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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 12
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Keppler, Eugen: Phantastische, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0116

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106

Höchsten wie nach dein Tiefsten greift imb
es, gleich Schillers Drache, zum Fräße
fortträgt, die aber insofern unschädlich ist,
als für sie das Lachen Selbstzweck.
Es ist die überschänmende Lebenöfülle der
Komik, die (wie schon oben bemerkt) sich
nur an der Außenseite der Dinge ver-
greift, bent Kern dagegen nicht beikommen
will und auch nicht kann. Sonst hätten
doch nicht können die Geistlichen selbst
z. B. in ihren satyrischen „Reiseil" in die
Hölle oder ins Fegfeuer die Lailge ihres
Spottes über alle Welt ausschütten; sonst
hätten nicht sie können, wie sie wirklich
thaten und wie merkwürdigerweise ihre
heidnischen Vorgänger längst vor ihnen
gethan, Parodien auf religiöse Gegenstände
itnb Handlungen — gewöhnlich in latei-
nischer Sprache — verfassen und solche
vortragen, wenn sie unter sich waren!

Dieses voransgeschickt, wird es niemand
mehr ansfallen, wenn gerade die Kirchen-
gebände inl Mittelalter, wie Wright sich
ansdrückt, „Ablagernngsstätten für der-
artige Knnstanswüchse" wurden. Der Er-
klärungsgrund, den er angibt, genügt nicht,
daß nämlich Zerr- und Spottbilder, weil
ihrem Wesen nach dazu angelegt, die Auf-
merksamkeit der Menge auf sich zu ziehen,
auch an den am meisten in die Augen fal-
lenden Gebäuden angebracht sein m uß ten.
Sie waren nämlich in der Regel (ins-
besondere die fraglichen Sknlptilren) nicht
sehr in die Augen fallend angebracht. „Ge-
wöhnlich befinden sie sich (sagt Krenser
a. a. O. S. 168) an einer verlorenen
Stelle auf einem Pfeiler oder an Gelän-
dern, oder meistens ans den Stiftsstühlen.
Wenn unsere Zeit nun auch nicht weiß,
daß ein Christnsbild, Kreuz oder sonst ein
heiliger Gegenstand nicht ans den Boden
abgebildet werden dürfen (denn was man
tritt, das verachtet man), so sollte doch
schon das gewöhnliche Gefühl für Schick-
lichkeit belehren, daß keine heiligen Bilder
angebracht werden können, wo der Sitz-
theil sitzt, der Ellenbogen sich stützt, der
Rücken anlehnt, die Füße anstoßen."

Gibt es auch klerikale Karikaturen
ohne Bitterkeit? O ja, viele solche,
über welche sogar die Betroffenen herzlich
lachen konnten und in denen nicht selten
der Künstler sich selbst lächerlich machte.
Dahin gehören z. B. die possirlicheu Mönchs-

köpfe an dem Chorstuhl der Abteikirche in
Wimpfen; dahin gehört auch die behäbige
Mönchsfignr mit klotzigem Gesicht von halb
würdigem, halb schmunzelndem Ansdruck,
mit docirend ansgestreckter Hand, von der
Wright S. 51 eine Abbildung gibt. Sie
stellt den Buchstaben Q dar und ist einer
Handschrift ans dem 10. Jahrhundert ent-
lehnt, die sich ans der Universitätsbibliothek
zu Cambridge befindet und mit komischen
Majuskeln verziert ist. Und doch spricht
Wright in unmittelbarem Zusammenhang
mit diesem gemüthlichen „Hairles"-Typus
gelassen das Urtheil ans: „Zahlreiche Be-
weise ergeben, daß vom 8. Jahrhundert
an Geistliche und Nonnen bei den Angel-
sachsen im Allgemeinen nicht sehr geachtet
waren, was auch bei ihrem Lebenswandel
nicht anders sein konnte."

Unter die Darstellungen, in welchen man
mit Unrecht einen Stachel vermnthen würde,
rechnen wir manche (nicht alle) Thierka-
rikatnren. Manche davon haben —
ganz harmlos —- Vorgänge aus dem Thier-
leben ohne jede sinnbildliche Anspielung
zum Gegenstand. Sie verrathen die Freude
an Thieren und ein kindliches Eingehen
auf ihre Lebensgewohnheiten, wodurch be-
kanntlich das Mittelalter sich anszeichnet.
So der anfrechtstehende Fuchs in einem
Alphabet von Zierbuchstaben, das Mont-
fancon abgebildet hat itnb ins 9. Jahr-
hundert setzt. Auf den Hinterfüßen empor-
gerichtet, trägt Reinecke zwischen den Zäh-
nen eine Qnerstange, die er mit den Vorder-
füßen stützt. An den Enden der Stange
hängt je ein Huhn herab und das Ganze
bildet ein T.

Es ist hier der Ort, jene Thierdar-
stellungen voll köstlichen Humors zu be-
sprechen, welche eine Vert anschuug der
Rollen zum Gegenstand haben, in der
Art, daß die von dem Menschen geknech-
tete Thierwelt über ihn Meister wird, oder
daß die stärkeren Thiere von ihren Opfern
überwältigt werden. Diese „verkehrte
Welt", wie man sie nannte, war schon
frühzeitig ein bei Dichtern und Bildnern
beliebter Gegenstand. Ans der Stelle, wo
einst die Abtei Derby gestanden, fand man
im Jahre 1862 eine Anzahl Bodenplätt-
chen mit eingebrannten Zierathen von
größter Mannigfaltigkeit der Zeichnung,
die auf das 13. Jahrhundert Hinweisen.
 
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