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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 24.1906

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Nr. 8
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Naegele, Anton: Ein neuentdecktes Totentanzgemälde aus dem Mittelalter in der deutschen Reichshauptstadt, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15939#0091

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79

Markgrafen Johann I. und Otto III.
(1220—1267) mit seinem Nachbarfischer-
dorf Kölln, dessen Pfarrer Symcon vorher
war, Stadtrecht erhalten hat. Nicht ohne
pietätsvolles Gedenken hat Kaiser Wil-
helm II. in der von ihm geschaffenen
Siegesallee im Tiergarten neben dem Mar-
morstandbild dieses Askanierbrüderpaares
den ersten katholischen Berliner Propst in
einer Büste verewigt. Die Zweitälteste ist
die K l o st e r k i r ch e, mit deren Erbauung
um 1271 begonnen ward, einer jener im
Norden seit dem 12. Jahrhundert bis
heute beliebten kunstgenbien Backsteinbauten.
Beider Eigentümlichkeiten, Wechsel von
noch romanisch angelegten, viereckigen Pfei-
lern mit schön gegliederten achteckigen
gotischen, finden sich an der Marienkirche;
Wilhelm Lübke (Totentanz S. 7) will
letztere einem Neubau vom Ende des
13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts
ansschreiben, in dem Reste eines früheren
Baus, namentlich in der Nordmauer des
Schiffs, verwendet worden seien.

Wie dem auch sei, das erste sichere
li te r ar is che Z e u g n i s über die Existenz
der Marienkirche hat uns ein Ablaßbrief
aus dem Jahr 1294 aufbewahrt. Der-
selbe ist von sechs Bischöfen ausgestellt
und in dem Quellenmerk von E. Fidicin,
Historisch-Diplomatische Beiträge zur Ge-
schichte der Stadt Berlin (III, 29) mit-
geteilt. Mit blutigen Lettern ist der alt-
ehrwürdige Bau in den Annalen der
Geschichte des Mittelalters eingetragen
und jedem mit der Kirchengeschichte im
Zeitalter eines Johann XXII., des baby-
lonischen Exils des Papsttums und seines
Kampfes gegen Kaiser Ludwig den Bayer
Vertrauten bekannt. Im Kampf des
zweiten in Avignon residierenden Papstes
gegen den nach seinem Sieg über den
Gegenkaiser Friedrich den Schönen von
Oesterreich bei Mühldorf 1322 trium-
phiereuden Ludwig den Bayer ward die
Marienkirche der Schauplatz einer bekannten
schrecklichen Mordtat. Die aufgehetzte
Bürgerschaft ermordete im Jahre 1327
den Propst Nikolaus von Bernau, einem
benachbarten, seit kurzem wieder mit einer
katholischen Kirche geschmückten Städtchen,
einem Wallfahrtsort der neuen Katho-
liken Berlins und der Mark Branden-
burg. Dieser hatte die päpstlichen Bullen,

wonach Ludwig der Bayer exkommuniziert
und aller Rechte ans das Reich für ver-
lustig erklärt und alle jenem anhangenden
Städte mit dem Interdikt und deren ein-
zelne Bewohner mit dem Bann belegt
sein sollten, verkündigt und dadurch den
Unwillen der Anhänger des vom leiden-
schaftlichen Gegner in Avignon vorschnell
gebannten Kaisers erregt, ähnlich wie in
Magdeburg. Hatte ja der Bayer die durch
den Tod Waldemars, des letzten Askaniers,
erledigte Mark und Kur Brandenburg
1322 seinem achtjährigen Sohn Ludwig
übertragen und sich so zum Landesherrn
über „des hl. Römisch Reichs Streusand-
büchse" erklärt. Sympathien muß sich
der ritterliche, tragisch heimgesuchte, junge
Kaiser auch im Norden erworben und
auch nach der Absetzung durch den Papst
bewahrt haben, wie selbst in den Kreisen
der Minoriten; so erbitterte und spaltete
die Gemüter auch in Berlin der Kampf
der habsburgischen und bayerischen Gegen-
kaiser wie der Streit zwischen der Kurie
und dem Träger der deutschen Kaiserkrone.
Die Anhänger des letzteren rissen den
Dolmetscher der Bannbulle gewaltsam aus
der Marienkirche heraus und erschlugen
den Beruauer Propst unmittelbar vor dem
Hauptportal. Heute noch zeigt der Ort
der Untat ein St ein kreuz links am
Haupteingaug(West) an. Aehnliche Sühne-
kreuze finden sich auch bei uns, nament-
lich in den ehemals vorderösterreichischen
Gebieten, zahlreich, z. B. um Ehingen a. D.
Durch Stiftung dieses Kreuzes nebst einer
ewigen Lampe, eines Altars mit Seelen-
messen für den Ermordeten wurde das
über Kirche und Bürgerschaft verhängte
Interdikt im Jahre 1335 gelöst und erst
1347 fand die völlige Entsühnung statt.
Eines beweist dieser blutbefleckte Markt-
stein in der Geschichte der Marienkirche
jedenfalls: um diese Zeit muß sie als stattlicher
Bau schon bestanden haben. Sonst fällt ans
dem Dunkel dieser Periode kein Licht ans
die Entstehung und Entwicklung vor dein
grauenvollen Ereignis. Indes könnte aus
dieser dunklen Vergangenheit doch auch
ein Fingerzeig in die Zukunft weisen.
Ein von den späteren Erforschern und
Darstellern der Bangeschichte und Kunst-
werke der Marienkirche übersehener Ge-
danke Lübkes verdient hervorgehoben zu
 
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