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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 30.1912

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Nr. 1
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Fischer, J.: Erziehung und religiöse Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16252#0009
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4

Die technischen, wirtschaftlichen und
sozialen Umwälzungen der jüngsten Ver-
gangenheit haben den weitesten Kreisen
der Bevölkerung die Schätze der religiösen
Kunst aufs neue zugänglich gemacht. Da-
durch wurde die Heilung einer Wunde,
welche die Säkularisation dem katholischen
Volksleben schlug, wenigstens angebahnt.
Durch die Säkularisation waren unzählige
bodenständige Knnststätten plötzlich ver-
waist und vereinsamt. Die religiöse Kunst,
ehedem in katholischen Landen fast all-
gegenwärtig, hatte sich von der breiten
Masse des Volkes weg in wenige Zentren
geflüchtet uitb sich den Interessen einer
ziemlich eng begrenzten Aristokratie an-
bequemt. Da kam die Aera der Groß-
städte mit ihrer Landflucht, mit ihrem
Bevölkerungsaustausch von Stadt zu
Stadt und ihrenr Tonristenwesen, eine
Aera, die ungeahrrte Menschenmassen mit
alten und neuen Knnststätten in Berüh-
rung bringt. Itiib gleichzeitig trägt eine
raffinierte Reproduktionstechnik die Werke
der Malerei von den Zentralen in die
entlegeristen Winkel. Das Vorhanderisein
einer herrlichen religiösen Kunst bederrtet
unter solchen Umständen einen nnschätz-
baren Glücksfall. Nrrr sollte riicht ver-
gessen werden, daß mit jedem Glücks fall
auch eine Pflicht gegeben ist:

„Sitzt einer durstend anr Quellenrand
Und hält den Becher in seiner Hand,
Und will sich riicht bücken zririi Schöpfen
und Trinken,

Deri nenn ich einen verrückten Firiken."

Fr. W. Weber.

Es muß also keineswegs ein fernliegen-
des , nebelhaftes und utopistisches Ziel
fein, das ein Katechet verfolgt, wenn er
Verständnis für die religiöse Knrist zrr
verbreiten bemüht ist. Er übt damit ein
Stück Seelsorge aiis. Er sorgt vor, daß
feine Schüler an allen Orten, nach derreri
sie das Lebeii verschlageri rvird, ein Stück
religiöser Heiniat vorfinden. Er flicht an
einem unsichtbaren Bande, das die Kate-
chnmenen altern Wechsel des Wohnsitzes
zum Trotz mit dem Gotteshaus und Dem
religiösen Leben verbinden rvird. Ohne
seine Vorarbeit rvird das Gedeihen einer
auf der Höhe steherrden Erbauungsliteratur
ein D'ng der Unmöglichkeit bleiben.

Urrser Ziel rvird sich also dabin be-
stirnmen lassen: das Kind soll befähigt
werderr, die Sprache der volkstürrrlichererr
religiösen Kunst überall zrr versteherr und
zu verrrehrneri, wo diese ihre Lehrkanzel
anfgeschlagen hat. Wenn ihm später der
„Sendbote" eine Legcrrde oder ein Gleich-
rris aus der Meisterhand Führichs vor-
legt, soll es ihirr eirre frerrdige Ueber-
raschung bedeuten, die es ihrer ganzen
Tragweite riach, wenrr auch riicht zu
werten, so doch ausznkoften weiß. Es
soll imstande sein, mit den Jahren arr
die prächtigerr Bilder des „Kath. Sonntags-
blatts" kleirre Betrachtungen anzuknüpfen.
Der Besitz eiries Werkes wie das „Leben
Jesrr" oder das „Leberr Mariä" soll bei
Gründung eines eigenen Hausstandes das
Ziel errister Wünsche bilderi. Durch irgend
welcherr Arilaß nach einer Großstadt ver-
schlageri, sollten es die ehernuligeil Kate-
chnrnerien als dringendes Anliegerl emp-
sirrderi, die Knristschätze in beit Kirchen,
znrrial die großen nationalen Heiligtümer,
zu besichtigen ltitb andächtig zu betrachten.

Der Endzweck ist also auch hier wieder
ein religiöser. Nicht als ob wir den
Optimisrnus eines Schiller teilteil! So-
lange die Menschen Merischen sind, werden
sie nicht einen Augenblick die Hoffnung
rechtfertigen, die der Dichter irr beit Worten
ausspricht: „Verjage die Willkür, die
Frivolität, die Rohigkeit nrrs ihren Ver-
grrügurigen, so wirst du sie uuverrnerkt
auch arrs ihren Handlungen, endlich aus
ihren Gesiunungerr verbannen. Wo du
sie findest, umgib sie mit edlen, mit
großen, mit geistreichen Formen, schließe
sie ringsum mit den Symbolen des Vor-
trefflichen ein, bis der Schein die Wirklich-
keit imb die Kunst die Natur überwindet"
(9. Bnes. lieber die ästhetische Erziehung
des Menschen). Die Kirche hat mit diesem
Experiment längst ihre Erfahrungen ge-
macht. Gerade das Gegenteil erreicht man
durch ästhetische Hypertrophie: anima

saturata calcabit favum. Mau wird
vielmehr die Bedeutung der religiösen
Kunst in der Beschäftigung mit ihr selbst
suchen müssen. Wer sich zu dem Satz
bekennt: «gut cantat, bis orat, der wird
folgerichtig auch das andächtige Betrachten
eines religiösen Bildwerks als Gebet
gelten lassen. Es war daher eine weise
 
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