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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 28.1910

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Nr. 3
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Stummel, Helene: Die Farbe in der Paramentik, [3]
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27

der Indigopflanze „Indigofera anil“.
In diesem Anilin des Teer entdeckte ein
Assistent Hofmanns, Henry Perkin in
London, als er damit beschäftigt mar,
ans dem Anilin Chinin darznstellen, die
erste künstliche Farbe violett, welches man
Mauveine nannte, und welches zn dem
ungeheuren Preise von 4000 Franken pro
Kilo zunächst in den Handel kam. Diesem
Violett, das 1856 entdeckt war, folgte
dann zunächst rot, Fuchsin genannt, ferner
anilinblau, jodviolett und jodgrün rc. Der
Steinkohlenteer, bisher ein lästiges Abfall-
produkt, wurde so rnit einemmal einer
der geschätztesten Rohstoffe, aus dem die
scharfen und grellen Farben, wie sie seit
sechzig Jahren die Paramentik beherrschen,
entstanden. Die drei charakteristischer!
Farben sind auf Tafel I unter! nur an-
gedentet, denn sie sind durch den Druck
weit rnilder irn Ton ausgefallen, als sie
sich sonst in Stoffen, Stickseiden und Futter
iu der Paramentik zeigen. Dennoch drängt
sich auch hier schon deutlich der unhar-
monische Eindruck dieser Farben gegenüber
den auf derselben Tatet wiedergegebenen
gestimmten Tönen auf *),

So unvereinbar rnit irgend welchen alter!,
guten Traditionen künstlerischer oder natür-
licher Farbenbegriffe die Annahme dieser
Farbenanffaffung für die Zwecke der Litur-
gie ist, so begreiflich ist sie angesichts der
zahlreichen Werke, die unter der Ein-
rvirknng der neu auf den schon von New-
ton eritdeckten Eigerrschaften des Sonneri-
lichtes aufbanenden Erforschung des Spek-
trums erschienen.

Sie nennen sich „Farbenlehre im Hin-
blick auf Knust und Kunstgewerbe" (W.von
Bezold) oder „Physiologie der Farben für
die Zwecke der Kunstgewerbe" (E. Brücke)
oder „Chromatics" (Field). Andere haben
den bestechenden Titel wie: „Die Farben-
barmonie in ihrer Anwendung auf die
Damentoilette" (Adams), „Die Lehre von
der Harmonie der Farben", Bearbeitung
der Gesetze der Farbenharmonie von Hay

0 In „Kunst und Handwerk" V. Gewebe und
Stickereien Herrn. Seemann 1902 beklagt Morris
in temperamentvoller Weise die Erfindung der
Anilinfarben um ihrer Häßlichkeit willen und
sagt, daß das Grün (Tatet I, unten 2), als Gras-
grün bekannt, ebenso scheußlich sei, wie sein Name,
und daß es die lichtlose Mitternacht häßlich
machen könne.

(4. Ausl.), von Theodor Seemann in Dres-
den (Weimar 1881, B. F. Voigt) und „Die
Farbenharmonie mit besonderer Rücksicht
auf den gleichzeitigen Kontrast in ihrer
Anwendung in der Malerei, in der deko-
rativen Kunst bei der Ausschmückung der
Wohnränme, sowie in Kostüm und Toilelte.
Zugleich als zweite Auflage der Farben-
harmonie von E.CHevreul, von F. Jännecke"
(Verlag von Paul Reff, Stuttgart 1878).
Wenn die wissenschaftlichen Thesen, welche
diese Gelehrten ans Grund der Beobach-
tungen am Spektrum aufftellen, in keiner
Weise zu beanstanden sind, sondern als
für die Wissenschaft höchst ehrenvoll an-
erkannt werden müssen, so ist doch ein
großer Fehler begangen worden. Sie nennen
ihre Beobachtungen von der Zusammen-
setzung des Spektrums ans nur reinen
Farben und allen jenen vielen zwischen
den Hauptfarben des Spektrums liegenden
reinen Tönen und ihren Schwingungen
und Kontrastverhältnissen: Farbe n-

h a r ui o n i e. Seemann beginnt den
theoretischen Teil seiner Ausführungen
mit dem Satz: „Unter Farbenharmonie
versteht man die Lehre von der ä st h e t i s ch e n
Zusammenstellung der Farben." Faktisch
handelt es sich aber bei ihm lvie bei den
anderen uni die w i s s e n s ch a f t l i ch e Zu-
sammenstellung und oeren Anwendung ans
das Knnstgewerbe.

Unter ä st h e t i s ch e r Znsainmenstellnng
der Farben versteht man die Gruppierung
von Farben, die an sich schon schön,
d. h. gestimnlt bei aller Kraft, ruhig bei
allem Reichtum, charakteristisch je nach
der anzustrebenden Wirkung sind. Die
Farbenharmonie des Jännecke, Seemann
n. a. aber setzen ganz ungestimmt, klar
und scharf die starkgefärbten Töne des
Spektrums nebeneinander. So kann aber
nach allgemeiner Auffassung der Bedeutung
des Wortes keine Harnionie, sondern unr-
ein Ansreihen, ein Vorführen in exakter
Aufeinanderfolge lauter gleich starker, sehr-
selbständiger Farben entstehen und alles
andere eher, als einen ästhetischen Ein-
druck hervorbringen. Das Greifbarste des
Unterschiedes zwischen diesen beiden Auf-
fassungen illustriert sich vorzüglich an den
Farbenreihen, wie sie an Drogen- und
Farbwarengeschäften und dein geschmack-
vollen Farbenzauber der Palette der großen
 
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