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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 22.1904

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Nr. 5
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Kleinschmidt, Beda: Das Rationale in der abendländischen Kirche, [3]
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40

weichen.') Ilm wie viel mehr mag man damM
eine mir ungenügende Vorstellung von diesem
jüdischenKultgewande gehabt haben? So kam
man denn dazu, das Rationale hier als Schulter-
gewand, dort als Schulterband herzustellen.
Nur unter dieser Voraussetzung ist die Tatsache
erklärlich, das; uns das Nationale bereits auf
den ältesten Monumenten in so verschiedener Ge-
stalt begegnet. Anzunehmen, aus den; Schulter-
gewand habe sich das Schultorband entwickelt, ist
bei der gänzlichen Verschiedenheit beider Ornat-
stücke und bei dem fast gleichzeitigen Auftreten
beider Formen wohl kaum möglich; beide Formen
sind vielmehr durchaus selbständige Neubildungen.
Das Verlangen einzelner Bischöfe, ein der erz-
bischöflichen Jnsignie ähnliches Ornatstück zu be-
sitzen, führte sie dazu, den; Nationale in der äußeren
Form eine möglichst große Aehnlichkeit mit dem
Pallium zu geben; hie und da nahm cs vollständig
die Gestalt desselben an, nur in der Ausstattung
war es verschieden. Diese Aehnlichkeit zwischen
Pallium und Nationale tritt auch im Gebrauch
und in der Bedeutung beider Insignien deutlich
hervor, wovon später die Rede sein wird.

Bei dieser Ableitung des Nationale aus den
levitischen Ornntstücken möchte ich jedoch jeden
profanen, speziell den byzantinischen Einfluß nicht
gänzlich ansgeschlossen wissen. Unter den Ge-
wündern der byzantinischen Hoftracht gab eS einen
dem. stofflichen Nationale sehr ähnlichen Schulter-
kragen, der im Zeremoniell des Hofes eine be-
sondere Bedeutung gewonnen hatte. Unterschied
man doch nicht weniger als elf verschiedene
Rangstufen.") Man sieht ihn nicht selten ans
der Gewandung von Standespersonen nbgebildet.
So trügt auf der Krone des hl. Stephanus im
ungarischen Kronschatze der Sohn und Mit-
regent des Kaisers Konstantin X. ein Ornatstück,
das dem Nationale mit drei Pendants durchaus
ähnlich ist.") Uebrigens finden wir auch ans
abendländischen Bildnissen jener Zeit zuweilen
ein Ornament, das mit gewisse» Formen des
Nationale die allergrößte Aehnlichkeit hat. Ver-
gleicht inan z. B. den Ornat einer Königin in
einem Manuskript des I 1. Jahrhunderts mit dein
Nationale, welches nicht viel später der Bischof
in der Krypta von St. Maria im Kapitol zu
Köln trägt,') so ivird man kaum einen bemerkens-

') Man vergleiche z. B. die Rekonstruktion bei
Bock, Liturgische Gewänder l, 364, und Rieh m,
Handbuch des bibl. Altertums (>884) I, 386.

2) lieber die byzantinische Hoftracht vergleiche
Constanlinus Forpliyrog., De ceremoniis aulae
byzant. II c. 15 (ed. Bonn). Reiske, Com-
mentarii II, 190. 543. 582. 592. 640. 708. -•
lieber das älteste Auftreten solcher Schulterkragcn,
die aus Aegypten oder Syrien stammen und
später sich zur größten Mannigfaltigkeit entfalte-
ten, vergl. Perrot et Cliipiez, Ilistoire de
l’art antique I, pl. 1—III. Fig. 588. III, 531 ss.

3) Abb. Bock, Byzantinische Zellenschmelzc
S. 249.

4) Vergl. L o u a 11 d r e i Les arts somptuaires,
pl. 52; vergl. ibid. die schöne einem Rationale
ähnliche Pelerine, welche ein Bischof, ein König
und Christus trägt, pl. 73. 80. 104. — Eine
Reproduktion des Kölner Monumentes war auf

werten Unterschied finden. Beide Ornatstücke be-
stehen aus einem um die Schultern gelegten
breiten Bande mit Pendants auf der Brust und
an den beiden Seiten; der einzige Unterschied
besteht in der reicheren Ausstattung des könig-
lichen Schmuckes. Unter diesen Uinständen ist
darum eine Beeinflussung der Form des Ratio-
nale durch ein Ornatstück der byzantinischen bezw.
abendländischen Hoftracht gar nicht unwahrschein-
lich,') seinen eigentlichen Ursprung aber verdankt
es, wie gezeigt wurde, dein Bestreben, für die
Bischöfe eine dem hohenpriestertichcn Nationale
oder Supcrhumerale analoge Jnsignie zu schaffen.

4. G e b r a u ch.

Der Gebrauch des Nationale stinnnt in vieler
Hinsicht mit dem des Palliums genau überein.
Wie das Pallium seit den ältesten Zeiten nur
bei der hl. Al esso getragen werdeit durfte, so
auch das Nationale. Diese Einschränkung ist in
dem Briefe des Bischofs Hildward von Halber-
stadt an Adalbero von Metz ausdrücklich hervor-
gehobcn. Auch das Sakramentar des NatolduS
unb die Missa Flacci Illyrici deuten diese Ein-
schränkung an, wenn sie das Nationale unter
jenen Ornatstückcn anführen, die der Bischof bei
der Feier der hl. Blesse nntegeit soll. Sodann
durfte es — auch hierin dem Pallium gleich —
nicht bei jeder hl. Blesse getragen werden, son-
dern nur an bestimmten Tagen, und zivar n»
jenen, die seit dem II. Jahrhundert auch Pal-
liumtage waren. Ursprünglich war diese Bestim-
mung wohl nicht, wir finden sie aber bereits in
den päpstlichen Bullen des 12. Jahrhunderts.
Jnnocenz II. gestattet 1136 dem Bischof Adal-
bero von Lüttich den Gebrauch des Nationale
an folgenden Tagen: Gründonnerstag, Ostern,
Himmelfahrt, Pfingsten, Johannes Bapt., Peter
unb Paul, Lambert, Aufnahme Mariä, Reini-
gung Alariü, Epiphanie, Konsekration der Kirchen
und Kleriker, Anniversarium der Kathedralkirche?)
Das sind aber dieselben Tage, an denen durchweg
auch der Gebrauch des erzbischöflichen Palliums
gestattet ivurde. — Endlich durfte der Bischof
es nur innerhalb der Diözese tragen, nicht aber
wenn er sich außerhalb derselben aufhielt.

Selbst in einer so geringfügige» Einzelheit,
wie die Befestigung ist, mürbe eine Aehnlichkeit
mit dem PÄlium herbcigeführt. Dieses befestigte
man nämlich ivenigstens seit dem Ende des achten
Jahrhunderts auf der Kasel mit drei Nadeln,
wie der erste römische Ordo bezeugt?) In gleicher
Weise heftete man in Rheims das Rationale auf
der Kasel fest; denn nach beut alten Inventar
besaß diese Kirche drei silbervergoldete Nadeln,
die ztcr Befestigung der Nationalien dienten,
jede war mit einer antiken Gemme verziert?)

der Düsseldorfer Kunstausstellung 1902 zu sehen.
Katalog Nr. 166.

') Auch die Erzählung des Admonter Mönches,
das kostbare Rationale zu Salzburg sei aus
Byzanz mitgebracht, ist für die Beziehung unserer
Jnsignie zur byzantinischen Tracht nicht ohne Be-
deutung.

2) Epist. Innocentii II n. 196.

s) Ordo 1 n. 6. Migne, 1'. L., 78, 940.

4) Tres aens in argento deaurato servientes
 
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