
sie.nicht sollte in heißem Gebet sich mit
ihm geistig vereint haben, und du, o Zel-
lenbewohner, so predigt das Bild, ahme
nicht die schlafenden Jünger nach, sondern
die heilige Mutter Jesu und betrachte und
durchbete mit den heiligen Frauen des
Heilandes Todesangst.
Mit dem Ueberfall im Garten
beschäftigen sich zwei Bilder von den mehr
genannten Tafeln und ein Zellenfresko.
Die beiden ersteren sind wohl über Aecht-
heitszweisel nicht erhaben; daher genügt
es, von letzterem zu reden. Der Akt,
welchen dieses sixirt, ist ein komplizirter:
der Judaskuß, die Gefangennehmung, der
Schwertschlag des Petrus. In der Mitte
Fra Giovanni da Fiesole,
der Engel der kirchlichen Malerei.
Vvn Prof. Dir. Keppler.
(Fortsetzung.)
Der Unterhandlung des Judas
mit deu Synedristen ist in der Reihe
der Silberschrankbilder eine Darstellung
gewidmet, welche sicher Fiesole angehört.
Die Komposition ist trefflich arrangirt.
Aus einem mächtigen, düstern Bail kom-
men vier Gestalten heraus, drei Synedri-
sten mit Judas, deu auch hier noch der
Heiligenschein ziert. Vor dem Hanfe wird
ihnt die Summe in die Hand gezählt; der
eine, wohl der Hohepriester, sixirt dabei
den Judas von unten mit einem stechenden
Blick, der sich seiner vergewissern will und
ihn scharf an die übernommene Verpflich-
tung gemahnt. Das Haupt des Judas ist
frech erhoben, mit der Energie des inner-
lich vollendeten Verbrechers. Zwei Ge-
stalten zur Rechten scheinen den ganzen
Handel noch einmal zu durchdenken und
zu besprechen; zwei Gestalten zur Linken,
ohne allen Zweifel Nikodemus und Joseph
von Arimathäa, geben Zeichen höchsten
Bedauerns, und einer hat die Hände ge-
faltet, wie um Hilfe von oben zu erflehen.
So weiß Fiesole auch in diese Scene einen
Strahl der Andacht zu leiten.
Die Todesangst am Oelberg hat
Fiesole zweimal dargestellt, auf einem Ta-
felbild, das von den mehrgenannten Sil-
berschränken stammt, und auf einem Zel-
lengemälde von San Marco. Beide Dar-
stellungen leiden einigermaßen unter der
fast unüberwindlichen Schwierigkeit, welche
im Thema selbst liegt. Das Bild muß in
zwei Theile gehen, welche durch einige Ent-
fernung von einander geschieden sein müs-
sen. Der in Todesangst ringende Heiland
und die schlafenden Jünger dürfen nicht
znsammengruppirt werden, denn das Evan-
gelium berichtet ausdrücklich, daß eines Stein-
wurfs Weite ungefähr der Herr von den
Jüngern gegangen sei. Nun fragt es sich
für den Künstler, ob er dem Herrn oder
den Jüngern den vortheilhafteren, d. h.
vorderen Platz in seinem Bilde einräumen
will. Zunächst möchte es wie eine Pflicht
erscheinen, dem Herrn den Vordergrund
und die volle Größe zukommen zu lassen;
allein der Künstler kann die Jünger nicht
wohl entbehren, sie sind ihm ein Haupt-
mittel, um diese Stunde als Stunde des
Schmerzes und des Entsetzens darzustellen;
auf dieses Mittel muß er so gut wie ver-
zichten, wenn er sie in der Entfernung
und perspektivischen Verkleinerung postirt.
Die meisten, welche sich mit dem Thema
befaßt haben, und auch Fiesole, rücken
daher den Herrn selbst in den Hinter-
grund; aber freilich zeigt in Folge dessen
die Gestalt des Heilands auch bei dem
großen Seelen- und Schmerzensmaler Fie-
sole nicht die ganze Größe und Furchtbar-
keit seiner Todesangst; der Ausdruck ist
im Großen und Ganzen nur der eines in-
brünstigen Beters. Dagegen ist sehr kraft-
voll der schwere drückende Alp angedeutet,
welcher die Lider der Jüuger geschlosseu
und ihre Gestalten iit Schlaf gebannt hat;
man sieht es, sie sind in grauenvollen Sor-
gen, in Zagen und Weinen entschlafen
und nicht minder grauenvolle Bilder und
Träume schrecken sie im Schlafe. Eine
ganz eigenthümliche Nebenepisode zeigt aber
das Zellenbild. Rechts, wo durch eine
große Mauerwand der Hanptschauplatz ab-
geschlossen ist, sieht man unter der Bogen-
halle eines Hauses Maria und Martha am
Boden sitzen. Maria liest in einem Buch;
ihr Antlitz wie das der betenden Martha
zeigt einen Reflex der Todeöangststimmnng,
welche drüben im Garten den Herrn und
die Jünger beschwert. Diese Episode ist
überaus rührend. Es ist nicht möglich,
hat sich der fromme Meister gesagt, daß
die Mutter des Herrn an diesem Abend
nicht sollte geahnt und gefühlt haben, was
in der Seele des Herrn vorgieng, und daß
sie.nicht sollte in heißem Gebet sich mit
ihm geistig vereint haben, und du, o Zel-
lenbewohner, so predigt das Bild, ahme
nicht die schlafenden Jünger nach, sondern
die heilige Mutter Jesu und betrachte und
durchbete mit den heiligen Frauen des
Heilandes Todesangst.
Mit dem Ueberfall im Garten
beschäftigen sich zwei Bilder von den mehr
genannten Tafeln und ein Zellenfresko.
Die beiden ersteren sind wohl über Aecht-
heitszweisel nicht erhaben; daher genügt
es, von letzterem zu reden. Der Akt,
welchen dieses sixirt, ist ein komplizirter:
der Judaskuß, die Gefangennehmung, der
Schwertschlag des Petrus. In der Mitte