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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 21.1903

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Nr. 5
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Damrich, Johannes: Wie A. Dürer das Beten dargestellt hat, [2]: eine Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.15936#0059

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geschildert. „Er fing an zn zittern und
sich zn entsetzen", berichtet St. Markus
(14, 33). In krampfhaft starrer Haltung
vermag sich der Erlöser kauin mehr auf-
recht zu halten; aus diesem Antlitz glauben
nur den kalten, blutigen Schweiß hervor-
brechen und die Haare netzen zu sehen,
diese Lippen beben, die Hände zittern.
Das ist kein Beten mehr mit Worten des
Mundes; unfähig, dem Entsetzlichen zn
entrinnen, starrt die Seele in den Ab-
grund, der sich vor ihr auftut, und stam-
melt um Erbarmen, um Hilfe. Selbst
durch den Baum, unter dem die Jünger
schlafend liegen, geht es wie ein Beben
und Todesschauern.

In einer Eisenradierung von 1521
behandelt Dürer nochmals dasselbe Thema.
An dem Berghang voll rauhen, zerrissenen
Gesteines sehen wir den Heiland nicht
knien, sondern lang ausgestreckt auf seinem
Angesichte liegen. Vor ihm in streifigem
Gewölle steht trauernd der Engel und
hält gesenkten Hauptes den Kelch dar.

Formenreiz hat Dürer überhaupt selten
in seinen Gestalten angestrebt, zumal nicht
auf Kosten des geistigen Gehaltes, am
allerwenigsten bei diesem Gegenstand,
dazu faßte er ihn zu ernst und zn tief
auf.

Wer hier Anmut, Formenschönheit,
„edlen" Wurf des Gewandes rc. suchen
wollte, der wird gerade in diesem Stich
keine Spur von alledem entdecken, ja, i
wessen Auge nicht an Dürers oft harten!
Realismus gewöhnt ist, der wird vielleicht
die Art, wie diese Christusgestalt am Boden
ausgestreckt liegt, geradezu als unschön
bezeichnen. Ein Italiener hätte niemals
eine solche Christusgestalt zu bilden ge-
wagt.

Und doch, wenn wir unser Auge und
unser Herz länger mit diesem Heiland
beschäftigen: was ist das für ein ergreifen-
des Beten! Nicht der Leib allein, auch
die Seele ist hier ganz hingegossen im
Gebete vor Gott! La profundis clamavi
ad te Domine.

Aus dem Wesen und der Geschichte der
Menschennatur heraus ergibt sich ein zwei-
faches Beten. Anders betet das unschul-
dige Kind, sein Lallen ist vor Gott so viel
wert als die tiefinnigsten Gedanken des
GotteSgelehrten — anders betet der Marin,

ans denr die Erfahrungen, die Leiden und
Kämpfe, die Enttäuschungen, die Bitterkeit
und die Schuld des Erdendaseins lasten.
Das kindliche Beten stellen uns z. B. die
Meister der Kölner Schule, stellt uns ein
Fra Angelico ') in ihren Engels- und
Heiligengestalten so rvunderbar vor Augen.
Auf diesen klaren Stirnen, ans diesen
lächelnden Lippen, in dieser Art des Betens
liegt der reine, ungetrübte Friede der Un-
schuld; das mutet uns an so liebenswür-
dig, in gewissem Sinne wehmütig, wie
ein Traum aus der eigenen Kindheit.

Das Beten des Erwachsenen ist ein
anderes. Ihm ist das Paradies der Kind-
heit nntergegangen, er steht mitten in denr
Getös und im Kampf dieses Lebens. Und
all' das Wünschen und Streben mtb
Ringen, alle Lust und aller Schmerz, alles,
was das Menschenherz bewegt und auf-
rührt bis in seine Tiefen, es spiegelt und
verklärt sich im Gebete. Diese Arides
Betens aber, das dürfen wir Deutsche mit
Stolz bekennen, hat keiner so tief und so
vielseitig künstlerisch erfaßt und mieder-
gegeben, nsie unser Dürer. Dieser Ruhm
jedoch gebührt ebenso dem gläubigen
Christen, wie dein genialen Künstler in
Dürer.

Mau hat mit Recht betont, daß gute,
fromme Gesinnungen nicht ausreichen, nur
ein christliches Kunstwerk zu schaffen, aber
ebenso nachdrücklich milß gesagt werden,
daß alle technische Fertigkeit, ja alles
künstlerische Talent allein nicht im stände
sind, den christlichen Wahrheiten und Ge-
heimnissen e n s p r e ch e n d e n künstlerischeil
Ausdruck zn geben. Der Künstler muß
vvii der Göttlichkeit seines Glaubens
durchdrungen sein, die Freude, den Frie-
den, den Trost, den der Glaube bietet,
muß er selbst gefühlt haben, und ein
Dürer hat das Beten nur deshalb so
wahr imd so tief darstellen können, weil
er es selber geübt hat. Mit welch' ernster,
gläubiger Hingebung, mit welcher Liebe
muß unser Nürnberger Meister z. B, die
Todesangst Jesu am Oelberg betend be-
t r ach t e t haben!

Unsere heutigen christlichen Künstler be-
schäftigen sich erfreulicherweise viel mit

’) Es dürfte nach den verschiedensten Rich-
tungen kam» eine interessantere Gegenüberstellung
denkbar sein als Fiesole und Dürer.
 
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