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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 24.1906

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Nr. 2
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Der neue protestantische Dom in Berlin, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15939#0019

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10

ein für allemal zehn Millionen Mark zum
Ban, und am 17. Juni 1894 fand die
Grundsteinlegung statt; am 27. Februar
vorigen Jahres aber fand die feierliche
Weihe des Domes statt.

Und nun zur Beschreibung desselben.

Von Berlins Hauptstraße „Unter den
Linden" herkommend, hat man die Haupt-
ansicht des Doms, so wie sie unser Bild
wiedergibt, direkt vor sich. Da präsen-
tiert sich derselbe großartig. Der Vor-
hallen b a n ist 80 Meter lang, ca;
20 Meter hoch, mit imposantem Mittel-
portal, flankiert von je einem mächtigen
Paar Säulen (ä. 16 Meter Höhe!) und
weiteren zwei Portalen rechts und links,
wird nach oben abgeschlossen durch ein
massiges, die ganze Länge durchziehendes
Hauptgesims, welches gekrönt ist von einer
mächtigen Christusstatue (in hoher Nische)
und den zwölf Apostelstatuen; aus seinen
beiden Enden erhebt sich je ein Turm mit
Kuppeldach und verhältnismäßig großer
und reicher Laterne darüber (jeder dieser
beiden Westtürme ist 65 Meter hoch, von
der Erde gerechnet); in der Mitte aber
ragt hinter dem Vorhallenban und zwischen
den beiden Türmen gewaltig der Kuppel-
bau, das Zentrum des Domes, mit seinem
Ueberreichtnm an Architektonik wie an |
figuraler und sonstiger Zierarbeit empor;
die Kuppel selbst, mit Kupfer gedeckt, ist
umstellt von riesigen Engelsgestalten in
Kupfer (getrieben), unterbrochen von zwei
Reihen Lünetten, und oben trägt sie gleich
einer Krone eine verhältnismäßig breite
Rnndgalerie, ans welcher dann sehr schlank
und hoch die Laterne anfsteigt. Zwischen
dieser Hauptkuppel und den vorderen Eck-
türmen werden dann auch noch die hinteren
Ecktürme- (Ostseite) sichtbar; dieselben
stehen nämlich nicht in der Achse der
vorderen, also nicht genan hinter den-
selben, sondern weiter einwärts, auch
sind sie um je 10 Bieter tiefer. So macht
das Bauwerk einen imponierenden Ein-
druck, und derselbe wird noch durch das
reiche, fast überreiche Spiel der Orna-
mentik wie der Farben gesteigert. Vor
allem steht der Dom hier als eine völlig
geschlossene Einheit da mit großartigster
Wirkung. Er präsentiert sich als ein ge-
waltiges quadratisches Massiv, mit der
Kuppel in der Mitte, die Vorhalle an der

Westseite, welcher ans der entgegengesetzten
Ostseite der Chor entspricht, mit den vier
Türmen an den vier Ecken — als ein
durchaus regelmäßiger Ban von ganz
zentraler Anlage.

Sieht man aber den Grundriß an:
dann steht man.vor einer Reihe scheinbarer
Unbegreiflichkeiten und unlösbarer Wider-
sprüche. Da sieht man groß und mächtig
einen Halbrnndchor mit fünf Kapellen
(Figur 6), daran anschließend den Mittel-
ranm (A) und endlich eine Art Vestibül
mit Vorsaal u. s. w. (C); hier haben
wir also, von 6—C, vollständig keinen
Zentralbau mehr, sondern einen Bau von
ca. 105 Metern Länge und ca. 75 Metern
höchster Breite; die Vorhalle aber mit
der prachtvollen Schanseite liegt an der
einen Längsseite des Domes, schein-
bar ohne jeden organischen Zusammen-
hang mit demselben! Einen unklareren
Grundriß hat wohl kein zweiter Dom mehr
auf Erden — so wird das Verdikt lauten.
Eine fachmännische Feder hat denn auch
in der „Frankfurter Zeitung" offen die
ganze Schanseite des Domes, den Vor-
hallenbau (O), ein bloßes „Knlissenwerk"
genannt.

Ohne die absolute Einheitslosigkeit und
Disharmonie des Grundrisses im mindesten
verteidigen zu wollen, müssen wir gleich-
wohl sofort anfügen: der Grundriß täuscht
auf den ersten Moment; der Dom ist in
der Tat ein Zentralbau, der Chor des-
selben gegen Osten gerichtet (Nr. 10),
und die Westseite mit der prachtvollen
Vorhalle ist nicht eine Längsseite der
Kirche, sondern wirklich die Eingangsseite,
und dieselbe hat also durchaus ihre Be-
rechtigung hier. Der mächtige Halbrund-
bau 6 aber und der entgegengesetzte
Bau C sind weder Chor noch Atrium,
sondern das sind niedrige, verhältnismäßig
einstockig zu nennende bloße Anhängsel an
den Zentralbau des Domes. Und zwar ist B
die sogenannte Gruft- oder Gedächtnis-
kirche, C aber der kirchliche Festsaal (samt
Zubehör) für Taufen und Trauungen am
Kaiserhofe. Dieselben kommen denn auch,
besonders ans der Hanptseite, soviel wie
gar nicht zur Geltung gegenüber dem
Mittelbau; man vergleiche ans dem Bild
dieser Hanptseite die beiden kleinen, schein-
bar Anbauten: links die Gruftkirche,
 
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