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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 4
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Keppler, Eugen: Der mittelalterliche Physiologus, [3]
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33

Physiologus, von jeher die buntesten Blüthen
trieb, wäre er doch nicht dazu gekommen,
die Thiere, so wie er that, zu Predigern
der christlichen Glaubens- und Sittenlehre
zu stempeln, hätte ihm nicht die hl. Schrift
beider Testamente den Weg gebahnt. Wie
viele Gegenstände aus allen drei Natur-
reichen hatte sie längst in den Dienst des
Uebersinnlichen gezogen, ehe noch irgend
ein alter Naturkundiger eine Silbe ge-
schrieben! Da begegnen uns als Haupt-
vertreter des Thierreichs: Kameel, Roß,
Esel, Manlthier, El e p h a n t, Ochs, Schaf,
Widder, Ziege, Lamm, Hund, Schwein,
Löwe, Leopard, Tiger, Panther, Bär,
Wolf, Hyäne, Fuchs, Katze, Wild-
esel, H ir s ch, Eber, Asse, Hase, Igel,
Ratte, Maulwurf, Krokodil, Chamäleon,
Taube, Turteltaube, Schwalbe,
Kranich, Rebhuhn, Hahn, Pfau,
Sperling, Adler, Geier, Rabe,
Strauß, Eule, Wiedehopf, Pelikan,
Viper, Schlange, Basilisk, Wasser-
schlange, Drache, Heuschrecke, Fliege,
Ameise, Spinne, Frosch, Walfisch
(Leviathan), Nilpferd (Behemot), Wald-
ochs (Oryx). Unter den Pflanzen
zeichnen sich durch allegorischen Duft ans
— außer gewissen Blumen wie Rose,
Lilie, Veilchen u. s. w. — Ceder, Palme,
Granatbaum, Feigenbaum, Rebe, Myrthe,
Oelbaum, Tanne, Bnx, Fichte, Ulme,
Cypresse, Schilfrohr. Das Reich der Mi-
neralien spendet sein Kostbarstes für den
geheimnißvollen Schmuck der Kleidung des
Hohenpriesters: Karneol, Topas, Sma-
ragd, Karfunkel, Saphir, Jaspis, Hyazinth,
Achat, Amethyst, Chrysolith, Onyx und
Beryll. Vgl. 2 Mos. 28, 17 sf. Es
sind dies so ziemlich dieselben Edelsteine,
welche die Apokalypse zum Ban des himm-
lischen Jerusalems verwendet. An die
Perle dürfen wir nur erinnern, um so-
gleich die edelste Vergleichung in Erinne-
rung zu rufen.

Nun tritt freilich im Physiologus eine
Reihe von Thieren ans, von denen die
Bibel nichts weiß, und umgekehrt finden
sich nicht alle die erwähnten im Physiolo-
gus wieder — die bei beide:: gleich sind,
haben wir deßhalb durch gesperrten Druck
kenntlich gemacht —, doch auch diese sind
vielfach nur dem Namen nach gleich, da-
gegen der allegorischen Anwendung nach

doch nicht gleich, sie hauchen dann im
Physiologus gleichsam einen stärkeren,
schärfer bestimmten (wenn auch immer noch
verwandten) Duft aus als in der Schrift.
Folglich soll der Physiologus allerdings
„nicht ein biblisches Thierbuch sein, d. h.
nicht eine bloße Zusammenstellung natur-
geschichtlicher Schilderungen der in der
Bibel genannten Thiere mit allegorischer
Auslegung" (S. 45). Das hindert aber
nicht, daß er in seiner Tendenz und
Methode ganz auf der Grundlage der
hl. Schrift steht, welche die Mutter des
christlich-allegorisierenden Geistes ist itnb
bleibt.

Von dieser Grundlage ans überschauten
unsere Väter im Glauben die Thatsachen
der Natur oder vielmehr die darüber herr-
schenden Anschauungen und wählten aus
denselben diejenigen aus, welche sie ge-
eignet fanden, in Unterordnng unter die
natnrgeschichtlichen Elemente der Schrift
zur Erklärung und Einschärfung der gött-
lichen Wahrheiten zu dienen. „Die Jünger-
Christi (so schrieb vor bald 30 Jahren
C. Hippeau) konnten wohl von der welt-
lichen Wissenschaft gewisse Einzelheiten
borgen, aber nur insofern sich diese den
in der Schrift gezogenen Grundlinien ein-
stigen ließen. Sie entnahmen dieselben den
Büchern der Heiden in dem Zustand, in
welchem sie sich vorfanden, ohne sich strenge
Rechenschaft zu geben über die Begriffe,
ans denen sie sich zusammensetzten, oder
erst ihre Herkunft zu prüfen und ihre That-
sächlichkeit zu erweisen. Das Streben nach
Vermehrung des Wissens war maßgebend
gewesen für die Weisen Griechenlands und
Roms; bei ihnen zog das Studium bei'-
Natur und die Förderung der schönen
Künste ihre Hauptnahrung ans der auf-
richtigen Liebe zu dem Wahren und Schönen,
die ihren Werken das Gepräge gab. Aber
für die Bekenner Christi war das einzige
menschenwürdige Ziel die sittliche Ver-
vollkommnung des Menschen. Welchen
Werth konnten sie der menschlichen Wissen-
schaft zuerkennen, die sich an eine Welt
des Stoffes klammert und in deren Er-
forschung ihre Unterhaltung sucht? Wenn
sie die verschiedenen Erdenwesen zeitweilig
ihrer Aufmerksamkeit würdigten, so thaten
sie dies nur, weil sie von dem Apostel ge-
lernt, daß die Thiere die lebendigen Zeug-
 
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