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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 6.1888

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Nr. 5
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Chorschranken, Lettner und Tiborien in Württemberg, [1]
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altar und die unmittelbare Theilnahme an
dem hier vor sich gehenden Gottesdienst
durch die Zwischenwand unmöglich gemacht
-worden war. So finden wir schon an
der Abschlußwand des Manlbronner Chores
nebst zwei reich profilirten Portalen eine
Mittelnische mit Rundbogen angebracht für
den Laienaltar. Aber mit der Erhöhung
der Scheidemauer waren auch die Ambo-
nen in Wegsall gekommen; wie für sie
einen Ersatz schaffen? Man fand bald eine
geistvolle Lösung dieses Problems, indem
man über dem Laienaltar in der Mitte
der Scheidemauer einen auf zwei Freisäulen
ruhenden Baldachin sich wölben ließ, die-
sen oben mit einer Brüstung umzog und
so eine ans einer Treppe vom Chor aus
zugängliche kleine Empore gewann, mit
einem Pult für die Verlesung der Epistel
und des Evangeliums und mit dem Pre-
digtstuhl. Diese Anlage finden wir urkund-
lich ausbeduugen in dem Vertrag über
einen im Dom zu Königsberg zu errich-
tenden Lettner vom Jahr 1333; hier wird
bestimmt, daß zwei Thüreu durch die vier
Ziegel dicke Zwischenmauer gebrochen wer-
den sollen, daß zwischen ihnen ein Altar
zu errichten sei, über welchem ein Gewölbe,
von Säulen getragen, eine obere Tribüne
bilden solle zur Verlesung des Evangeliums
unb zur Aufstellung des Predigtstuhls. I

Wir erkennen in dieser Einrichtung eine
geistvolle Kombination von erhöhter Chor-
schranke, von Ältarbaldachin oder Ciborium
und von Ambo. Dies ist auch die erste
Form von Lettner im heutigen Sinn des
Wortes, d. h. von einem mit einem Lese-
pult versehenen, für die hl. Lesungen be-
nützten Querbau zwischen Chor und Schiss.
Nachdem einmal diese Auskunft gefunden
war, lag es nahe, einen Schritt weiter zu
gehen und nicht mehr bloß den mittleren
Theil der Scheidemauer zu einer Empore
zu erbreitern, sondern die Empore in der
ganzen Chorbreite anzubringen. Den wei-
teren Oberraum, den man dadurch gewann,
konnte man sehr wohl verwerthen, für die
Sänger und die Chororgel, für welche der
Raum im Chor selbst erspart wurde und
welche man hier in viel bequemerer Nähe
hatte, als aus einer Empore im Schiff.

i) Gebser und Hagen, Der Dvm zu Kö-
nigsberg I, 108 ff.; siehe bei Ottc, Archäol. I,
51 Amn.

Von der letztgenannten Verwendung erhielt
der Lettner den Namen Doxal (von Dopo-
logie), Odeum, Singechor. Anstatt einer
gewölbten Travee hatte man nun deren
drei, die entweder alle aus Säulchen oder
Pfeilern ruhten oder von welchen die zwei
äußeren sich mit ihrem Schlußbogen auf
das erste Pfeiler- oder Säulenpaar des
Langhauses stützten. Später führte man
auch die Zwischenwand nicht mehr massiv
auf, sondern entsprechend den vorderen
drei offenen Arkaden ebenfalls mit drei
aus Säulen ruhenden Bögen; so verlor
der Zwischeubau an Schwere und er ge-
stattete freieren Einblick in den noch hin-
länglich abgeschlossenen Chor. Der mitt-
leren gewölbten Travee blieb auch jetzt
die Bestimmung, für den Kreuzaltar das
Ciborium oder den Baldachin zu bilden,
die beiden andern bildeten Eingangshallen
in den Chor. Ein oder zwei Treppen-
thürmchen, meist in der inneren Chorecke
am Triumphbogen angebracht, vermittelten
den Zugang zur Empore.

Dies ist die Entstehung des Lettners; so
begreift es sich, daß diese Zwischenbauten
in Stifts- und Klosterkirchen so allgemein
in Aufnahme kamen; für unsere Vorstel-
lungen haben sie etwas Unleidliches und
Störendes an sich; die Mehrzahl dersel-
ben ist auch im 17. und 18. Jahrhun-
dert abgetragen worden; aber für damals
wurden sie als Bedürfniß empfunden, und
wenn einerseits durch sie das Volk aller-
dings vom Klostergottesdienst abgeschlossen
wurde, so diente doch eben der Lettner
wieder dazu, die Verbindung zwischen Chor
und Schiff, zwischen Volk und Klerus
herzustellen, dadurch, daß die Lesungen und
Gesänge von dieser erhöhten Stelle aus
dem ganzen Langhaus vernehmlich waren.
Aus unserer Darstellung ist ersichtlich, wie
die erhöhte Chorschranke zum Lettner sich
gestaltete und wie Chorschranke und Lett-
ner bald ein Altar-Ciborium in ihren archi-
tektonischen Verband aufnahmen. Trotz-
dem führt es aber doch zu Unklarheiten,
wenn man nicht zwischen diesen drei Dingen,
die wohl in eine Verbindung mit einander
treten können, aber keineswegs identisch
sind, genau unterscheidet. Eben bezüglich
der in Württemberg noch erhaltenen Ci-
borien, Chorschranken, Lettner ist uns der
Mangel solcher Unterscheidung in sehr maß-
 
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