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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 10
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Neue Beiträge zur Frage der Caselform, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0100

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90

ist das auch bei allen andern Figuren der
Fall, was sich ans der besonderen Zart-
heit der für das Jncarnat verwendeten
Seide erklärt; wir sind darum nicht mehr
im Stande, die Geschicklichkeit der ans-
ausführenden Hand, die hier vor allem
sich zeigen müßte, genau zu kontroliren.
Den Gewändern nach zu urtheilen ist die-
selbe keine geringe; sie erprobt sich nament-
lich in der nicht durch aufgesetzte Striche
und Linien, sondern durch feine Nüan-
cirnng der Farben bewirkten Schattirnng.

Es lohnt sich wohl, die drei Kreuze
einzeln vorznführen, da die Nebenfiguren
jedesmal verschieden sind. Wir beginnen
mit dem, welches unter dem Krenzbanm
bloß Maria und Johannes zeigt, zwei
schöne, etwas langgestreckte, würdevolle
Figuren in ruhiger Haltung mit einer Ge-
wandung von schlichtem Faltenwurf. Ueber
dem Kreuz ist das Brustbild Gottvaters
mit der Weltkugel und mit zum Segnen
erhobener Rechten dargestellt, ruhend auf
den traditionell stilisirten Wolken; am
Ende des rechten Kreuzbalkens das Brust-
bild des hl. Laurentius mit Rost und
Buch, am Ende des linken das des hl. Se-
baldns mit Pilgerstab und dem Modell
einer zweithürmigen Kirche; endlich am
unteren Ende des Hanptbalkens das Brust-
bild des hl. Franziskus oder Bernardin
mit der Sonne, in welche das IHS ein-
gezeichnet ist. Es ist nicht zu verkennen,
daß die Figuren dieses Meßgewandes
früheren, strengeren und besseren Charakter
zeigen als die der beiden andern: sie
könnten also, trotz der gleichen Behand-
lung des Grundes doch einer früheren Zeit
zuzntheilen sein, w^nn nicht vielleicht die
Verschiedenheit der Stilisirung von der
Vorlage herznleiten ist. Auf der Vorder-
seite hat diese Casel ein schmales Krenz-
chen, gebildet ans lauter wagrechten an-
einander gereihten und gehefteten Gold-
fäden.

Auf dem zweiten Gewand sind rieben
oder eigentlich über Maria und Johannes
unter dem Kreuz links noch zwei Frauen-
köpfe , rechts ein Theil der Gestalt des
römischen Hanptmanns zu sehen, welcher
zeugend und glaubend mit dem Finger ans
den Gekreuzigten weist. Unter der Krenz-
grnppe sind zwei Vollfignren der Apostel
Jakobnö der Aeltere mit dein Pilgerstab

und Thaddäus mit der Keille; am Ende
der beiden Krerizesbalken die Brnstsignren
des hl. Petrus mit dem Schlüssel und
Paiilns mit dem Schwert, am oberen Ende
des Kreuzes die des hl. Bartholomäus mit
Buch und Messer.

Die Technik der Figurenstickerei ist die
gleiche, wie beim vorigen Gewand; auch
hier ist an einigen bloßgelegteii Stellen
noch die schwarze Aufzeichnung der Figur
in kräftigen Umrißlinien zu sehen. Die
Gestalten sind nicht so ideal gehalten, nue
beim andern, sondern haben etwas Ge-
drungenes und Massiges; der Faltenwurf
ist verkünstelter und brüchiger. Die rohen
Spuren einer ungeschickt nachbessernden
Hand zeigen sich vielfack, namentlich in den
Gesichtern. Vorn dasselbe Kreuz wie auf
der eben beschriebenen Casel.

Die Krenzesgrnppe des dritten Meß-
gewandes ist die reichste und bewegteste.
Maria sinkt eben am Kreuz zusammen,
Johannes beugt sich herab, sie zu halten;
hinter ihm eine Frauengestalt, nach oben
blickend; rechts vom Kreuz steht der rö-
mische Hauptmann in voller Eisenrüstnng,
die Linke ans Schwert gelegt, die Rechte
zum Kreuz erhoben. Sein Kettenpanzer
ist durch weiß abgenähte Goldfäden nicht
ungeschickt gegeben; hinter ihm steht noch
eine gepanzerte Gestalt mit einer Lanze,
an der ein Fähnchen befestigt ist. Auch
hier schließen wieder Apostelgestalten die
Stabenden ab; an den drei obern Enden
sind es dieselben Figuren wie ans dem
vorigen Kreuz; die von Bartholomäus ist
Zug für Zug gleich, die beiden andern
wenig verschieden; am unteren Ende die
Stehfiguren des Mathias mit Beil und
Buch und Thaddäus mit Keule. Auf der
Brnstseite findet sich kein Kreuz oder
Balken mehr.

4) Das sechste Meßgewand ans rothem
Seidendamast ist nachweisbar das jüngste
von allen und vielleicht erst im 16. Jahr-
hundert gefertigt. Es ist das besterhaltene,
hat den gediegensten Schnitt und den vor-
nehmsten Stoff und diente jedenfalls ehe-
mals als Festmeßgewand. Betrachten wir
zuerst das gestickte Kreuz der Rückseite,
dessen Balken nicht ganz 4 cm breit sind.
Da fällt uns vor allem, nicht gerade an-
genehm , das Bild des Gekreuzigten auf.
Dies ist nämlich in Relief, fast in Hoch-
 
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