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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 6.1888

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Nr. 10
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Todtenleuchten, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15864#0099

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95

hineindenken, ohne von ihrer Schönheit
bewegt zu werden; zugleich aber kann man
ein Befremden und Bedauern nicht unter-
drücken, daß eine so schöne Sitte so ganz
in Abgang kam. Die wilden Stürme des
16. und 17. Jahrh. haben das Licht der
Armenseelen auf den Kirchhöfen ausge-
blasen. Wie wäre es aber, wenn wir es
wieder anzuzünden versuchen würden? Man
könnte es nur loben und billigen, wenn den
Kirchhöfen dieser schöne Schmuck zurück-
gegeben würde, die Lichtsäule, künstlerisch
gestaltet, aufragend ans dem Reich der
Verwesung, die Herzen der Trauernden
und Verwaisten nach oben weisend, die
Lebenden zum Andenken an die Todten,
zum Gebet für ihre Seelenruhe mahnend.
Anlage, Einrichtung, künstlerische Ausstat-
tung würden hiebei wenig Sorge und Arbeit
verursachen. Es sind ans dem Mittelalter
die schönsten Exemplare erhalten, und so-
wohl Vio llet-Le-Duc im6.Band seines
Oictiommire ramonne 6e 1'urcllitecture
als E s s e n w e i n in den Mittheilnngen der
Wiener Centralkommissson 1862, S. 317 ss.
bringen eine schöne Auswahl von Aus-
nahmen alter Todtenlaternen, nach welchen
sich arbeiten ließe.

Noch mehr aber möchten wir befürworten
die Anbringung von Laternen und die An-
wendung der Lichtsäulen für die einzelnen
Gräber. Der Versuch, anstatt der schreck-
lichen Grabsteine, die nach und nach in
den monströsesten Formen, oft wahren Stein-
gebirgen gleich über den Gräbern sich erheben
und unsere Kirchhöfe in Lapidarien selt-
samsten Aussehens verwandeln, die schmied-
eisernen Kreuze in Aufnahme zu bringen,
hat noch zu keinem nennenswerthen Erfolg
geführt. Die Steinmode ist zu sehr in Herr-
schaft gekommen; „keinen Stein haben" —
das gilt fast allgemein, nicht bloß in vor-
nehmen, sondern auch in bürgerlichen
Kreisen, wie eine Art Infamie oder doch
als Malzeichen äußerster Armnth. Nun,
wenn es denn um jeden Preis ein Stein
sein muß, warum ihm nicht, anstatt der
oft so sinnlosen Formen, die dabei meist
zu allem hin noch so langweilig einförmig
sind, die Gestalt einer solchen Lichtsäule
geben? Wäre es nicht tausendmal schöner
und nobler, wenn anstatt des Steinkolosses,
welcher aussieht, als ob die Furcht, der
Todte möchte wieder herauskommen, ihn

aufs Grab gewälzt hätte, eine zierliche
Säule über dem Grab emporragen würde,
auf schönem Fuß mit Uebereckstellnngen,
oben ein schönes, eisenvergittertes Lichtge-
häuse tragend? Am Schaft der Säule
oder des Pfeilers könnte eine Wappentafel
mit dem Namen des Verstorbenen, am
Eisenthürchen, oder oben als Krönung
könnte ein Kruzifix angebracht werden.
Vorrichtungen zum Schutze der Flamme
gegen Wind und Sturm lassen fick leicht
treffen; die Pflege des Lichtes ließe sich
einrichten wie bei dem jetzt üblichen Ewig-
lichte, das nur alle 8 Tage neuen Oel-
aufgnsses bedarf; das Licht müßte ja üb-
rigens auch nicht nothwendig immerfort
brennen. Wir bitten den Klerus inständig,
diesen Vorschlag in Erwägung zu ziehen
und ihn bei andern in Empfehlung zu
bringen.

In dem bei Otte, Archäologie I, 387
aufgeführten Verzeichniß der in Deutsch-
land noch vorhandenen Todtenlenchten ist
Württemberg mit einem einzigen Ortsnamen
vertreten: Lichtel OA. Mergentheim, wo
aber, was nachher näher besprochen werden
soll, keine eigentliche Todtenlaterne sich
findet. In unserm ganzen Land gelang
es uns, eine einzige zu entdecken, deren
Abbildung wir den Lesern und der Forschung
über diesen interessanten Gegenstand nicht
vorenthalten zu dürfen glaubten. Sie be-
findet sich in Poltringen OA. Herren-
berg. Ein Zufall und eine weniger weise
Bemerkung der Oberamtsbeschreibung von
Herrenberg führte uns zur Wiederentdecknng
dieses kleinen und bescheidenen Kunstwerks,
das längst seinem Gebrauch und seinem
ursprünglichen Standort entrückt ist. In
der genannten Beschreibung heißt es näm-
lich S. 276 von der außerhalb des Ortes
stehenden St. Klemenskirche in Poltringen,
es befinde sich daselbst ein Sakraments-
haus im Chor, „ein minder großes, ans
der ehemaligen Todtenkapelle stammendes,
steht am westlichen Kircheneingang". Viel-
leicht hätten wir, wie alle, das kleine Denk-
mal übersehen, wenn nicht die angeführte
Bemerkung unsere Neugier gereizt hätte;
ein Sakramentshaus an einem Portal war
uns auf allen unfern Reisen noch nicht
vorgekommen. Das Sakramentshaus er-
wies sich alsbald als eine Todtenlaterne, die
jedenfalls früher auf dem Kirchhof, wohl
 
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