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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 8.1890

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Nr. 5
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Die Klosterkirche von Neresheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.15907#0054

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43

und merkwürdig, das Werk des Balthasar
Neumann, des Meisters der fürstbischöflichen
Residenz in Würzburg und der ^-chönthaler
Klosterkirche. Ich habe die architektonischen
Grundgedanken der Neresheimer Kirche in
den „Wanderungen durch Württembergs
letzte Klosterbauten", Historisch-politische Blät-
ter 1888 S. 655 ff. herauszustellen gesucht
und darf mich hier auf das dort Gesagte beziehen.

Die Kirche ist wie die Schönthaler im Ba-
rockstil gebaut, aber nach anderem architektoni-
schem Prinzip. Wie in Schönthal kommen
Kuppeln zur Verwendung, der Zahl nach
nicht so reichlich wie dort, — nebst der
Vieruugskuppel sind nur noch zwei im Lang-
haus, zwei im Chor, je eine in den Armen
des Querschiffes, — aber mit viel durch-
greifenderem Erfolg, mit viel bedeutenderem
Einfluß auf die ganze Anlage. Hier domi-
niert die Kuppel in der That; nicht nur
beherrscht die Vierungskuppel den ganzen
Junenraum, das Kuppelsystem beherrscht
und besiimiut auch den ganzen Grundriß.
Einmal insofern, als die Kirche ein vollen-
deter Zentralbau ist; das Querschiff ist ganz
genau durch die Mitte der Kirche geführt und da-
mit die Vierungskuppel ins Zentrum gerückt.
Sodann aber folgen auch alle Hauptliuien
des Grundrisses der Kreisbewegung der
Kuppeln und erscheinen so recht durch diese
mit in die Schwingung hcreingezogen. Es
runden sich nicht bloß die Abschlüsse des
Chores, des Langhauses und des Querschiffes,
auch jede einzelne Travee, jede Mauerwand
zwischen den Pfeilern macht die Schwingung
der Kuppel mit und mit ihr auch die an der
Wand laufende Galerie und ihre Brüstung;
die gerade Linie der Umfassungsmauern ist
in eine Reihe von Kreissegmenten aufgelöst,
welche im Grundriß und im Aufbau die
Kreislinien der Kuppeln nachzeichneu und
ihnen folgen. Das ist der originelle Ge-
danke Reumanns, burdE) welchen er offenbar
das malerische Prinzip des Barockstils und
das Streben nach Bewegung in den Archi-
tekturlinien in genialer und technisch virtuoser
Weise aufs Extrem treibt. Die gerade Ver-
tikale erscheint aus dem Grundriß völlig
eliminirt, er rechnet nur uoch mit geraden
Horizontalliuien; alle Theile des Baues sind
wie durch eiue geheime Gewalt in Schwingung
versetzt und führen gleichsam einen Reigen-
tanz auf um die Kuppeln, die es ihnen an-
gethan haben. Man kann ja nun «freilich
dieses architektonische Prinzip sehr bedenklich
finden; man wird diese Invasion des Ma-
lerischen einer Vergewaltigung der ewigen
konstruktiven Gesetze anklagen müssen, nach
welchen so essentielle Bautheile, wie die Um-
fassungswäude, sich nicht im Kreis bewegen

und nicht Tänze aufführen dürfen, sondern
eben sich bescheiden müssen, ruhig an ihrer
Stelle zu bleiben und nichts weiter zu sein,
als abschließende, stützende und tragende
Mauer; man wird auch den Eindruck einer
Verweichlichung nicht los werden, welche in
Folge dieser Schwingung der Linien den
Bau aukränkelt, und diese Weichlichkeit voll-
ends in Widerspruch finden mit dein ernsten
religiösen Beruf des Baues. Aber wenn
man sich dem Eindruck des Innern nur
etwas überläßt, so fühlt man sich doch bald
so sehr in die rhythmische Bewegung, in den
melodischen Reigen dieser Architektur hinein-
gezogeu, daß die Lust zu kritisiren entschwin-
det. Die geschwungenen Linien versetzen
cutd) das Gemüth in höheren Schwung; die
außerordentlich weiche Anmut des Baues
umfängt uns mild bezaubernd, und wir ge-
stehen gerne, daß es vielleicht keinen Bau
gibt, in welchem große Dimensionen, kraft-
volle Gliederung, majestätische Verhältnisse
weicher und lieblicher zusammeugeschmolzen
wären; wir fühlen uns angesprochen wie
vom Klang jener alten Riesenglocken, deren
mächtiger Ton uns ehrfürchtig schauern macht,
während gleichzeitig die unendliche Milde und
Süße des Tons uns wohlig umwogt.

Auf den Tafeln Siuners kommt nun diese
originelle Architektur voll zur Wirkung; die
Prachtpartie des Innern, der Centralraum
mit der Kuppel, deren mächtige Wölbung
elegante Doppelsäulchen wie spielend tragen,
alle Schwere des Mauerbaues fein maskireud,
ist mit ihrer ganzen imposanten Wucht und
zarten Lieblichkeit auf dem Bild wiederge-
geben. Die Contouren sind so scharf, daß
jede Linie des Ornaments klar verfolgt wer-
den kann; überdies bringt ein Halbblatt einen
kleineren Ausschnitt von einigen Chortravöen
samt zwei Kuppelsäulchen mit haarscharf ge-
gebenen Details. Dem Tabernakel des Kreuz-
altars, einem reizenden Tempietto aus Me-
tall mit sechs großen stolzen Leuchtern, ist
mit Recht eine eigene Aufnahme gewidmet.

Aber der Photograph hat sich noch an
eiue schwerere Aufgabe gewagt. Schon die
besprochenen Jnnenbilder bringen auch die
Gewölbebemalung von dem berühmten Mar-
tin Knoller mit zur Anschauung, freilich ebeir
ohne den Zauber der Farbe. Herrn Sinner
lag aber daran, von dem Hauptbild, von der
Riesenkomposition in der Zentralkuppel ein
klares Bild zu gewinnen. Wir hätten nie
geglaubt, daß, bei allem Fortschritt der Photo-
graphie, der Versuch einer Wiedergabe des in
aller Höhe schwebenden Riesenbildes mit den
Hunderten von Gestalten so herrlich gelingen
könnte. In einer Beziehung ist das gran-
diose Bild jetzt viel leichter zu besichtigen,
 
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