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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 10
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Keppler, Eugen: Phantastische, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [7]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0103

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93

Farben und Pinsel in die Hand gelegt.
»Oeu5 dedignainr habitare in corde,
in quo diabolus stercorizat«, sagt
Vincenz von Beauvais und Nhabanns
Maurns: »Per stercus peccata carnis
designantur«. Kann es eine gröbere
Sprache geben? Aber es ist die Sprache
allerErklärer, allerMoralisten. — Und selbst
dieser gröbste Ausdruck ist in Stein über-
setzt. Corblet, dem wir obige Stellen
entlehnten, gibt in seiner „Revue" (Jahrg.
1861, S. 651) ein Kapitell aus der Abtei-
kirche zu Montivilliers wieder, das er vor
das 13. Jahrhundert setzt. Daran ist in der
plumpsten Weise eine Seelenwage in der
Hand des Erzengels Michael ansgemeiselt;
kleine Gestalten, welche die Wagschalen
füllen, sind die Seelen. Der Teufel, ein
riesenhafter Adler mit dem Schnabel eines
Raben stoßt mit der Rechten —- er hat
nämlich eine Hand — sein Schwert in
die eine Wagschale, die zu leicht befunden
wird, und zwar mit solcher Wucht, daß
sie im nächsten Augenblick zerschellen muß.
Hinter ihm steht auf strammen Beinen,
als wäre er sein Schildknappe, ein zweiter
Teufel in Gestalt eines Hahns. Er
spreizt sich gewaltig, schlägt ein Rad zum
Zeichen seiner Aufgeblasenheit und erlaubt
sich zugleich das, was der obige lateinische
Ausdruck besagt. „Die Bibel", so schließt
Corblet a. a. O., „hat alles zum Symbol
erhoben, die Kunst hat die Symbole
wiedergegeben und das Auge, belesen in
den hl. Büchern, wird durch solch derbe
Bilder nicht abgestoßen, deren Vergleichungs-
punkte immer die Sünde aufs empfind-
lichste treffen."

Von den allegorischen Personifikationen
der Laster sind zu unterscheiden die Dar-
stellungen derselben durch handelnde Per-
sonen. Gehören die ersteren insofern einer-
höheren Ordnung an, als sie eine gewisse
Dosis Geist voranssetzen, um verstanden
zu werden, so malen letztere die Aus-
schreitungen eines einzelnen oder auch
ganzer Stände viel deutlicher und sind
deßhalb auch der langsamen Fassungskraft
zugänglich.*) Sie sind ein moralischer

*) In Bezug auf beide Arten fällt Viollet Le-
Duc 4. Bd., S. 498 f. S. 500 folgendes zu-
treffende Urtheil: „Die Bildner des 14. und
15. Jahrhunderts pflegten an Konsolen, welche
Heiligenstatuen zu tragen hatten, die Darstellung

Anschauungsunterricht, der sich durch das
Auge unmittelbar dem Herzen einprägen
soll. So ist — eine ächt Grütznersche
Scene ans einer Miniaturhandschrift des
14. Jahrhundert (im Brit. Mus. bei
Wright S. 155) — die Gefräßigkeit
dargestellt durch einen Mönch, der unge-
gesehen, nur in Gesellschaft eines Tenfel-
chens mit Klauenfüßen, einen Kuchen ver-
schlingt. Der Böse servirt ihm die
Schüssel, welche noch mehr enthält, und
hat sichtlich seine Freude dran. — Was
sollte der heimlich essende oder trinkende
Mönch? Oder was sollte gar der Stifts-
herr mit der Nonne, und tvaö dergl. ärger-
liche Bildwerke mehr sind? — Das Laster
der Unmäßigkeit und das der Unkeuschheit
und das ganze Gefolge von Lastern in
ihrer abstoßendsten Form malen uub zwar
für alle Stände. Was sollte der mit
dem Damenbrett in der Hand zur Hölle
fahrende Ordensmann (Kreuser a. a. O,
S. 170)? Was anders, als vom Miß-
brauch der Zeit und sonstiger Pflichtver-
säumniß eindringlich abschrecken. Wenn

derjenigen Laster anzubringeu, welche den Gegen-
satz zu den Tugenden des betreffenden Hei-
ligen bildeten, oder auch die Bilder seiner Ver-
folger, die Scene seines Martertodes; so unter
dein Standbild des hl. Petrus oft die Figur
des Simon Magus, unter den Füßen der
hl. Jungfrau den Drachen mit Weibskopf.
Unter einer durch Abtödtnng ausgezeichneten
Persönlichkeit zeigt das Postament gern eine
Scene der Ausschweifung. An der alten Ka-
thedrale zu Carcafsonne ist an einem Krag-
stein von meisterhafter Arbeit, der ein Standbild
des lehrenden Christus trägt, Judas nach seiner
Verwerfung ausgemeiselt. Ein Hund und ein
unreines Thier zerreißen ihn. — Einige zu naive
Abbildungen von Lastern erweckten den Verdacht,
als ob das Mittelalter mit Freuden ziemlich
grelle Scenen dem Volk sogar an hl. Stätte
vor Augen gestellt. Ein falscher Eifer, oft auch
eine zu regsame Einbildung haben auf solche
Art den Künstlern Unthaten in die Schuhe ge-
schoben , die diese nicht begangen. Bis zum

14. Jahrhundert sieht man in diesen Bildwerken
die Abbildung des Lasters immer nur in Gegen-
stellung zu einer Tugend. Dabei befliß man
sich einer großen Zurückhaltung in der Art, wie
man das Laster darstellte. Später, als die
mittelalterliche Kunst in Künstlichkeit und kin-
dische Nachahmung der Natur verfiel, zeigt sich,
scheint mir, die Thatsache, namentlich was das

15. Jahrhundert betrifft, daß die Künstler für
die Darstellung eines Lasters Laster scenen
anwendeten und den betreffenden Fehler handelnd
vor Augen stellten. Auf diese Abivege kam man
iir der Zeit des Niederganges."
 
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