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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 30.1912

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Nr. 10
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Escherich, Mela: Zur Geschichte der Paramentik
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https://doi.org/10.11588/diglit.16252#0112

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103

hinter jener des Pinsels und Zeichenstifts zu-
rück. Die Köpfe und Hände sind von einem
seelischen Leben erfüllt, wie wir sie in der Tafel-
malerei der Zeit nur in den Werken erstrangiger
Meister finden; die wunderbare Farbenivahl und
die durch den burgundischen oder, wie man heute
sagt, Lasurstich erreichten Helldunkeltöne er-
innern an die feinen und feurigen Wirkungen
des email translucide. Doch das Hauptinteresse
wendet sich natürlich den Künstlern zu, die die
Zeichnung zu der Stickerei entworfen haben.
Wer waren sie? Franzosen, Niederläirder? Wel-
cher der beiden Hauptrichtungen gehörten sie an,
dem Kreise um die Eycks oder um Rogier van
der Weyden? Die Fragen wachsen bei längerer
Betrachtung. Als Sammelname herrscht iir
verschiedenen Publikationen und Handbüchern der
Name „Jan van Eyck". Waagen unterschied
vier Hände. Die drei Chorkappen (Christus-,
Marien- und Johanuesmantcl) gab er Rogier
van der Weyden, die Kasula Jan van Eyck, einem
dritten Meister die beiden Dalmatiken und einen:
vierten die beiden Antependieu (Dossier und
Frontier). Dvorak erkennt in dem Johannes-
und Marienmantel den Stil Huberts van Eyck,
in dem Christusmantel den eines Meisters der
Richtung Rogiers, die Kasula und die Dalmatiken
weist er in die Eyckschule und die Antependieu
m die altertümliche Richtung des Andre Beaume
ven. Schlosser schließt sich hinsichtlich des
Hinweises auf die Schule von Taurnay Waagen
und Dvorak an, mit besonderer Betonung Robert
Campins, des Lehrers Rogiers, den Hulin van
Loo neuerdings mit dem Meister van Flamalle
identifizierte. In der Kasula bemerkt er in den
Mittelstücken eine spätere Hand, die die alten
Bildwerke überarbeitete und „möglicherweise schon
der Zeit und Richtung des Hugo van der Goer
angeyört".

Als interessantester Ausgangspunkt bei dem
Studium der Paramente dürften m. E. d i e d r e i
Chormäntel betrachtet werden. Sie scheinen
im wesentlichen von einer Hand zu stammen;
wenigstens die drei Clipeusbilder. An den Figu-
ren in den Felderreihen und an den Borten
können wohl tüchtige Schüler mitgeholfen haben.
Der thronende Christus in: Clipeus des Christus-
mantels weist stark auf Hubert van Eyck. Wenn
man nur von diesem Meister mehr wüßte! Aber
angewiesen auf die drei Hauptfiguren des Genter
Altars, vornehmlich den Gottvater, dessen Sohn
in jedem Sinne der Christus des Chormantels
zu sein scheint, möchte man doch lieber die Ver-
nrutung aussprechen, daß es sich hier um einen
Hubert ebenbürtigen, aber nicht mit ihm iden-
tischen Meister handelt. Freilich, zusamnun-
gearbeitet muß dieser Meister mit Hubert haben;
sonst könnte ihm die allgemeine Hoheitsausfassung
der göttlichen Gestalten, die für. Hubert so cha-
rakteristisch ist, könnte ihm z. B. die ganz dem
Genter Gottvater nachgebildete erhobene Segens-
hand Christi nicht in dem Maße gelungen sein.
Dagegen spricht bei aller Monumentalität der
Auffassung aus der bewegteren Faltengebung,
aus der höchst originellen Raffung der Baldachin-
vorhänge — auf dem Marienmantel sind sie in
einer prachtvollen Dekorwirkung um die Thron-
säulen geschlungen —, aus dem durchgearbeiteten

Mimenspiel ein andres, ungleich lebhafteres Tem-
perament, als wir bisher bei Hubert van Eyck
kennen lernten. Ein Temperament, das sich aber
a>ich nicht mit dein leidenschaftlichen und sehr
sensiblen Pathos des Meisters von Flamalle
identifizieren läßt. Es scheiirt sich hier doch
wieder eine neue Persönlichkeit herauszukristalli-
sieren, die kunstgeschichtlich erst festgelegt werden
muß. In ihren: innersten Wesen wurzelt sie
m. E. in der Kunst der Eyck, wenngleich auch
Einflüsse des Campin-Rogier-Kreises bemerkbar
sind. Beachtenswert ist, daß das stets dem Eyck-
kreise zugerechnete Fragnrent eines „Segnenden
Christus" in der Berliner Galerie in dem Prosil-
kopf des Heilands dasselbe Modell zeigt,
wie der Christus in dem Christusmantel, und
noch einmal, nur wenig verändert, der Judas
Thaddäus in dem Johannesmantel.

Von bestrickender Anmut sind die Frauen-
gestalt en in dem Marienmantel. Ihre heitere
Grazie weist aus den: strengen, etwas schweren
Typus des Eyckkreises hinaus. Und noch liebens-
würdiger ist die lange Reihe der lockigen Engel.
Unter ihnen taucht eine neue Spezie auf: uackte,
am ganzen Körper gefiederte Seraphine. Wir
finden sie nur auf dem Christusmantel. Sie
sind etwas derber gezeichnet, als die andern.
Vielleicht das Werk und Erfindung eines phan-
tasievollen Schülers. Sie find uns wichtig, weil
wir nun wissen, woher der Meister E. S. und
der Meister der Glorifikation Mariä
diese Federengel haben. Aber noch eine stärkere
Linie geht ins Deutsche herüber. In der Kunst
des Meisters der drei Chormäntel wurzelt die
Kunst des Konrad Witz. Vielleicht vermittelt
durch den Vater. Konrads Vater, Hans Witz,
arbeitete ja in den zwanziger Jahren am bur-
gundischen Hofe! Vielleicht — doch eine bloße
Vermutung darf noch zu keiner Hypothese führen.
Aber in der Kunst des Konrad Witz wirkt die
Auffassung des burgundischen Meisters traditionell
weiter. Dieselbe Wucht in der Behandlung
fallender oder schwer hingebreiteter Gewänder,
ein verwandtes Streben, die Hände reden zu
lassen, eine ähnliche Neigung, perspektivische Prob-
leme zti lösen, endlich eine gewisse Uebereinstim-
mung in der Auffassung der Christusgestalt lassen
uns hier tiefe und bedeutsame Zusammenhänge
empfinden. Wuchs der junge Konrad Witz am
burgundischen Hofe aus? Waren die Künstler,
die dort lebten, seine Lehrnreister? War sein
Vater einer der Meister des Paramenteitschatzes?
Das sind freilich offene Fragen ....

Eine andere, ältere Hand zeigen die beiden
A n t e p e i: d i e n. Auch sie sind von bedeutender
Qualität. Sie gehen in ihrem Stil noch auf den
Geist des t4. Jahrhunderts zurück. Hochgotische
Ekstase. Die Augäpfel noch in die Ecke gedreht.
Locken und Bärte stilisiert. Die Gewänder in
seltsamem Rhythmus nach einem außer der Be-
wegung liegenden Punkt gezerrt. Hohes Gewoge
von Spruchbändern. Miniatur und Sandmalerei
standen Pate. Wundervoll die Dreieinigkeit.
Der Sohit kläglich hingesunken in des Vaters
Arm, die Seitenwunde mit den Fingern drückend,
damit ihr noch mehr Blut entfließe. Gralsmystische
Stimmung. Dieser Meister ist an: ehesten unter
den Vorläufern Rogiers zu suchen.
 
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