Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 15.1897

DOI Heft:
Nr. 7
DOI Artikel:
Pfeifer, Franz Xaver: Zur Frage des Proportionskanons in der mittelalterlichen Architektur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15902#0072

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
63

Durchschnittes des Mailänder Domes aus dein
Jahre 1391, wobei die Triangulierung mit
gleichseitigem Dreieck in der Meise eingezeichnet
ist, daß die ganze innere Breite die Basis des
Dreiecks ist, während die beiden andern in
einer Spitze zusannuenlaufenden Seiten die
Höhe des Mittelschiffes bestimmen. Auch ist
die ganze Breite durch drei kleinere gleichseitige
Dreiecke, tvovon se eines auf die Seitenschiffe
und eines auf das Mittelschiff trifft, bestimmt.
Das andere baugeschichtliche Dokument ist ein
auf den Bail von S. Petronio bezüglicher,
im Jahre 1592 als Kupferstich veröffentlichter
und voll Dehiv lviedergegebeiler Riß. An diesen
auf Dokumelite gestützten Beweis schließt sich
dann eine Betveisführnng an, welche aus die
Untersuchung von Baudenkmälern ans den
schon bezeichneteil Lailden gegründet ist. Ich
habe, inll mich von der Kraft und Exaktheit
dieser Beweisführung zu überzeugen, ztvar ilicht
alle, aber doch viele Triangulieriiilgen durch
Messllng der Seiten oder auch der Winkel an

der Spitze (bei den, "J- Dreieck) geprüft und

halte !il Folge dessen deil Belveis für absichtliche
lind systematische Auweudulig der beiden Arten
der Triangulation für erbracht.

Mit Bezlig ans ein Paar Triangnlierungen
in den auf Tafel V abgebildeten Grundrissen
von achteckiger Grulidforill sieht jedoch Recensent
zll folgender Bemerkung sich veranlaßt. Wenn
zwei gleichgroße Quadrate über Eck gestellt,
d. h. so ineinander gezeichilet lverdeil, daß je
eine Ecke des ziveiteil Quadrates der Mitte
eitler Seite des ersten gegenüber steht (lvie dies
in Füg. 3 auf Tafel II des besprocheileu Werkes
der Fall ist), dann erhält inan die Seiten eines
Achteckes, unb wenn mau da mm voll den
beiden Endpunkten einer Quadralseite an den
gegenüberliegenden Treffpunkt zlveier Quadrat-
seiten gerade Linien zieht, so entsteht ein gleich-
schenkliges Dreieck, desseil Winkel an der Spitze

n

45° beträgt, also das vom Ailtvr lnit be-

zeichnete Dreieck. Hieraus folgt, daß, lveiili der
Grundriß eines Baues ein reguläres Oktogon

71

ist, dann ein Dreieck in diesen Grundriß ver-

zeichnet tverden kann; ob aber der Urheber des
Grundrisses bei feinem Entwurf in erster Linie
die Triangulirung oder das Oktogon beabsich-
tigte, ist damit nicht entschieden und Recensent
hält es für natürlicher nnb wahrscheinlicher,
daß die Absicht des Architekten in erster Linie
ailf das Oktogon gerichtet lvar und jenes Dreieck
nur eine nvthwendige Folge davon ist. Mir ist
es auch sehr ivahrscheinlich, daß die Architekten
durch das Oktogon auf jenes Dreieck geführt
lvurdeu, denit sollst lväre es ein sonderbarer
Zufall, daß ans den nnendlich vielen gleich-
schenkligen Dreieckell gerade dieses mit einer ge-
lvissen Bevorzugung angelvendet lvordeu ist.
Beim gleichseitigen Dreieck ist der Grund der
Bevorzugung leicht eiilzuseheil.

Ack 2. Ich komme mtn zur zlveiten oben
gestelkteil Frage, das Motiv der Triangulirung
nnb deren ästhetische Bedeutung betreffeild nnb
kann mich hier kurz fassen, iudeiu ich dem Ur-

theile des Autors S. 5 beistiilime, tvelches lautet:
„Wir halten es für höchst ivahrscheinlich, daß
die Triangulierung aus Ziveckmäßigkeitsrück-
sichteil zunächst in der Praxis benutzt lvordeu
seilt mag, ohne jeglichcil Gedanken an ihre
ästhetische Wirkung, da, um eine solche zit
erzielen, die bereits erfolgte Allsbildung zum
systematischen Verfahren vorausgesetzt luevben
muß." Durch den Schluß dieses Satzes lvird
auerkaunt, daß der systematisch angelvendeten
Triangulierung allerdings auch eine ästhetische
Bedeutung zllkonline, und Recensent glaubt,
daß diese ästhetische Bedeutung sich znrück-
führen läßt ailf das ästhetische Prinzip der
Einheit in der Mannigfaltigkeit.

Ad 3. Im Text S. 8 bemerkt der Autor:
„Deil in Fig. 4 (Tafel III) gegebenen gold.
Schilitt habe ich llirgeuds verlvaildt gefuilden."
Jil Anmerklilig 2 lvird dann auch auf Zeisiugs
Bitch von deil Proportionen des menschlichen
Körpers Bezlig geuvmmeu. Meine (des Reeell-
sentell) Schriften über diese Proportion scheinen
Herrll Drach unbekannt z>l sein. Daß er in
deil untersuchten Bauwerken jene Propvrtioil
nirgends verivendet gefuilden, dürfte sich daraus
erklären, daß er sie nicht gesucht, oder keine
besondere Aufmerksamkeit darauf verivelidet hat.
Bevor ich ben Beweis führe, daß gerade in
den vonl Autor gegebenen Abbildungen jene
Proportion doch öfters vorkommt, muß ich
bemerken, daß hiebei zwei Fragen ivohl zll
lliiterscheideil sind, ltämlich die Frage, ob die
Proportioil da, nnb die andere, ob sie beab-
sichtigt ist. In vieleir Fällen, lvv die erste
Frage bejaht werden kann oder muß, müssen
ivir die zlveite uuentschiedeu lassen oder gar
verneinen. Der Autor hat z. B. ailf Tafel I
Fig. 1 eine Zeichnung gegebeil, ivobei er, lvie
ails dem Text S. 3 zu ersehen, an den goldenen
Schnitt ilicht im entferntesten gedacht hat, beim
die Zeichnung bezieht sich auf die Lösung der
geometrischen Aufgabe, ailf eine Strecke A 11
in einem Endpunkt A einen Perpendikel zu
errichten. Aber dennoch ist diese Zeichnnng so
ausgefallen, daß der goldene Schilitt zweimal
und ztvar sehr genau drin steckt, beim es ist
sowohl die Gerade DD' in Punkt A, als auch
die damit parallel laufende Gerade CC' in M
nach dem goldenen Schnitt getheilt. Die rvhei-
lulig ist so genau, daß, lvie ich durch Messung
in Rechnung gefunden, die Abweichung höchstens
einen halbeil mm betragen kann.

Dies scheint nuuhierallerdiilgs reiner Zufallzu
sein. Aber es gibt zwischen einer rein zufälligen
und einer aus bewußter Absicht hervorgehenden
Herstellung jener Proportion noch zivei andere
in der Mitte liegende mögliche Entstehnngs-
weiseu; sie kann nämlich entstehen und ent-
steht oft wirklich durch ein unbewußtes Wirken
des ästhetischen Sinnes, oder auch als noth-
lvendige logische Folge aus anheim geomet-
rischen Verhältnissen. Ich tverde nun zeigen,
daß in den Abbildungen des hier recensirten
Werkes die bezeichnete Proportion einigemal
ailftritt, lvobei ich aber die Absichtlichkeit um
entschieden lasse nnb über die älteste Konstruk-
tion des goldenen Schnittes etivas voraus-
schicken muß. Der Erste, der jene Konstruktion
in streng mathematischer Weise ausführte, >var
bekanntlich Euklides von Alexandria. Seine
 
Annotationen