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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 5.1887

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Nr. 11
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Keppler, Paul Wilhelm von: Fra Giovanni da Fiesole, [6]: der Engel der kirchlichen Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.15863#0097

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Archiv für christliche Lunst.

Organ des Rottenburger Diözesan-Oereins für christliche Runft.

kjerausgegeben und redigirt von Professor Dr. Keppler in Tübingen.

Verlag des Rottenbnrger Diözesan-Kunstvereins, für denselben: der Vorstand Professor Dr. Keppler.

Erscheint monatlich einmal. Halbjährl. für M. 2. 05 durch die würltemb. (M. l. 90
im Stuttg. Bcstellbczirk), M. 2. 20 durch die bayerischen und die Reichspostanstaltcn,
TPl-»* TT lt- l- 27 in Oesterreich, Frcs. 3. 40 in der Schweiz zu beziehen. Bestellungen werden

J-T* auch angenommen von allen Buchhandlungen, sowie gegen Einsendung des Betrags
direkt von der Expedition des „Deutschen Volksblatts" in Stuttgart, Urbansstrahe 94,
zum Preise von M. 2. 05 halbjährlich.

1887.

Hra Giovanni da Kesole,

der Engel der kirchlichen Malerei.

Von Prof. Dr. Keppler.

(Fortsetzung.)

Das Thema ist in den verschiedenen
Darstellungen nur wenig variirt, aber im-
mer in seiner ganzen Tiefe erfaßt. Das
einemal sitzt die hl. Jungfrau auf dem
Schemel und der Engel kniet vor ihr,
oder er wandelt eben ins Gemach herein,
tief sich verneigend, oder Maria kniet betend
am Boden und der Engel steht vor ihr,
oder Maria steht und der Engel macht,
noch im Schweben, eine halbe Kniebengung.
Auch in den Affekten, welche aus den bei-
den Gesichtern spielen, sind nur kleine
Nuancirungen zu bemerken. Das einemal
ist mehr das züchtige Erschrecken und Er-
schauern bei Anhörung der wunderbaren
Botschaft ins Antlitz der hl. Jungfrau
eingezeichnet, wie auf dem Korridorbild;
das anderemal mehr die völlige Hingabe,
das gläubige Eingehen in Gottes Rath-
schlnß, wie auf dem Zellenbild, dem Re-
liquiarbild und dem Bild in Perugia.
Ebenso ist auf dem Antlitz des Engels
bald höchste Ehrfurcht vor der hl. Jung-
frau zu losen (Korridorbild und Reliquiar-
bild), bald das ganze Hochgefühl seiner
göttlichen Mission (Schrankbild und große
Altartasel von Cortona). Dementsprechend
kreuzt er das einemal beide Hände über
der Brust, als Diener der Jungfrau sich
bekennend, das anderemal steht sein Gestus
im Dienste seiner hohen Botschaft, am
schönsten ans dem großen Altarbild von
Cortona, wo die eine Hand mit dem Finger
aufwärts weist, die andere ans Maria zeigt;
hier drückt die Aktion die ganze Botschaft
ans: du bist die von oben Erwählte,
durch den hl. Geist sollst du Gottesmutter
werden. In den Lüften ist die Taube
sichtbar, einmal auch (ans dem Reliqniar-

bild) Gott Vater, welcher die Taube ent-
sendet.

An süßem Wohlklang aller Linien, For-
men und Affekte steht obenan das Bild
im oberen Gange von San Marco. In
gewölbter, aus Säulchen ruhender Vorhalle
sitzt die hl. Jungfrau auf ganz schmucke
losem Stuhl; die Thüre ihrer Zelle steht
offen; links erschließt sich ein Blick auf einen
Blumengarten, welcher durch einen Zaun
von einem größeren Baumgarten abgegrenzt
ist. Der Engel ist hereingeschwebt und richtet
seine Botschaft ans; die Gedanken der Jung-
frau sind ganz verloren in das angemel-
dete große Geheimniß und ihre Augen vor
Staunen weit geöffnet. In dem einfache-
ren Arrangement des Zellenbildes hat St.
Petrus Martyr einen Platz gefunden;
unter einem Arkadenbogen stehend darf er
Zeuge der wunderbarsten Unterredung sein,
welche je geführt wurde. Reicher ist wie-
der die Staffage bei dem Silberschrank-
bild; die hl. Jungfrau kniet in einem
kleinen Höschen, das von einer Säulen-
halle eingeschlossen ist und durch seine Thüre
einen Blick gewährt in eine Allee von
Cypressen; auch hier richtet der Engel mit
jenem feierlichen Doppelgestus seine Bot-
schaft aus. Alle diese Darstellungen haben
den gemeinsamen Vorzug, der ihnen abge-
lernt werden sollte, daß sie nicht bloß das
Auge durch den Liebreiz ihrer Formen
entzücken, sondern auch dem Gemüt eine
Ahnung des hochheiligen Geheimnisses bei-
bringen, um welches es sich hier handelt.
Bei aller Lieblichkeit ist ein hochheiliger
Ernst, eine Gemessenheit der Haltung und
Bewegung, ein Gebanntsein durch Eindrücke
und Erfahrungen einer höheren Welt nicht
zu verkenuen. Das bewirkt, daß auch das
Gemüt des Beschauers vom Schauer des
Mysteriums umfangen, über das Alltägliche
hinansgehoben, zur Erfassung der weltbe-
wegenden Bedeutung jener Sendung und
 
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