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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 4
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Keppler, Eugen: Der mittelalterliche Physiologus, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0042

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35

rungen ist noch die Stelle nachzutrageu,
welche von angeblich gnostischen Vorstel-
lungen im Phvsiologns handelt. Lauchert
verficht, leider mehr bortiter in re als
sunviter in nroäo, gegen Kardinal Pitra
den Satz, daß wenn auch einzelne wenige
Ausdrücke des Physiologus gnostisch gefärbt
erscheinen, die Rechtgläubigkeit des Autors
davon unberührt bleibe. Wir pflichten ihm
hierin, was die Sache anlangt, bei, sind
sogar noch weitherziger als er, indem wir
nicht einmal in der von der Menschwer-
dung des Logos handelnden Stelle (vom
Einhorn) etwas Häretisches finden können,
welche lautet: „Nicht vermochten die eng-
lischen Mächte, Ihn (unter sich) festzu-
halten, sondern er nahm seine Wohnung
in dem Leib der wahrhaften immerwähren-
den Jungfrau Maria, und das Wort ist
Fleisch geworden" u. s. w. Diese Stelle
besagt doch objektiv betrachtet nichts anderes
als das gewiß rechtgläubige: Er hat seine
himmlische Herrlichkeit verlassen. Abgesehen
hievon bleibt aber als anrüchig nur noch
ein Satz; er bezieht sich ebenfalls auf die
Inkarnation: „Mit den Engeln ward Er
Engel, mit den Thronen Thron, mit den
Mächten Macht, mit den Menschen Mensch,
bis Er herabstieg" n. s. w. — ein An-
klaug mit gewissen gnostischen Redewen-
dungen aber bei einem sonst so richtig
denkenden Schriftsteller sicher nicht mehr
als ein Anklang! Solche Ansdrücke, die
übrigens in biblischen ihre Veranlassung
haben, schwirrten in der Luft schon ehe
sie von den Vätern der Gnosis zu eigent-
lichen Irrlehren verdichtet wurden. Be-
merkenswerth ist der scharfsinnige Schluß,
den der Verfasser aus diesem Umstand für
die Abfassnngszeit zieht: „Wäre der Phy-
siologus erst in der Zeit der Blüthe der
Aeonensysteme entstanden, so müßte man
sich eher wundern, daß er nicht viel mehr
Spuren von Ansteckung zeigte, während
dabei trotzdem der Verfasser persönlich noch
ein aufrichtiger Orthodoxer gewesen sein
könnte. Es weist also alles darauf hin,
daß die Entstehung des Buches vor 140
fällt, und es hindert wenigstens nichts, daß
es nicht noch im ersten Viertel des 2. Jahr-
hunderts entstanden sein könnte, da ohne-
hin wenigstens schon bald nach Ablauf des-
selben die weitere Entfaltung der Gnosis
beginnt" (S. 65).

Im Untersckied von den übrigen immer
zu einem mindestens relativen Abschluß ge-
langenden Erörterungen des gelehrten Ver-
fassers fordern die wenigen interessanten
Angaben über Kunstdarstellungen, aus und
nach dem Physiologus, zu einer Vervoll-
ständigung ans, zu welcher übrigens der
Verfasser selbst einladet: „Es wäre für
einen Kunsthistoriker wohl immer noch eine
dankbare Aufgabe, die mittelalterlichen
Knnstdenkmäler einmal gründlich darauf-
hin zu untersuchen." „Während die christ-
liche Thiersymbolik in der ältesten Zeit
sich an die Symbole der hl. Schrift ge-
halten hatte, unter gestaltender Einwirkung
antiker Bildwerke, werden im Mittelalter
mit der zunehmenden Beliebtheit des Phy-
siologus auch die bildlichen Darstellungen
seiner Symbole, in Stein gehauen an den
Außenseiten oder im Innern der Kirchen;
ans deren Glasfenstern; in Wandgemälden
in Kirchen und Klöstern, oder auch an
kirchlichen Geräthschaften, immer häufiger"
(S. 208). Ein ruhender Löwe mit er-
hobenem Kops und geöffneten Augen ist
oft als Wächter des Heiligthums über den
Portalen mittelalterlicher Kirchen ans dem
10.—13. Jahrhundert abgemeiselt. Ein
Pelikannest, über dem der Pelikan sich die
Brust öffnet und das Blut ans die tobten
Jungen fließen läßt, wurde gern als Sym-
bol oben an Kruzifixen angebracht. Das
Bild des Phönix kommt schon in der zwei-
ten Hälfte des 2. Jahrhunderts aus christ-
lichen Sarkophagen vor und macht sich hier
jedenfalls ungleich besser als der zwar an-
tike, aber auch sehr antiquirte Fährmann
Charon, ein Verlegenheitseinfall des Bild-
hauers Begas aus Kaiser Friedrichs Grab-'
monument. Die Darstellung des Einhorns
mittels Pinsel, Meisel und Nadel ist sehr-
häufig. Sirenen und Centauren, Sinn-
bilder der Versuchung, trifft man in vielen
Kirchen und besonders an Chorgestühlen
an: und Sünden finden sich als weibliche
Wesen mit Thiersymbolen und anderen
Zeichen dargestellt, die größtentheils dem
Physiologus entnommen sind. Auch un-
seren Lesern sind gelegentlich Kunstdarstel-
lungen aus dem Physiologus durch die
Finger gegangen. So die schlafwachen
Löwen als Eckfiguren am Hirsaner Bilder-
fries. Ebendaselbst stießen wir auf die
Dorkas, bei unseren Vorvätern steingeiz
 
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