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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 13.1895

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Nr. 4
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Keppler, Eugen: Gedanken über Raphaels Cäcilia
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https://doi.org/10.11588/diglit.15912#0040

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der hl. Cacilia gerade diese vier Heiligen
beigibt, ist wohl zunächst einfach dahin zu
beantworten, daß die Besteller des Bildes
gerade diese Heiligen ansgewählt haben.
Aber ein Raphael konnte sich nicht damit
begnügen, sie bloß äußerlich in sein Ge-
mälde hereinzunehmen, oder irgend eine
lockere psychologische oder ästhetische Ver-
bindung zwischen ihnen und der Hanptge-
stalt herznstellen. Er verarbeitet den Auf-
trag der Besteller, das ihm gestellte Thema,
zu einem geschlossenen Organismus, zu
einer geistigen Einheit. Er individnalisirt
die ihm bezeichneten Personen zu Ver-
tretern tiicht bloß des männlichen und
weiblichen Geschlechts, sondern auch der
verschiedenen Altersstufen und verschiedener
geistiger und seelischer Qualitäten und Po-
tenzen. Cäcilia und Johannes repräsen-
tiren die Jugend, Magdalena und Paulus
das reife Vollalter, Augustinus das Greifen-
alter; Cäcilia die Unschuld, Magdalena
die Buße, Paulus den Glauben, Johannes
die Liebe, Augustinus die Gelehrsamkeit
und Wissenschaft. Alle fünf aber ver-
einigen sich zu dem gemeinsamen Zengniß,
daß die himmlische Glorie, in deren Fren-
densphäre sie die heilige Musik emporge-
hoben hat, allbeseligend und allbefriedigend
ist, die Unterschiede des Alters und Ge-
schlechtes aufhebt, der Btlße bittere Röthen
und herbes Leben in Freuden endet, den
Glauben in Schauen verwandelt, die Liebe
vollendet mW an's Ziel führt, das Stück-
werk menschlichen Wissens zu lichtreichster
Klarheit ergänzt, der Unschuld die den
reinen Herzen verheißene Seligkeit ver-
mittelt.

In dieser großartigen Idee unb in der
Art und Form ihrer Durchführung und
Einkleidung liegt der unsterbliche Werth
des Bildes, — sein religiöser und sein
künstlerischer. Der eine wie der andere
weist ihm seinen Platz an unmittelbar lieben
der Verklärung und der Sixtina. Jene Idee
ist eine durchaus religiöse, unb da kein
Zug im Bilde ihr widerstreitet oder sie
trübt oder ihr fernsteht, da die Natur
nirgends im Bilde um ihrer selbst willen
da ist oder zur bloßen Augenweide, nir-
gends den Blick von der Idee auf sich ab-
lenkt, da vielmehr die Form ganz in der
Idee aufgeht und bis auf das kleinste
Detail hinaus von ihr beherrscht ist und

ihr dient, so kann dem Gemälde das Prädi-
kat eines wahrhaft religiösen Kunstwerkes
nicht vorenthalten werden.

Als solches wirkt es erbauend und be-
lehrend , ja es ist eine eindringliche und
ergreifende Predigt über Wesen, Zweck
und Werth der heiligen Musik, eine Pre-
digt und ernste Mahnung vor allem für
die, welche die heilige Musik pflegen. Sie
werden ermahnt, nicht zu vergessen, daß
auch diese Musik bloß Mittel ist zum
Zweck, daß sie nach dem Vorbild ihrer
heiligen Patronin Blick und Ohr nach oben
gerichtet halten soll, daß sie ihr Höchstes
dann erreicht, wenn sie sich selbst ver-
gessen macht, die Seele himmelwärts hebt
und höhere Harmonien, als sie anznstim-
men vermag, in der Seele wiederklingen
läßt, wenn sie das Herz der Gnade öffnet,
welche selbst nichts anderes ist als ein
Tropfen der Glorie der anderen Welt,
wenn sie den Glauben fortbildet zu stau-
nendem Betrachten, die Flamme der Liebe
nährt und höher treibt, das Wissen ver-
klärt, die Buße versüßt.

Die unsterbliche künstlerische Bedeutung
des Bildes wird uns aber vollends klar,
wenn wir beachten, wie hier die Malerei
einen Bund eingeht mit einer anderen
Kunst, der Musik. Man kann füglich
sagen: nie hat eine Kunst die andere so
neidlos, so verständnißvoll, so schwesterlich-
liebreich verherrlicht und so ihr gehuldigt,
wie hier die Malerei der Musik huldigt.
Hier steigert die Malerei, welche an sich
nur durch Farben und Formen zum Auge
zu sprechen vermag, ihr Vermögen über
sich selbst hinaus, sie eignet sich die Kräfte
der Musik an, entlehnt ihre Sprache, geht
ganz in sie ein, ja fast über, — nicht um
sich zur Geltung zu bringen, sondern um
die Schwesterkunst zu verherrlichen. Die
Malerei wird, ohne unkünstlerisch die ihr
gesetzten Grenzen zu überschreiten, selbst
zur Musik, malt Töne und Melodien und
läßt sie im Ohr und in der Seele wieder-
klingen. Der „philosophirende Maler",
wie die Zeitgenossen Raphael nannten, wird
hier zum musicirenden.

Angesichts unserer unvollkommenen Re-
produktion könnte leicht die vorstehende
Schilderung und Würdigung in den Schein
enthusiastischer Uebertreibnng kommen; wer
aber das Glück hat, das Original selbst
 
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