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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 31.1913

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Nr. 2
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Pfeffer, Albert: Die frühromanische Holzdecke von Balingen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16253#0022

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15

hier nicht mehr viel zu spüren. Eine
neue künstlerische Auffassung, ein ganz
anders geartetes, ans der Grenzscheide von
einer alten absterbenden zu einer jugend-
srisch-nationalen Kultur und Kunstentwick-
lung stehendes Formempfinderl und Dar-
stellungsweise spricht sowohl aus den
Bnrgfelder als Balinger Malereien, und
rnan hat schon bei oberflächlicher Verglei-
chung den Eindruck, daß beide der Ent-
stehuugszeit nach nicht weit auseinander
liegen können.

Was die Einzelgestalt angeht, so
fällt sofort in die Augen, daß der Körper
ganz silhonettenartig in reiner Flächen-
nialerei dargestellt ist. Die Entwicklung
der frühmittelalterlichen Kunst zeigt ja,
wie das Formempfinden der Antike für
die plastische Darstellung der menschlichen
Gestalt langsanl verloren geht. Man be-
gnügt sich bis ins 14. Jahrhundert hinein
mit der Silhouette. Stellte die karo-
lingisch-ottonische Kunst der Reichenau die
menschliche Gestalt mit kurzen gedrungenen
Proportionen und in vollen Formen dar
getreu der anlikeu Tradition, wird hier
die menschliche Gestalt schlank, ja über-
höht dargestellt. Besonders charakteristisch
sind die überschlanken dünnen Beine der
Soldaten und des Petrus, die in Burg-
felden und im Apsidalbild von Reichenau-
Niederzell wiederkehren.

Die Kunst des 12. Jahrhunderts kennt
ruhige, bewegungsunfähige Gestalten und
lahme Gebärden; die einzelnen Körper-
teile sind unorganisch aueinandergereiht,
ohne ein überzeugendes Garrze zrr bilden.
Die Kenntnis des menschlichen Körpers
ist in dieser Zeit ganz verloren gegangen.
Die Kölperstellnngen sind schematisch und
gleichförmig; der Körper ist unorganisch
mit Gewändern behängt. Wie garrz an-
ders ist die rnenschliche Gestalt aus den
Balinger Bilderrr dargestellt! Wie fest
und sicher stehen die handelnden Personen
ans denr Bodeir! Wie sind besonders bei
der Szene der Fußwaschnng und Gefan-
gennahrne in Balingen die körperlichen
Umrisse sicher; die einzelnen Teile des
Körpers setzen sich klar gegerreinander ab;
die Bewegung des Fußwaschens mit dem
straff an beu Leib gezogenen Gewand und
des Knieens mit beiden Füßen ist orga-
tiisch nttd voll guter Naturbeobachtung.

Die Hände Christi (bei der Fnßivaschnng)
und des knieenden Knechtes sind wohl zu
dünn und zu groß, aber doch viel indivi-
dueller und naturwahrer, als die großen,
plumpen Tatzen auf den Miniatnren und
Wandbildern des 10. Jahrhunderts. Wie
folgt das kurze Gewand der Soldaten
der raschen Bewegung und legt sich in
flatternde Faltung! Es ist keine Frage,
daß ein gewandter, gut beobachtender und
formsicherer Künstler die Balinger Decke
gemalt haben muß, der ans den Schul-
tern einer alten, sicheren Tradition steht,
und andererseits von neuem, frischem Leben
erfüllt ist und die alten Foruten mit
neuem Geist und Leben füllt und nmge-
staltet zu individuellen Kunstwerken.

Christus, die Apostel uub der Engel
tragen das lange, von der Antike über-
nommene traditionelle Untergewand und
den über die Schultern geworfenen Man-
tel, der den rechten Artn freiläßt ch. Die
beiden Soldaten und der Knecht des
Hohenpriesters sind mit tiiederen Schuhen
und der Chlamys, beut kurzen, bis an
die Kniee reichenden Zeitkostüm, bekleidet,
das uns in der gleichen Forut so oft auf
beut Bnrgfelder Christusbild begegnet;
einer der Soldaten trägt eine kurze
Schwertscheide an der Seite, der Knecht
trägt über seinem Unterkleid noch den
auf der linken Schulter zusammeugehef-
leten roten Mantel, der über den linken
Arm fällt und den rechten freiläßt. Das
ist die Zeittracht des 10. bis 12. Jahrhun-
derts^). Die Gewänder haben am nn-
tern Rand die charakteristischen, ivelligen,
gekräuselten Säume, die den älteren Rei-
chenauer Wandbildern uub Miniaturen
fehlen, sich dagegen bei den Aposteln von
Goldbach (Ende 10. Jährlich, Burgfelden
(ea. 1000) und Niederzell (Apsidalbild,
ca. 1050) sehr häufig finden. Die Man-
tel- uub Gewandsäume fallen seitlich in
zierlichen Spiralen herab, ähnlich wie in
Burgfelden und Reichenau. Die langen
Untergewänder uub die Mäntel haben
ähnliche Parallelsalten wie die ganze Rei-

0 Der Engel hat an seinem Mantel einen
breiten Sanm, ähnlich wie die Engel des Codex
Egberti. Tfl. 9. 18, 59.

2) Im Codex Egberti tragen die Hirten und
Soldaten, Pharisäer und Juden, Pilatus und die
Könige das kurze Untergewand und den Mantel.
 
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