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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 21.1903

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Nr. 2
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Schermann, Max: La Sainte Chapelle de Paris und die französische Gothik, [2]
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erstereil sind entsprechend ihrer Höhe durch
Steinkonstruktionen von außerordentlicher
Leichtigkeit getheilt; die Gesammthöhe be-
trägt 15 Bieter 5(1 Centiineter, die Breite
4 Meter 65 Centiineter. In ihrem oberen
Theile sind sie begrenzt durch drei kleine
Rosen, jede mit sechs Loben. Die Apsis-
fenster sind ungegliedert, 15 Meter 30
Centiineter hoch, oben abgeschlossen wie
die vorigen.

Der legendarische Schmuck weist ange-
sichts der bedeutenden Ausdehnung eine sehr
große Zahl von Sujets auf; mit Aus-
nahme eines einzigen Fensters tut Schiff
scheinen sie alle aiis den Büchern des
Alten Testamentes oder aus der Legende
der Heiligen entnommen ztt sein. Die
Mehrzahl der Darstellungen ist schwer zu
verstehen und unter sich in Einklang zu
bringen (vgl. de Lastayre a. a. O.
S. 161 ff.). Nur einige Details zur
Orientirnng seien genannt.

Das erste Fenster beispielsweise enthalt
60 kleine Sujets, die sich ans aznrnent
Grund abheben. Alle scheinen sich ans
die Erschaffung des Menschen und die Er-
lösung zu beziehen. Sie stellen der Reihe
nach dar die ersten Zeiten der Welt, daS
Krenzesopfer, die Taufe, die Auferstehung
mit) endlich das Gericht der Menschen-
scele, eine jener merkwürdigen p s >) ch o st a-
tischeu Darstellungen, die mir nament-
lich in der französischen Kunst so häufig
antresfen (vgl. Revue generale de l’archi-
tecture von Daly n. A. I. Bd. p. 649
bis 664, 713—-718; mtt> Revue arclieo-
logique de Paris I. Bd. 236 — 306 von
Alfred Manry): der hl. Erzengel Michael
und einige Teufel sind anwesend; der Erz-
engel ist gefolgt von einer guten Seele,
der Teufel von der eines Sünders; die
gute Seele, geschützt durch die Flügel des
Erzengels, erscheint in Gestalt einer
Frau im Gewände der Unschuld. Den
Sünder hat der Maler als Alaun darge-
stellt, der sich ganz nackt hinter einem
grünen Teufel versteckt und umgeben ist
von einem rothen und schwarzen Teufel.
Der Erzengel hält die himmlische Waage,
in deren einer Schaale die Seele sich be-
findet, während die zweite ihre Tugenden
und guten Werke enthalt (vgl. Molanus
de historia S. S. inaug. lib. JI c. XXIII
p. 71 : Michaelum archangelum pingunt

nonnulli cunt libra, ponderantem in tina
statua animam, in altera eins virtutes).
Schon neigt sich die Waage znm Guten
hin, trotz der Anstrengungen eines kleinen
Teufels, der sich an der anderen Seile
krampfhaft anklammert.

Auf dem 13. Fenster sind es gar 88
Sujets aus dem Alten Testament. DaS
15., das letzte und eines der interessan-
testen, von beut noch 44 Medaillons er-
halten sind, stellt die Geschichte Ludwigs
des Heiligen dar, sowie die Uebertragnng
der Dornenkrone u. s. w. Kaiser Balduin II.
wurde nemlich von seinem Gläubiger Ducas
gepreßt, welcher Konstantinopel belagert
hielt. Die Dornenkrone kam dabei als Pfand-
stück in die Hände der Venetianer: St. Lud-
wig schickte Gesandte nach Venedig mit der
nötigen Summe, um die Reliquien znrückzu-
kanfen; dieselben wurden nach Frankreich
gebracht. Die Medaillons enthalten Dar-
stellungen dieser Reise, z. B. die Ileber-
tragnng der Reliquien von Sens nach
Paris und Anderes. Außerdem bietet
dieses Fenster wahrscheinlich sehr ähn-
l i ch e P v r t r ä t S Ludwigs, von Blanche
von Kastilien, von Margnerite de Province
und dem Grafen von Artois; lauter äußerst
werthvolle Dokumente für die Kenntnis; der
Kultur jener Epoche.

Was sodann noch die Rose ans der
Zeit Karls VIII. anbetrifft, so kündigt
schon die zartere, manirirte Zeichnung imb
die weniger stark ausgeprägte religiöse
Begeisterung eine ganz andere Epoche an,
in welcher der Glaube weniger rein ist,
und der klassische Einfluß die nationale
Ueberlieferung zu bekämpfen scheint. Doch
kann man nicht anstehen, diesen Darstel-
lungen der apokalyptischen Vision des
hl. Johannes hohes Lob zu spenden.

3. Auch die Kunst der Plastik finden
wir in der heiligen Kapelle in den Dienst
der Religion gestellt, in den Apostel-
figuren und iit den Engelsfiguren
der Arkatur. Alan bemerkt in diesen
wirkungsvollen Gestalten nichts mehr von
jenem eigenartigen Typus, der sich im
12. Jahrhundert in Frankreich entwickelte
und der sich durch unverhältnißmäßige
Länge der Figuren kennzeichnet, wie sie
z. B. in den ernsten Gestalten der Dome
von Bonrges, Chartres sind Anderen sich
zeigen, jene ernsten Figuren mit tiefem,
 
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