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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 27.1909

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Nr. 7
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Marquart, A.: Ein verloren gegangener Totentanz
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Der Tod und das Kind.

Tod:

Der Jugend tue ich nit verschonen.

Die Kindlein nimm ich wie die Blumen.
Komm her, mein liebes Kindelei»,

Vergiß der Müller; du bist mein!
Kind:

Schau an, mein liebes Mülterlein,

Da geht ein langer Alaun herein —
Der zeucht mich fort und will mich hon,
Muß schon tanzen und kann kaum gon.

Tod und Jungfrau.

O Jungfer, schau, dein roter Aland
Wird bleich jetznnd zu dieser Stund.

Hast oft getanzt mit jungen Knaben,

Mit mir mußt jetz den Vortanz haben!
Der Tod u n b d e r Arzt.

Der Tod:

Herr Doktor, beschauet meinen Leib frei.
Ob doch derselbe recht gemachet sei;

Ihr habt oft manchen Hingericht,

Der aller Gestalt jetzt mir gleich sicht.
Der Arzt:

Ich Hab mit meinem „Wasser"*) beschauen
Geholfen beiden, Mann und Frauen.
Wer beschaut mir nun daS Wasser mein,
Mich treibt der Tod in Reigen nein.
Der Tod und der Abt.

Der Tod:

Herr Abt, vor mir seid Ihr nit gefeit,
Mußt auch mit in den Totenstreit,

Legt weg den Stab und Insul fein.
Kommt her, es muß getanzet sein!

Der Abt:

Prälat war ich in diesem Land,

Und hoch geachtet in meinem Stand;
Jetzt kommt der Tod, was ist mein Gewinn ?
Gott behüt mein Kloster, ich fahr dahin!

Nachdem der Tod zum schaurigen Tanz
auch den Bauersmann' aufgefoidert
hat, der vor Schrecken ausrnsl: „Das

Feld wollte ich lieber bauen, als einen
solchen Dirling (= dürren Mann) an-
schauen", sowie den Spieler mit den
Worten: „Wenn du schon hast drei beste

*) Bekannt ist, daß in alten Zeiten bei der
Krankheitsbestiminnng ein übertrieben großer
Wert auf die Besichtigung des Harns gelegt
wurde; deswegen ließen sich in jenen Zeiten die
Aerzte vielfach auf einen Schild vor ihrem Hause
zur Anlockung der Kunden ein „Harnglas" inalen,
und auf allen Abbildungen aus der alten Zeit
fehlt dem Arzte dieses Zeichen nie.

Schwein (— Aß beim Kartenspiel), ge-
winnst nichts damit, das Spiel ist mein",
wendet er sich zuletzt an den Al a l e r
selbst:

„Gabriel Neckher, laß das Malen ston.
Wirf den Pinsel hin, du mußt davon!
Hast „greulich" gemacht nieinesgleich,
Tanz her, du niußt mir werden gleich!"

Der Maler entgegnet:

Ich Hab gemalt den Totentanz,

Muß auch ins Spiel, sonst war' es nit

ganz.

Jetz ift das mein verdienter Lohn,
Kommt all hernach, ich niuß davon! —

Dieser Obeistdorfer Totentanz soll zu-
lückreicheu ans das bedeutsame Gemälde
in der St. Annakapelle zu Füssen im Algän,
und dieser Füssener, aus denl 16. Jahr-
hnndert stammende Totentanz soll hin-
wiederum den Totentanz zu Schatlwald,
gleichfalls im Algän, beeinflußt haben. —
Näheres siehe Dr. Anton Dürrwächter,
Iah,buch des hist. Vereins von Schwaben
und Neuburg 1899, woselbst auch eine
Reproduktion des Füssener Bildes sich
findet.

In der Vorhalle der Schattwalder Kirche
im bayerischen Algän befindet sich näm-
lich nach Woerls Führer von Oberstdorf
gleichfalls ein interessanter Totentanz.
Charakteristisch für denselben soll sein, daß
in diesen originellen Bildern der Tod meist
mit den Attributen seines Opfers anftritt;
das Bettelweib schlägt er mit dem Bettel-
stock zu Boden; dem Handwerksmann
nähert er sich ebenfalls mit dem Schurz-
fell angetan; mit Totenkreuz und Paret
schreitet er dem Bischof entgegen, welcher
in voller Amtstracht vor einer Kirche
steht; der Jungfrau naht er sich mit dem
Kränzlein auf dem Haupte; dem sensen-
tragenden Bauern mit dem gleichen Werk-
zeuge. Man beachte ferner, wie der Tod
in diesen Schattwalder Bildern als
Infanterist, mit dem Tschako bedeckt,
einem schwarzen Husaren entgegenrückt;
ferner wie er, selbst eine Krone tragend,
die Sanduhr in der Hand, vor dem aus
dein Throne sitzenden Könige steht; hübsch
ist die Winterlandschaft mit dem Knaben,
den. er vom Schlitten hernnterreißt,
während ein Hündlein bellend machtlose
Verwahrung einlegt; ergreifend, wie er
sarkastisch-lustig mit Geige und Fiedel-
 
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