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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 8.1890

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Nr. 2
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Keppler, Eugen: Der Hirsauer Bilderfries, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15907#0024

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15

jahrhundertelanger Verkennung gerettet;
jeder Bock gebeugt; der eine dem Mönch
gegenüber vollständig niedergekniet, der
andere, mit gestreckten Beinen, die Kruppe
gegen den Mönch erhöht, den Kops nieder-
gebeugt, wie um zu trinken, wozu auch die
heraushängende Zunge passen würde. Die
bocksbartigen Genossen auf der Südseite
sind beide vom Mönch sehr unhöflich ab-
und der Hinterseite der Ecklöwen zuge-
wandt. Ihre Füße sind nach einwärts
gekrümmt, was sehr dekrepit aussieht und
entschieden nicht bloß die Stellung der
Thiere beim Grasen darstellt; denn zum
Grasen wie zum Trinken halten diese
Thiere die Füße gerade und neigen nur
den Hals, wie unser Steinmetz obigen
trinkenden Bock dargestellt hat. Noch sind
nordwärts zwei Felder übrig: das eine
rechts vom Mönch mit dem kleineren schon
besprochenen Thier; das andere links mit
dem schwerfälligen Rad mit kreuzweis ge-
stellten Speichen. Daneben die schon be-
kannte betende Frauengestalt mit kugeligem
Kopf, hervorstehenden Ohren und so her-
vorstechender Häßlichkeit, daß wenn ihre
innere Schönheit (nämlich ihre geistige
Bedeutung) der äußeren Häßlichkeit die
Wage hält — und das ist bei dem aus-
gesprochenen Gegensatz unseres biderben
Künstlers gegen alle Aesthetik sehr wohl
möglich — erstere eine recht beträchtliche
sein muß! Diese Figur, wegen Mangels
an Raum nur in halber Leibeslänge dar-
gestellt, ist offenbar knieend zu denken;
daß sie kaum oder gar nicht bekleidet ist,
hat, wie es scheint, noch kein Forscber be-
merkt — und doch ist es so!

Haben Sie nun bald genug Einzel-
heiten? Ein Alterthümler hat selten ge-
nug! Welch abschreckendes Studium ist
doch das Studium des Alterthums, da
man vor Bäumen den Wald nicht sieht
und da derjenige, welcher am meisten solche
Kleinlichkeiten an den Fingern herzuzählen
weiß, überhaupt am meisten weiß, oder
doch zu wissen meint! Sei's! wenn Sie
nur wenigstens anerkennen, daß ich, um
Ihrem Wunsch zu willfahren, die vielen
Worte gemacht habe. Am Ende schon zu
viele! Ich kann die Befürchtung nicht
unterdrücken, daß, während für Ihre Zeich-
nung Jedermann einen aufmerksamen Blick
haben wird, mich am Ende Niemand wird

lesen wollen. Allein wenn es den Leuten
langweilig däucht, sich durch all das Detail
durchzuwinden, wie langweilig muß es erst
für mich gewesen sein, es zu schreiben!
Das ist Kärrnerarbeit; aber sie muß ge-
than sein: dann erst kann das stolze
Gebäude einer gediegenen Auslegung ans
sicherer Grundlage sich erheben. Sicher
den Thatbestand festgestellt — das ist schon
halb erklärt, gleichwie gut fundamentirt
halb gebaut ist!

Aber ist denn sicher hier etwas zu er-
klären und ist etwas Sicheres zu erklären?
Das erstere anlangend machen Sie mit
Recht darauf aufmerksam, daß hieran noch
kein Mensch gezweifelt hat und um so weniger
zu zweifeln ist, je krauser und ungewöhn-
licher die betreffenden Figuren sind. So
sehr weichen sie —- mit Ausnahme der
stereotypen Löwen, die als Wappenthiere der
Grafen von Calw wohl nichts anderes auS-
drücken als die äußerlichen Beziehungen
des Klosters zu diesen ihren Schirmvögten

— so sehr weichen sie in ihrer Sonder-

barkeit von allem Konventionellen ab, daß
sie für eitel Zierat und müßige Spielerei
anfehen dem meditativen Sinn jener Zeit
sowie dem großen Geist des Erbauers
schwer Unrecht lhnn hieße. Ja die eigen-
artige Zusammenstellung dieser Runen legt
eine Gedanken re i h e nahe, die, nach dem
Orte der Anbringung zu schließen, An-
spielungen auf das Wesen, die Ziele und
die Tugenden des Mönchthums erwarten
läßt, oder, wie Sie dies anschaulich-anti-
quarisch ansdrücken: „Gleichwie einst

Theseus in der Landenge von Korinth eine
Säule errichtete und auf die eine Seite
derselben schrieb: Hier ist nicht Peloponnes
sondern Attika und auf die entgegengesetzte:
Hier ist Peloponnes und nicht Attika, so
mag Abt Wilhelm von Hirsau an der be-
thürmten Fa^ade, die er als Meilenzeiger
auf dem Weg zur Ewigkeit vor sein Werk
hinpflanzte, die Grenzlinie markirt haben
zwischen der Außenwelt und dem Reich
des Geistes dort innen, zwischen dem
Schauplatz gewöhnlichen irdischen Treibens
und jener „Schule des Dienstes Gottes"

— Dominici schola servitii, wie St.
Benedikt (in dem Vorwort ju seiner Regel)
seine Ordensniederlassungen bezeichnet." —
Gewiß ein richtiger, eines Archäologen
würdiger Gedanke, der vorsichtig auf nn-
 
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