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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 8
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Keppler, Eugen: Phantastische, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [5]
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71

— Auf neue Weise wird die Verzerrung
erreicht aus einem Gypsabgnß im Ken-
siugtoumuseum. Derselbe stellt ein sehr
jovial dreinschanendes Individuum mit
Fledermausflügeln dar, das ein Fratzen-
gebilde zwischen beit Klauen hält, dem es
das Maul auseiuauderzerrt. — Wie eine
heftige Bewegung des Körpers sich auf
die Gesichtsmuskeln fortpflanzt, hatte man
schon von Alters her beobachtet. Schon
der manducus der Alten hatte feine Be-
zeichnung von den Verkrümmungen und
Verzerrungen eines Menschen, der seine
Nahrung auf rohe, gefräßige Weise hin-
unterschlingt.

Nicht leicht entstellt etwas ein Gesicht so
gründlich, wie angestrengtes Hornblafen. Ein
so dankbares Motiv ließen sich die mittel-
alterlichen Zierbildner nicht entgehen.
Unter den Nachbildungen von Skulpturen
in der Sammlung von Süd-Kensington
ist ein Ungeheuer zu sehen (bei Wright
S. 131) — das Original befindet sich
in einer französischen Kirche —, das in
ein solches Blasinstrument stößt, und zwar
mit solcher Kraft, daß es ihm den Aug-
apfel heraustreibt. Der Mund ist in die
Höhe gezogen durch das Jagdhorn, das
die linke Hand in den linken Mundwinkel
preßt, während die Rechte den Bart nach
der entgegengesetzten Richtung zerrt. Daß
man es hier auf ein ganzes Zerrbild ab-
gesehen, beweist die durchaus geschraubte
Stellung der Arme. Solche Gliederver-
renkungen pflegte man anznwenden um
den häßlichen Gesichtsausdrnck noch
wirksamer hervortreten zu lassen. Bis-
weilen zog man die ganze Bildung des
Leibes ins Lächerliche — auch unser Horn-
bläser^ zeigt nach abwärts einen Thierleib
mit schweif und Pfoten —, indem man
ihm thierische, Za dämonische Anhängsel
lieh. In anderen Fällen wurden mensch-
liche Gestalten, die sonst nichts Ungewöhn-
liches an sich hatten, in vertrakte Stellun-
gen hineingezwängt oder zu seltsamen
Gruppen verbunden. Letztere Gebilde sind
gewöhnlich scherzhafter Art. Manchmal
stellen sie hübsche Spielereien, Komödien
der Hindernisse und andere Gegenstände
dar, wie sie der Bilderhandel zur Unter-
haltung der Kinder bis in unsere Zeit
hinein geliefert hat.

Unter diesen Gruppen sind einige, denen

man oft begegnet und die offenbar Lieb-
lingstypen waren. Wright führt zwei
davon an (S. 136 n. 137). — Die eine
Gruppe, dem Chorgestühl von Ely in
England entnommen, besteht ans zwei
kugeligen, um einander den Purzelbaum
schlagenden Mannsgestalten, deren eine
Thierohren an der Mütze trägt, welche
anzudenten scheinen, daß der Inhaber zur
Narrenbrüderschaft zählt: ein nicht selten
vorkommendes Motiv, namentlich in Frank-
reich, wo die archäologische Sprache einen
eigenen Kunstanödrnck dafür hat. Man
sieht hieraus, daß die eigenthümlichen Knnst-
formen des Mittelalters sich nicht auf ein
bestimmtes Land beschränkten, sondern mehr
oder weniger — abgesehen von unver-
meidlichen Ausnahmen — überall hin-
drangen, wo Roms kirchliche Oberhoheit
bestand. Unbeschadet der verschiedenen
Lokalfärbnng herrschten im ganzen Westen
Europas die nämlichen Hanptformen. -
Das andere merkwürdige Scherzbild be-
steht aus zwei Personen, deren eine ein
Mönch ist. Betrachtet man es nach vier
Richtungen, so erhält man bei nur zwei
Köpfen vier verschiedene Figuren, jede
wieder in anderer Stellung. Diese Dar-
stellung findet sich ans den nach ihrer
figürlichen Seite sehr sehenöwerthen Chor-
stühlen in Rouen.

Wir sind schon anläßlich der Wasser-
speier ans die Liebhaberei unserer Vor-
fahren für Ungestalten aller Art zu sprechen
gekommen: eine Liebhaberei, die sich nicht
aus Lebewesen Einer Natur beschränkte,
sondern Mischwesen, aus der Vereinigung
mehrerer Theile von verschiedenen Thieren
bestehend, ja Amalgame von Mensch null
Thier umfaßte und sogar bevorzugte. Oft
setzte man irgend einem Phantasiegebilde
von Thierleib ein menschliches Haupt auf,
und zwar mit Absicht ein so übermäßig
großes, daß der Rest nur noch als ein
Ausläufer erschien, wodurch die groteske
Wirkung des Kopfes noch erhöht wurde.
Manchmal legte man das Hauptgewicht
ans den Körper, dessen abenteuerliche
Formen aller Beschreibung spotten. Nach
einem Bilde des im 14. Jahrhundert ge-
malten „Psalters der Königin Marie"
gibt Wright (S. 91) einen Zweikampf
zwischen einem Christen und Sarazenen
wieder. Die beiden Kämpen sind als
 
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