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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 4
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Keppler, Eugen: Phantastische, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0037

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30

doch besser, diese lausen mit unter, als
daß eine unbarmherzige Garteuscheere das
ganze Wachsthum abgemäht und nur die
nackten Staketenzänne übrig gelassen hätte,
denen an Langweile manche Bauten un-
serer Tage gleichen.

Besagte Garteuscheere nun wendet (von
seinem Standpunkt in der edelsten Absicht)
der große Ascet und Prediger des Mittel-
alters, der hl. Bernhard an — zum Glück,
ohne seine kunstfeindlichen Ansichten ins
Leben einführen zu können. Für die Knnst-
geschichte jener Zeit äußerst merkwürdig ist
sein Brief an Äbt Wilhelm, den Seligen.
Darin findet sich die berühmte Stelle. l)

„Ich will nicht verweilen bei den über-
triebenen Höhenverhältnissen der Oratorien,
ihrer maßlosen Länge und überflüssigen
Breite, ihren verschwenderischen Zieraten,

') Omitto oratoriorum immensas altitudi-
nes, immoderatas longitudines, supervacuas
latitudines, sumptuosas depolitiones, curiosas
depictionesj quae dum orantium in se retor-
quent aspectum impediunt et affectum ... In
Sancto quid facit aurum ? Quem, inquam, ex
his fructum requirimus: stultorum oblectationem
an simplicium oblectationem ? Ponuntur de-
hinc in ecclesia gemmatae non coronae sed
rotae circumseptae lampadibus, sed non minus
fulgentes insertis lapidibus. Cernimus et pro
candelabris arbores quasdam erectas multo
aeria pondere, miro artificis opere fabricatas,
nec magis coruscantes superpositis lucernis
quam suis gemmis. — Ecclesia suos lapides
induit auro. Quid haec ad pauperes, ad mo-
nachos, ad spirituales viros? Nisi forte et hic
adversum memoratum jam poetae (Pers. Sat. II
Dicite Pontifices, in sacro quid facit aurum ?)
versiculum versuspropheticus ille respondeatur :
Domine, dilexi decorem domus tuae. — As-
sentio, patiamur haec fieri et in ecclesia, quia
et si noxia sunt vanis et avaris, non tarnen
simplicibus et devotis. Ceterum in claustris
coram legentibus fratribus quid facit illa ridi-
cula monstruositas, mira deformis formositas ac
formosa difformitas, quid immundae simiae,
quid feri leones, quid monstruosi centauri,
quid semihomines, quid maculosae tigrides,
quid milites pugnantes, quid venatores tubi-
cinantes? Videas sub uno capite multa corpora
et super uno corpore multa capita. Cernitur
hinc inde in quadrupede cauda serpentis, illic
in pisce caput quadrupedis. Ibique bestia
praefert equum capram trahens retro dimidiam,
hinc cornutum animal equum gestat posterius.
Tarn multa denique tamque mira diversarum
formarum apparet ubique varietas, ut magis
libeat legere in marmoribus quam in codicibus,
totamque diem occupare singula ista mirando
quam in lege Dei meditando. Pro Deo si
non pudet ineptiarum, cur non piget expensa-
rum? (Bei Kreuser, Kircheub. 2 Bd. S. 174.)

ihren wunderlichen Darstellungen, welche,
während sie die Blicke der Beter ans sich
ziehen, der Andacht selbst hinderlich sind.
Was soll im Heiligthnm das Gold? . . .
Welche Frucht erzielt man ans all diesem?
— Zeitvertreib für kindische Thoren oder
ein Vergnügen für kindliche Gemüther?
Sodann werden in Kirchen edelsteinbesetzte
Kronleuchter angebracht, groß wie Wagen-
räder, die rings Lampen tragen, aber nicht
minder durch die eingelegten Steine leuch-
ten. Wir sehen als Kandelaber schwere
Bäume ans Erz anfgerichtet (z. B. zu
Hildesheim): Wunder von Knnstarbeit, die
ebenfalls im doppelten Glanz ihrer Lichter
und ihres Steinschmucks strahlen. — Die
Kirche überzieht ihre Wände mit Gold.
Wie paßt das für Arme, für Mönche, für
Geistesmänner? Dürfte vielleicht auch hier
gegen den früher erwähnten Vers: Saget,
ihr Oberpriester, was soll in euren heili-
gen Hallen Gold? das Wort des Psal-
misten angeführt werden: Herr, ich liebe
den Schmuck deines Hauses? — Sei's!
Auch können wir in Kirchen das Vor-
kommen derartiger Dinge noch dulden, da
sie, wenn auch Eitlen und Habsüchtigen,
doch den Einfältigen und Frommen nicht
schädlich sind. Aber in Klöstern, vor
den Angen der betenden Mönche, was
sollen da diese lächerlichen Ungethüme,
merkwürdig unförmige Gestalten und ge-
staltete Unsormen: was unsaubere Assen,
was reißende Löwen, was fürchterliche
Centauren, was Halbmenschen, was ge-
fleckte Tiger, was kämpfende Krieger, was
hornblasende Jäger? Da sieht man unter
Einem Haupt viele Leiber und wieder über
Einem Leib viele Häupter; man bemerkt
einmal einen Vierfüßler mit einem Schlan-
genschweis und ein andermal einen Fisch
mit dem Kopf eines Vierfüßlers: und wäh-
rend hier ein Wesen dem Vorderleib nach
ein Pferd, von der Mitte nach hinten aber
eine Ziege ist, zieht dort ein gehörntes
Thier den Hinterleib eines Pferdes nach.
Kurz, eine so bunte wunderliche Formen-
welt macht sich da ringsum breit, daß man
lieber in den Steinen als in den Büchern
liest; lieber seine Zeit mit Gassen als in
Betrachtung des göttlichen Gesetzes hin-
bringt. Bei Gott! wenn wir uns dieser
Albernheiten nicht schämen, so sollten uns
doch die Kosten reuen."
 
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