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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 23.1905

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Nr. 3
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Detzel, Heinrich: Maria im Aehrenkleide, [3]
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Literatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.15938#0044

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35

das; es sich hinsichtlich der Stisluiig der
Certosa bei Katharina »nd ihrem Gemahl
nm die Erlangung der Fruchtbarkeit und
ihres hauptsächlichen Erfolges in männ-
lichen Sprossen handelte und so hätte die
Eigenwahl des Kleides der Herzogin,
welche die Zierde der Aehre des uralten
Symbols derFruchtbarkeit charak-
terisierte, nichts Unerklärliches mehr. Die
Kartäuser aber säumten nicht, im lang-
wierigen Verlaufe des Baues ihrer Kirche
und des Klosters ihr Bild sknlpticrt und
als Gemälde mehrfach zu verewigen, aber
immer mit dem Aeh reu kleide d. h.
mit jenem Symbol, welches an das er-
füllte Gelübde, an das geistige Fundament
der Certosa aufs deutlichste gemahnte.
Nach Diego S. Ambrogio koinmt die
Darstellung Katharinas in der Certosa-
Kirche dreimal vor, und dazu noch
eine Abbildung der Herzogin im großen
Krenzgang und ein großes Oelgemälde
im Saale des Priorats; überall erscheint
die Herzogin im Nehrenkleide, dessen Sinn
also nicht mehr rätselhaft sein kann.

„Insofern es sich handelt nur die Her-
zogin Katharina Visconti und wie sie
zum eigentümlichen Aehrenkleid in ihren
Abbildungen gekommen, ist die Erklärung
nicht so schwierig; fremdartiger aber mag
es erscheinen, wie das Mailänder Dom-
bild zur Tracht der Herzogin kommen
konnte. Hub doch bleibt uns nichts übrig,
nachdem weder früher noch später Ma-
rienfiguren mit diesem Kleide sich finden,
als eine Beziehung zwischen der Herzogin
und diesem Bilde anzunehmen. Die ge-
wiß auffallende Andacht zur heiligsten
Jungfrau, das Vertrauen auf ihre Jnter-
zession gerade in der Angelegenheit der
erbetenen Fruchtbarkeit der Ehe, wie es
sich i» dem Mariennamen ihrer männ-
lichen Sprossen, in der Benennung der
Stiftung als der ss. Maria delle gra/.ie
(einem in Italien sehr beliebten Ausdruck)
geweihten »LratiarumLartusia« knndgibt,
begründet eine solche Annahme wohl
ausreichend. Der evangelische Gruß:
»benedictus kructus ventris tui« mochte
die Herzogin ermutigen, die Heiligste, an
welcher er wunderbar erfüllt wurde und
durch welche auch ihre Bitte erhört worden,
darstellen zu lassen mit dem Sinnbild
natürlicher Fruchtbarkeit, Für die ver-

trauensvollen Bitten an die Gottesmutter
in dieser Angelegenheit zeugen die in
Italien gewiß nicht seltenen Bilder mit
dem Namen »Madonna del parto« und
auch der Mailänder Dom besitzt ein solches.
Was hindert da zu denken, daß von seiten
der Herzogin Katharina ein Marienbild
mit dem Symbol der von ihr erbetenen
und auch erhaltenen Fruchtbarkeit in den
Dom gestiftet worden sei? Das von der
Herzogin Katharina mit dem sinnbildlichen
Kleide der Fruchtbarkeit in den Dom ge-
stiftete Bild der heiligsten Jungfrau wäre
dann das eigentliche Original der ss.
Maria del coazzano vom 14. Jahrhundert
gewesen; dazu mochten die Deutschen
vielleicht nur eine silberne Votivstatue,
oder Zier geschenkt haben in späterer Zeit."

Der Mailänder Gelehrte Diego S.
Ambrogio weist aber nach, daß nicht bloß
das Aehrenkleid der Herzogin Katharina
Visconti eine Beziehung zu unser» Aehren-
kleidmadonnen hat, sondern daß noch ein
weiteres bekanntes Familienzeichen zu
diesen Marienbildern in Beziehung stehe:
der Strahlenkranz um den Hals
der heiligen Jungfrau; er machte
aufmerksam auf diese Devise der Vis-
contis, die »radia dncaie«, die als
Schmuck nm den Hals an jener Statue
von; Dome (jetzt im Museum) sich zeigt
und auch mehr oder weniger deutlich sich
an den Aehrenkleidmadonnen des Nordens
sich zeigt.

Literatur.

Schmid, Max, Kunstgeschichte des
19. Jahrhunderts. I. Band. Mit
292 Abb. im Text »nd tu Farbendruck-
tafel». Leipzig, E. A. Seemann; geh.
M. 8.—, geb. M. 9.—.
lieber keine Periode der Kunst kann man tit
Laienkreisen so einseitige und scharfe Urteile hören
ivie über die Kunst des 19. Jahrhunderts. Es
hat das freilich seinen Grund zunächst darin, das;
diese Kunst unserer Zeit noch zu nahe steht und
deshalb ein endgültiges Urteil über dieselbe über-
haupt noch nicht abgegeben werden kann, da eine
jede Generation im stolzen Bewußtsein, Neues
und Besseres zu bieten, gerne mit einer gewissen
Geringschätzung auf das ihr unmittelbar voraus-
gegangene Entwicklungsstadium herakychaut. Eine
weitere Ursache dieser Erscheinung aber ist doch
wohl auch darin zu erblicken, daß es vielfach am rech-
ten Verständnis für das Kunstschaffen des letztver-
gangene» Jahrhunderts fehlt, daß das Urteil
über dasselbe großenteils nicht auf eigener An-
schauung und auf planmäßigem Studium der
 
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