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den, namentlich wenn diese die ganze Weite
zwischen den Strebepfeilern einnehmen und
der ganze Bau fast nur aus Fenstern und
Pfeilern besteht.
Später wurden Verzierungen der Strebe-
pfeilermasse durch Vorgesetzte Fialen u. dgl.
beliebt, die aber au einzelnen spätgothischen
Werken den klaren Ausdruck der Funktion
des Strebepfeilers durch ihr Ueberwuchern
einigermaßen beeinträchtigten.
Besondere Erwähnung verdienen noch
die Strebepfeiler der Seitenschiffe an
größeren Bauten, welche über dem Dach-
anschluß einen oft reich entwickelten mit
Fialen, Baldachinen u. dgl. geschmückten
Aussatz tragen, von welchem aus sich leichte
Bögen frei bis zur Mauer des Haupt-
schiffes hinüberschwingen, um den Schub
der Hauptgewölbe aufzufangen und auf
die seitlichen Strebepfeiler hinüberzuleiten.
(Fortsetzung folgt.)
Hra Giovanni da Kesole,
der Engel der kirchlichen Malerei.
Von Prof. vr. Keppler.
(Fortsetzung.)
Uns sind folgende Kröimugsbilder von
ihm bekannt: das für San Domenico in
Fiesole gemalte, jetzt im Louvre befindliche,
mit einem ziemlich reichen Chor von Engeln
und Heiligen; ferner eine für Maria No-
vella gemalte Tafel, jetzt in den Uffizien,
wohl das fchönste von allen; sodann ein
Zellenbild dieses Themas und eine Dar-
stellung auf dem Reliquiar von San Marco.
Das letztgenannte Bild zeigt uns Maria
kniend auf der obersten der sieben Stufen,
die zum Throne Jesu führen; ihr Antlitz
leuchtet in seligster, durch Demut verschönter
Freude und Seelenlust; der König des
Himmels setzt ihr die Krone auf; Engel
nehmen fröhlichsten Antheil am herrlichen
Schauspiel, und eine große Gruppe von
Heiligen, deren Antlitz von uns ab- auf
die beiden Hauptgestalten hingewendet ist,
erscheint wie gebannt durch die himmlische
Erscheinung. Am reichsten ausgestattet ist
die Krönung in den Uffizien; hier sitzt
Maria neben Jesus, wonnetrunken den
Blick auf ihn richtend, aber auch in diesem
Moment der Demut nicht vergessend. Welch
ein Antlitz! das Glorienlicht des Himmels
spielt wahrhaftig über dasselbe hin. Und
Jesus erwidert den Blick, königlich mild,
als Gottessohn und als ihr Sohn. Und
ein Flammenregen von Licht geht aus von
den: König und der Königin des Himmels
und taucht alle die Gesichter der Heiligen
in Glorie, Freude, Lust und Seligkeit;
einige von ihnen wenden sich zu uns und reden
zu uns von der Herrlichkeit des Himmels,
wie der Bischof zur Linken, andere weisen
mit begeisterndem Blick auf die himmlische
Vision hin. Die Engelwelt aber, des
Himmels ewige Jugend, feiert das Ereig-
niß in ihrer Weise mit vielerlei Musikspiel,
und wir lesen auf den Gesichtern der
Spielenden die Süße und Lieblichkeit ihrer
Melodien und Harmonien. In seliges
Entzücken aber versetzt der Anblick der
Engel, welche unmittelbar um den Thron
Jesu und Mariens einen Tanzreigen auf-
sühren. Dieser ätherische Tanz ist von
einer Anmut und Reinheit, die mit dem
Irdischen nichts mehr gemein hat; solch
melodiöses Schweben und Geisterwehen
ist nur in himmlischen Lüften möglich.
Staunend sieht man hier, wieweit der
Pinsel sich vorwagen kann in Wiedergabe
himmlischer Geheimnisse, da wo die Seele
in der Atmosphäre des Himmels lebt und
athmet.
Wenn wir an diesem wunderbaren Bilde
uns satt entzückt haben und nach San
Marco gehen, um das Zellenbild der
Krönung zu betrachten, so finden wir, daß
Fiesole's Inspirationen nicht bloß hoch son-
dern auch reich und mannigfaltig waren.
Wie einfach ist dieses Bildchen komponirt!
Jesus und Maria auf dem Wolkenthron,
unten zu beiden Seiten im Halbkreis,
gegen die Mitte hin sich vereinigend, sechs
Heiligengestalten in ganz derselben Stellung
und Aktion. Man begreift kaum, wie so
wenig Aufwand an Kunst solchen Eindruck
erzielen kann; aber je länger man das
Bild betrachtet, umsomehr gibt man sich
diesem Eindruck gefangen. Hier ist nicht
soviel Himmelslust in die Darstellung ein-
verwoben; die Komposition ist anfs Noth-
wendigste beschränkt; selbst die Engel sind
ausgeschlossen. Es sollte ein Betrachtungs-
bild gemalt werden, darum wird nur das
Thema selbst in bündigster Weise ange-
schrieben. Marie sitzt tiefgeneigt auf dem
Throne; hier überwiegt die Demut selbst
die Freude. Jesus, eine herrliche Gestalt,
den, namentlich wenn diese die ganze Weite
zwischen den Strebepfeilern einnehmen und
der ganze Bau fast nur aus Fenstern und
Pfeilern besteht.
Später wurden Verzierungen der Strebe-
pfeilermasse durch Vorgesetzte Fialen u. dgl.
beliebt, die aber au einzelnen spätgothischen
Werken den klaren Ausdruck der Funktion
des Strebepfeilers durch ihr Ueberwuchern
einigermaßen beeinträchtigten.
Besondere Erwähnung verdienen noch
die Strebepfeiler der Seitenschiffe an
größeren Bauten, welche über dem Dach-
anschluß einen oft reich entwickelten mit
Fialen, Baldachinen u. dgl. geschmückten
Aussatz tragen, von welchem aus sich leichte
Bögen frei bis zur Mauer des Haupt-
schiffes hinüberschwingen, um den Schub
der Hauptgewölbe aufzufangen und auf
die seitlichen Strebepfeiler hinüberzuleiten.
(Fortsetzung folgt.)
Hra Giovanni da Kesole,
der Engel der kirchlichen Malerei.
Von Prof. vr. Keppler.
(Fortsetzung.)
Uns sind folgende Kröimugsbilder von
ihm bekannt: das für San Domenico in
Fiesole gemalte, jetzt im Louvre befindliche,
mit einem ziemlich reichen Chor von Engeln
und Heiligen; ferner eine für Maria No-
vella gemalte Tafel, jetzt in den Uffizien,
wohl das fchönste von allen; sodann ein
Zellenbild dieses Themas und eine Dar-
stellung auf dem Reliquiar von San Marco.
Das letztgenannte Bild zeigt uns Maria
kniend auf der obersten der sieben Stufen,
die zum Throne Jesu führen; ihr Antlitz
leuchtet in seligster, durch Demut verschönter
Freude und Seelenlust; der König des
Himmels setzt ihr die Krone auf; Engel
nehmen fröhlichsten Antheil am herrlichen
Schauspiel, und eine große Gruppe von
Heiligen, deren Antlitz von uns ab- auf
die beiden Hauptgestalten hingewendet ist,
erscheint wie gebannt durch die himmlische
Erscheinung. Am reichsten ausgestattet ist
die Krönung in den Uffizien; hier sitzt
Maria neben Jesus, wonnetrunken den
Blick auf ihn richtend, aber auch in diesem
Moment der Demut nicht vergessend. Welch
ein Antlitz! das Glorienlicht des Himmels
spielt wahrhaftig über dasselbe hin. Und
Jesus erwidert den Blick, königlich mild,
als Gottessohn und als ihr Sohn. Und
ein Flammenregen von Licht geht aus von
den: König und der Königin des Himmels
und taucht alle die Gesichter der Heiligen
in Glorie, Freude, Lust und Seligkeit;
einige von ihnen wenden sich zu uns und reden
zu uns von der Herrlichkeit des Himmels,
wie der Bischof zur Linken, andere weisen
mit begeisterndem Blick auf die himmlische
Vision hin. Die Engelwelt aber, des
Himmels ewige Jugend, feiert das Ereig-
niß in ihrer Weise mit vielerlei Musikspiel,
und wir lesen auf den Gesichtern der
Spielenden die Süße und Lieblichkeit ihrer
Melodien und Harmonien. In seliges
Entzücken aber versetzt der Anblick der
Engel, welche unmittelbar um den Thron
Jesu und Mariens einen Tanzreigen auf-
sühren. Dieser ätherische Tanz ist von
einer Anmut und Reinheit, die mit dem
Irdischen nichts mehr gemein hat; solch
melodiöses Schweben und Geisterwehen
ist nur in himmlischen Lüften möglich.
Staunend sieht man hier, wieweit der
Pinsel sich vorwagen kann in Wiedergabe
himmlischer Geheimnisse, da wo die Seele
in der Atmosphäre des Himmels lebt und
athmet.
Wenn wir an diesem wunderbaren Bilde
uns satt entzückt haben und nach San
Marco gehen, um das Zellenbild der
Krönung zu betrachten, so finden wir, daß
Fiesole's Inspirationen nicht bloß hoch son-
dern auch reich und mannigfaltig waren.
Wie einfach ist dieses Bildchen komponirt!
Jesus und Maria auf dem Wolkenthron,
unten zu beiden Seiten im Halbkreis,
gegen die Mitte hin sich vereinigend, sechs
Heiligengestalten in ganz derselben Stellung
und Aktion. Man begreift kaum, wie so
wenig Aufwand an Kunst solchen Eindruck
erzielen kann; aber je länger man das
Bild betrachtet, umsomehr gibt man sich
diesem Eindruck gefangen. Hier ist nicht
soviel Himmelslust in die Darstellung ein-
verwoben; die Komposition ist anfs Noth-
wendigste beschränkt; selbst die Engel sind
ausgeschlossen. Es sollte ein Betrachtungs-
bild gemalt werden, darum wird nur das
Thema selbst in bündigster Weise ange-
schrieben. Marie sitzt tiefgeneigt auf dem
Throne; hier überwiegt die Demut selbst
die Freude. Jesus, eine herrliche Gestalt,