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weisen, daß unsere Zeit voll unbegrenzter
Möglichkeiten des Speknlatiousgeistes ist?!
— Die Mißachtung vor geistigen
Werten — meinetwegen sage man auch:
vor dem Inhalt —, die sich in
einem s o l ch e n M i ß b r a u ch desMil-
lionen heiligen folgenschwersten
Vorgangs der Weltgeschichte zu
m a l erisch en Experimenten kund-
gibt, ist auch sonst zu beobachten.
Und seltsamerweise noch zweimal an
Kreuzigungen. Dabei ist es das einemal
ein so feiner Künstler wie Landenberger,
der sich derart vergreift. Um solche
Farbenkunststücke zu zeigen, ist ein Still-
leben das rechte Objekt."
Ich führe diesen Fall an, weil er ein
Schulbeispiel dafür ist, wie gefährlich das
Nachbeten der Phrase vom „Zeitgeist" ist,
wie kritiklos der Nebel solch moderner
Schlagworte macht, wenn sie nicht ihrem
Sinn nach ganz genau bestimmt und um-
schrieben werden. — Soweit also der
Inhalt und die wesentliche Darbietung
des Inhalts in Betracht kommt, hat der
katholische Künstler nicht nach dein „Zeit-
geist" zu fragen, sondern nach den festen
Grundsätzen des katholischen Dogmas und
der katholischen Moral.
Es ist auch kein Zweifel, daß der „Z e i t-
geist" im Sinne der zu einer bestimm-
ten Zeit eigentümlichen Auffassungsweise,
des einer Zeit eigentümlichen geistigen
Jnteressiertseins hereinwinkt auf das In-
haltliche der Kunst, insbesondere auf die
Auffassungsweise dieses Inhaltlichen. Auch
das trifft in besonderer Weise zu auf die
Malerei und Plastik. In etwas entfern-
terer Weise auf die Architektur: Wie einst
die byzantinische Kunst in ihren Anfsas-
snngsweisen der religiösen, biblischen, Vor-
gänge, der Christus- und Madonnentypus
n. dergl. stark unter dem Eindruck des
byzantinischen Hofzeremoniells stand, wie
das Zeitalter der minnereichen religiösen
Lyrik etwa der Kölner und Oberrheinischen
Kunst das eigentümliche gefühlsreiche Ge-
präge gab, wie das rationalistisch ver-
nünftelnde Zeitalter allem, was ihm nahe
kam, den Charakter banausisch vernünf-
telnder Nüchternheit gab, so ist es heute
zweifellos das Interesse an der psycho-
logischen Seite eines Vorgangs, der
in ihm liegende oder aus ihm folgende
„Stimmungsgehalt", der einer erhöhten
Aufmerksamkeit und eifriger Behandlung
in Plastik und Malerei sich erfreut. —
Aber wie auf dein Geläet der Weltan-
schauungsfragen, der Theologie und Re-
ligion in theoretisch-wissenschaftlicher Hin-
sicht aller Grund besteht zu einer wohl-
angebrachten Warnung vor subjektivi-
stischer und psychologistischer Verflüchti-
gung des philosophischen und religiösen
Wahrheitsgehalts, so ist es auch ans beut
Gebiete der Kunst sehr wohl angebracht,
in dieser Hinsicht nicht einfach und ohne
kritische Abgrenzung dent „Zeitgeist" das
Wort zu reden. Der religiöse Künstler
wird auch der psychologischen Betrachtungs-
und Behandlnngsweise der religiösen
Stoffe, dem in einem Ereignis der heils-
geschichtlichen Ordnung liegenden „Stiin-
tnungsgehall" gerecht werden, er wird
das unserer Zeit eigentümliche geschärfte
und verfeinerte Empfinden für solche
Stintmnngswerte nicht ungenützt lassen
— aber er wird den religiösen Gehalt
nicht darin verwehen lassen; er wird beit
heiligen Vorgang nicht, anstatt ihn in
seiner objektiven heilsgeschichtlichen Be-
deutung groß und ergreifend in die Er-
scheinung treten zu lassen, zu einer Ge-
legenheit zu psychologischen Experimenten
herabwürdigen. Ein wahrhaft klassisches
Muster dieser Verbindung des Objektiv-
gegenständlichen und des subjektiven Stint-
mnngsgehaltes ist Meister Fugels Kran-
kenheilung im Spital zu Wange n im
Algän, die ich nach meiner Entpfindung
als eines der allerbesten Werke des Mei-
sters bezeichnen zu dürfen glaube.
Hat die „Weltanschauung" und der
„Zeitgeist" auch Einfluß auf den „Stil",
so daß sie in einem besonderen „Zeit-
stil" sich ausprügen?
Bis zu einem gewissen Grade wird
man auch das zugeben. Ich möchte zwar
bezweifeln, ob der Satz des gelehrten
?. Kuhn so uneingeschränkt, wie er da-
steht, Geltung hat: „Der Stil ist nur
der Ausdruck der geistigen Strömungen,
welche in einer Zeit liegen: Der große
freie Barocco, der glänzendste und
schwungvollste aller Stile, entsprach der
Zeit, in der er entstand: er war das
weisen, daß unsere Zeit voll unbegrenzter
Möglichkeiten des Speknlatiousgeistes ist?!
— Die Mißachtung vor geistigen
Werten — meinetwegen sage man auch:
vor dem Inhalt —, die sich in
einem s o l ch e n M i ß b r a u ch desMil-
lionen heiligen folgenschwersten
Vorgangs der Weltgeschichte zu
m a l erisch en Experimenten kund-
gibt, ist auch sonst zu beobachten.
Und seltsamerweise noch zweimal an
Kreuzigungen. Dabei ist es das einemal
ein so feiner Künstler wie Landenberger,
der sich derart vergreift. Um solche
Farbenkunststücke zu zeigen, ist ein Still-
leben das rechte Objekt."
Ich führe diesen Fall an, weil er ein
Schulbeispiel dafür ist, wie gefährlich das
Nachbeten der Phrase vom „Zeitgeist" ist,
wie kritiklos der Nebel solch moderner
Schlagworte macht, wenn sie nicht ihrem
Sinn nach ganz genau bestimmt und um-
schrieben werden. — Soweit also der
Inhalt und die wesentliche Darbietung
des Inhalts in Betracht kommt, hat der
katholische Künstler nicht nach dein „Zeit-
geist" zu fragen, sondern nach den festen
Grundsätzen des katholischen Dogmas und
der katholischen Moral.
Es ist auch kein Zweifel, daß der „Z e i t-
geist" im Sinne der zu einer bestimm-
ten Zeit eigentümlichen Auffassungsweise,
des einer Zeit eigentümlichen geistigen
Jnteressiertseins hereinwinkt auf das In-
haltliche der Kunst, insbesondere auf die
Auffassungsweise dieses Inhaltlichen. Auch
das trifft in besonderer Weise zu auf die
Malerei und Plastik. In etwas entfern-
terer Weise auf die Architektur: Wie einst
die byzantinische Kunst in ihren Anfsas-
snngsweisen der religiösen, biblischen, Vor-
gänge, der Christus- und Madonnentypus
n. dergl. stark unter dem Eindruck des
byzantinischen Hofzeremoniells stand, wie
das Zeitalter der minnereichen religiösen
Lyrik etwa der Kölner und Oberrheinischen
Kunst das eigentümliche gefühlsreiche Ge-
präge gab, wie das rationalistisch ver-
nünftelnde Zeitalter allem, was ihm nahe
kam, den Charakter banausisch vernünf-
telnder Nüchternheit gab, so ist es heute
zweifellos das Interesse an der psycho-
logischen Seite eines Vorgangs, der
in ihm liegende oder aus ihm folgende
„Stimmungsgehalt", der einer erhöhten
Aufmerksamkeit und eifriger Behandlung
in Plastik und Malerei sich erfreut. —
Aber wie auf dein Geläet der Weltan-
schauungsfragen, der Theologie und Re-
ligion in theoretisch-wissenschaftlicher Hin-
sicht aller Grund besteht zu einer wohl-
angebrachten Warnung vor subjektivi-
stischer und psychologistischer Verflüchti-
gung des philosophischen und religiösen
Wahrheitsgehalts, so ist es auch ans beut
Gebiete der Kunst sehr wohl angebracht,
in dieser Hinsicht nicht einfach und ohne
kritische Abgrenzung dent „Zeitgeist" das
Wort zu reden. Der religiöse Künstler
wird auch der psychologischen Betrachtungs-
und Behandlnngsweise der religiösen
Stoffe, dem in einem Ereignis der heils-
geschichtlichen Ordnung liegenden „Stiin-
tnungsgehall" gerecht werden, er wird
das unserer Zeit eigentümliche geschärfte
und verfeinerte Empfinden für solche
Stintmnngswerte nicht ungenützt lassen
— aber er wird den religiösen Gehalt
nicht darin verwehen lassen; er wird beit
heiligen Vorgang nicht, anstatt ihn in
seiner objektiven heilsgeschichtlichen Be-
deutung groß und ergreifend in die Er-
scheinung treten zu lassen, zu einer Ge-
legenheit zu psychologischen Experimenten
herabwürdigen. Ein wahrhaft klassisches
Muster dieser Verbindung des Objektiv-
gegenständlichen und des subjektiven Stint-
mnngsgehaltes ist Meister Fugels Kran-
kenheilung im Spital zu Wange n im
Algän, die ich nach meiner Entpfindung
als eines der allerbesten Werke des Mei-
sters bezeichnen zu dürfen glaube.
Hat die „Weltanschauung" und der
„Zeitgeist" auch Einfluß auf den „Stil",
so daß sie in einem besonderen „Zeit-
stil" sich ausprügen?
Bis zu einem gewissen Grade wird
man auch das zugeben. Ich möchte zwar
bezweifeln, ob der Satz des gelehrten
?. Kuhn so uneingeschränkt, wie er da-
steht, Geltung hat: „Der Stil ist nur
der Ausdruck der geistigen Strömungen,
welche in einer Zeit liegen: Der große
freie Barocco, der glänzendste und
schwungvollste aller Stile, entsprach der
Zeit, in der er entstand: er war das