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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 23.1905

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Nr. 4
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Reiter, Joseph: Fenster und Schmuck der Nordseite bei alten Kirchen und Kirchlein
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https://doi.org/10.11588/diglit.15938#0051

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41

der Kirche zu Maursmünster im Elsaß
sind nicht so breit, wie die des südlichen
Armes.

Die Nordseite fensterlos oder nur
wenig mit Fenstern bedacht, oder mit
Fenstern versehen, welche vielfach schmäler
sind als die auf der Südseite, — das
ist eine Wahrnehmung, die man bei auf-
merksamer Betrachtung von alten Kirchen
und Kirchlein machen kann und die wir
selbst schon oft gemacht haben (an Kirchen,
welche absichtlich nicht genannt wurden).

Damit stimmt überein, was P. Florian
Wimmer O. S. B. schreibt. In seinem
gehaltvollen und wie die Gebirgsquellen
klaren Buche: „Anleitung zur Erforschung
und Beschreibung der kirchlichen Knnst-
denkmäler" (in 2. Auflage von Dr. M.
Hiptmair herausgegeben) ist S. <12 zu
lesen: .... „Der Forscher beachte in
mittelalterlichen Kirchengebäuden besonders
die Fenster und zwar zunächst ihre Zahl
und den Ort, wo sie angebracht sind.
In der Apsis eines romanischen Kirchen-
gebäudes war die Anzahl der Fenster ge-
wöhnlicb drei. In gotischen Kirchen ist
das Altarhaus in den meisten Fällen mit
fünf Fenstern geschmückt, nämlich mit
drei Fenstern in den drei Seiten des
Chorabschlusses, mit einem, und zwar ge-
wöhnlich breiteren Fenster an der Süd-
wand deS Altarhauses, und mit einem,
nicht selten schmäleren Fenster an der
Nordseite des Altarhauses". Seite 63
des genannten Werkes findet sich die Be-
merkung: „Namentlich haben die Bau-
meister des Mittelalters die Nordseite des
Langhauses am wenigsten mit Fenstern
versehen, während sie die Südseite mit
einer größeren Anzahl bedachten".

Soviel über die Tatsache. Und nun
einen Schritt weiter. Wenn wir erfahren,
daß die im Jahre 1840 erbaute Ansgar-
kirche in Kopenhagen auf der Seite gegen
die Straße hin keine Fenster habe, so
fragen wir nach dem Grunde dieser auf-
fallenden Erscheinung, und wenn man
uns sagt, das rühre daher, weil die Kirche
nur unter der Bedingung erbaut werden
durfte, daß sie keinen Turm und kein
Fenster gegen die Straße bekomme, dann
ist die Erscheinung erklärt und nur können
uns zufrieden geben. In ähnlicher Weise
möchten wir nun auch Aufschluß bekommen

über die Tatsache, daß die Nordseite an
den alten Kirchen bisweilen keine oder
nur wenige oder nur schmale Fenster auf-
weist. Die Symbolik der Fenster, welche
nach alter Auffassung die heiligen Schriften
darstellen, die alles Schädliche fern halten
und die Klarheit und Wärme des Gnaden-
lichtes in die Herzen senken solle», löst
uns die Frage nicht. Auch darin können
wir keine vollständig befriedigende Lösung
erblicken, wenn angenommen wird, daß
man im Interesse richtiger Beleuchtung
des inneren Bilderschmnckes das Licht nur
von einer Seite habe einströmen lassen
wollen. Der Hauptgrund der Fenster-
losigkeit auf der Nordseite, beziehungsweise
der andern angeführten Erscheinungen, muß
irgendwo anders gesucht werden und zwar
in der symbolischen Bedeutung der nörd-
lichen Himmelsrichtung. Der Süden in
seiner Lichtfülle gilt im allgemeinen als
Sinnbild Gottes und seinerreichen Gnaden-
schätze, auch als Symbol des Heiligen
Geistes. Darum kommt der Herr vom
Süden: »ab Austro veniet«, d. h. nach
Hieronymus: »a meridie, a clara luce,
et ab bis, qui appellantur filii dierum«
(Symbolik des Kirchengebäudes, Sanr
S. 88 ff.). Der lichtlose, kalte Norden
dagegen ist in den alttestamentlichen Schrif-
ten als Ausgangsort von Unheil, Schrecken
und dämonischen Anschlägen, als Ort der
unreinen Geister, der Geister der Finster-
nis hingestellt, wo der böse Feind selbst
seinen Herrschersitz ausgestellt hat. »Ccm-
fortamini, filii Benjamin, quia malum
visum est ab Aquilone et contritio
magna«. Jerem. 6, 1. »Ecce populus
venit de terra Aquilonis«. Jerem. 6,22 ss.
»Ecce populus venit ab Aquilone«.
Jerem. 50, 41 ff. »Ab Aquilone pan-
detur malum super onines habitatores
terrae«. Jerem. 1, 14. »Ponarn sedem
meam ad Aquilonem.« Js. 14, 13. Die
Kälte und Lichtlosigkeit machen die nörd-
liche Richtung des Himmels zum Abbild
des Unvollkommenen, des von Gott Ab-
gekehrten, vom Licht der Wahrheit und
des Glaubens Abgeirrten, Entfernten"
im Frost der Sünde und Verstocktheit Er-
starrten. „In dieser Deutung begegnet
uns der Norden an zahlreichen Stellen
bei Hieronymus, Augustinus, Gregorius
Magnus, Melito, Eucherius n. a.", und
 
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